Töne kann man nicht sehen. Da beißt die Maus einfach mal keinen Faden ab. Sehen kann man höchstens wie sie produziert werden — und selbst das nur manchmal. Oft bewegt sich einfach nicht genug als dass man durch bloßes Sehen was verstehen könnte. Zumindest wär mir neu, dass bei Wetten dass…?! schonmal wer nur vom Starren auf die sich drehende Schallplatte verstanden hätte, was gerade gesungen wird. Von digitalen Endgeräten reden wir gar nicht erst.
Genauso ist’s beim Lippenlesen. Das geht nämlich eigentlich gar nicht. Klar, wohl jedem ist im Kino schonmal schlechte Synchronisation aufgefallen. Man kann’s trainieren. Und wenn man die Sprechweise der Leute schon kennt, geht’s auch leichter. Aber letztlich gibt es viel weniger unterscheidbare Lippenbewegungen und -stellungen als all die Laute, die zusammen Sprache ausmachen (im Deutschen sind’s wohl nur um die 15%).
Will ich was von den Lippen absehen, muss ich im Grunde schon vorher wissen, was für eine Situation wir haben und was Du so alles sagen könntest. Volle Kaffeetasse in der Hand? Kein Problem zu sehen, dass Du mir eine anbietest. Auch kein Problem sind einfache, häufig vorkommende Phrasen: „Hallo!“, „Wie heißt Du?“, „Dankeschön“ oder auch, gar nicht zu verkennen: „Arschloch“. Nur weil man schon wußte, dass es wohl Beleidigungen sein würden, konnte abgelesen werden, was Zidane bei der Fußball WM 2006 zu seinem berühmten Kopfstoß veranlaßt haben mag. Ansonsten ergibt von den Lippen ablesen immer nur einen Lückentext. Erzählst Du mir plötzlich was vom blauen Pferd, wird’s aller wahrscheinlichkeit nach nix. Sowas wie einem Vortrag per Lippenlesen mehr als nur grob zu folgen ist meiner Erfahrung nach unmöglich. Computer können bislang noch kein Lippenlesen, aber das könnte sich bald ändern. HAL läßt grüßen. Brr.
Absehen ist für mich darum zwar sehr wichtig. Ohne geht so gut wie gar nix. Es ist aber immer nur ein begleitendes Hilfsmittel. Aufträge privatdetektivischer Art werden bei guter Bezahlung trotzdem angenommen. Mehr zum Lippenlesen (für Spione) hier.
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Ich habe die Erfahrung gemacht, daß Lippenlesen in Kombination mit Beobachtung von Gestik und Mimik recht gut klappt. Wie man sagt: „Nicht immer, aber immer besser“.
Ja, man braucht eben Kontext — der die Möglichkeiten dessen was gesagt werden könnte einschränkt. Vorwissen, Gestik, Mimik, Gegenstände, Powerpoint-Präsentationen….
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Im oben stehenden Haupttext sind die engen Grenzen des Absehens richtig aufgezeigt worden. Wenn davon gesprochen wird, müßten wir zugeben, daß sich eine Fremdsprache leichter vervollkommnen läßt als das Absehen. Denn es kann nur ein kleiner Teil wirklich abgesehen werden (bis 30% – manchmal sogar noch weniger). Der Eindruck von mehr ist dem Umstand zu verdanken, daß manchmal ein guter Kontext erreicht wird, der die Kombinationsgabe fördert. Und natürlich sind bekannte Bezugspersonen, an deren Sprechweise man sich gewöhnt hat, am idealsten.
Besagte Grenzen sind schon wissenschaftlich untersucht worden. Der folgende Link veranschalicht das so schön:
Klicke, um auf Verstehen_durch_Sehen.pdf zuzugreifen
Keiner sollte sich täuschen lassen durch Angaben, die herausragende Fähigkeiten im Absehen suggerieren. Das ist leider schon in Talkshows inszeniert worden, entspricht aber nicht den wahren Gegebenheiten.
