Die Kritik an der gehörlosen Politikerin Helene Jarmer: Naives Verständnis von Politik — und Autofahren

Wenn’s um die österreichische Abgeordnete Helene Jarmer geht, heißt es schnell: Ohne Gehör könne man kein Politiker sein (zuletzt hier, in den Kommentaren zu: Gehörlos im Parlament: „Tu einfach so als könntest Du hören“, Die Presse, 4.7.2009). <Der Artikel ist seit 6.7. 18:30 nicht erreichbar> <Ist wieder da.> Das offenbart ein vielleicht ehrenwertes, in jedem Fall aber naives Politikverständnis. Und vom Autofahren noch dazu. Letztlich geht es ausschließlich darum, ob man schwerhörige oder gehörlose Abgeordnete zulässt oder draußenhält — was leider einfach möglich ist. Ich erläutere das mal anhand der Kommentare zu dem oben verlinkten Artikel.

1. Man müsse