Um keine Mißverständnise aufkommen zu lassen, muß Absehen außerdem richtig definiert werden. Es tritt in anderer Form auf für jene, die sich am Rande der Taubheit einstufen oder sich als resthörig bezeichnen, trotzdem aber oft vom Absehen sprechen. Bei genauerer Untersuchung würde man feststellen, daß sie gar nicht absehen können, sondern ihr Absehen in Wirklichkeit nur ein Mitnahmeeffekt ist. Die tragende Säule ihres Verstehens ist nämlich immer noch das Hören. Wer hier nicht genau unterscheidet, könnte Gefahr laufen, die gleiche Verstehensleistung von jenen einzufordern denen wirklich nur „pures Absehen“ geblieben ist. Das habe ich alles schon erlebt. Wenigstens war man so ehrlich, diesen riesengroßen Unterschied auch zuzugeben. Ich sage das alles, weil es um faire Beurteilungskriterien geht, auf die zu selten hingewiesen wird. Wahre Leistung im Absehen besteht nur dann, wenn sonst auf nichts anderes zurückgegriffen werden kann.
In einem 2. Link können Leute einschätzen, wie es wirklich um ihr Absehen bestellt ist. Ich bin überzeugt, daß ein großer Teil extreme Schwierigkeiten damit hat. Obwohl noch relativ langsam und deutlich gesprochen wird. Das ist mit den Anforderungen im Alltag nicht zu vergleichen.
http://jugend.handicap-international.de/games/lippen-lesen.html
Danke, Herr, äh, just like Beethoven für den Hinweis. Das Flash-Spiel ist wirklich gut um mal zu zeigen wie das ist!
Glückwunsch an diejenigen, die sich durch den Test schlagen konnten. [Siehe hier, Einfügung von NqlB] Trotzdem gibt es meiner Erfahrung nach auch HG, die überhaupt nicht damit zurechtkommen. Der Einwand, daß man hier auch viel kombinieren könne, stimmt natürlich. Je mehr Wörter im Balken verschwinden, um so leichter wird es. Doch gerade das sollte zu denken geben. Es ist ein Indiz dafür, wie schwer es erst im Alltag sein muß, nur mit Absehen zu bestehen, wenn diese Vereinfachung überhaupt nicht gegeben ist. Dann müßten wir das Lippenlesen schon als kläglich bezeichnen.
Meiner Meinung nach ist das Spiel nicht nur anschaulich für Normalos, sondern auch gut geeignet, den eigenen Hörstatus zu hinterfragen.
Die pauschale Bewertung des Lippenabsehens müßte dann nämlich sorgfältiger erfolgen.
passend (oder „unpassend“) zum Thema kommt am 2.Januar
um 4:50 Uhr in Kabel1 eine neue Krimiserie aus USA:
Sue Thomas. Taube FBI-Agentin mit super Lippenlesen.
Die Schauspielerin ist angeblich tatsächlich gehörlos.
Da werden einige Gehörlose und Schwerhörige wieder mal
ihren hörenden Verwandten und Bekannten erklären müssen
warum sie nicht genau so gut Lippenlesen können wie die
tolle FBI-Agentin. Und manche Hörende werden wie üblich sagen
oder denken:“der/die ist einfach zu faul ordenlich Lippenlesen lernen“.
Zum Glück werden bei der Sendezeit am frühen Morgen nur wenig
Leute das US-Machwerk gucken.
(Nichts gegen US-Serien allgemein, es gibt einige, die mir sehr
gut gefallen)
Hm, wikipedia sagt, es gab diese Frau Thomas wirklich. Ich werde mir das bei nächster Gelegenheit mal ansehen. Möglicherweise wird ja deutlich, dass sie es zufällig besonders gut kann (so wie Jule mit ihrem WM-Lip-Reading-Service). Und auch, dass es nicht immer und nicht für alles geht.
Froohs Neuss allerseits.
Habe die Krimisendung verpasst (ist ja wirklich eine schräge Sendezeit. Wozu machen die sowas?) Aber grundsätzlich mal klingt das sehr interessant. Ob die Filmleute auch hier wieder in die beliebte Falle getappt sind und zwei Personen im Dialog zeigen, die hintereinander stehen, sich also gar nicht ansehen können? Das wird ja von Kameraleuten sehr gemocht, ist aber im Alltag eher abwegig. Da guckt Person 1 (vorn im Bild) gedankenschwer vor sich hin und dahinter im Tiefenschärfebereich sieht man Person 2, die ihr Dialogzeug an den Hinterkopf von Person 1 redet. Lustig, wenn auch nur eine der Personen einen Hörschaden hat.
In Serien beliebt ist auch die Zappelkamera (besonders schlimm in „Lie to me“), die niemals die gerade sprechende Person im Bild zeigt, sondern die Umstehenden oder die zuhörende Person, nur ganz kurz und rutschig, schnippselig, fahrig.
That sucks.
Wenn man gewohnt ist, Leuten auf den Mund zu gucken, macht es kirre, dass man als Zuschauer keine 3 Sekunden mehr ein Gesicht betrachten darf, weil die Kamera hirnlos herumzappelt. Mal ganz egal, ob das Mundbild überhaupt für das Lippenlesen ausreichen würde. Und nun noch Gehörlose im Film: Zappelkamera und Lippenlesen / Gebärden – das passt nicht zusammen.
Ebenfalls frohes Neues, Pia! Bin auch kein Freund ultrakurz-zappeliger Montage. Jedenfalls nicht als Selbstzweck, wenn die Dramaturgie dies nicht erfordert.
Habe gerade mal geschaut, leider finde ich bei kabel eins gar nicht, ob und wann die Serie weiter kommt…
Ich kenne da eine prima Internetseite, auf der man sehen kann, wann eine Serie läuft. Im speziellen Fall hier „Sue Thomas: F.B.I.“:
http://www.wunschliste.de/8579/tv
Die Serie kommt also immer sonntagnachts, wenn normale Menschen schlafen. Na immerhin zeigt kabel eins die Serie überhaupt – und man kann sie ja aufnehmen zum spätergucken…
Das müssen sich die Senderverantwortlichen wohl auch gedacht haben, so eine Art view-on-demand wobei man aber als Zuschauer selbst aktiv werden muss.
Für mich und Schwerhörige gibt’s beim Aufnehmen leider wieder das Problem mit den fehlenden Untertiteln.
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Danke für das Lippenlesespiel. Mir ist bewußt geworden, wie lang dadurch meine Leitung ist und weswegen ich, unter anderem, erst oft spät reagiere und damit den Mitmenschen in einer Gespächsrunde ins Wort falle. Es war so zu sagen ein Aha-Erlebnis.
🙂
Also ich praktiziere vom Munde ablesen automatisch seit Kindertagen, denn wir hatten in meiner Schwerhörigenschule noch richtig Unterricht im Mundabsehen. Im Laufe der Jarzehnte machte ich die Erfahrung, dass ich kurzzeitig ganz schön viel über Absehen verstehen kann. Bei längerem Zuhören ist es für mich aber leichter mit DGS – Dolmetscher oder Schriftdolmetscher, wobei letztere im öffentlichen Raum noch immer sehr selten sind. Grüssele Dorena
Wird das heutzutage denn nicht mehr gelehrt an Schwerhörigenschulen, das Mundabsehen?
Ist das jemals gelehrt worden?
Der Schwerhörigenverband in Berlin (bzw. das Hörbiz) in Charlottenburg gibt noch Kurse, 2x pro Jahr. Ich habe im letzten Jahr einen besucht. Hat super viel Spaß gemacht. Und in der Zeit habe ich mir auch eingebildet besser ansehen zu können, das Hochgefühl hat aber wieder nachgelassen und ich werden wohl im Frühjahr wieder in den neuen Kurs einsteigen.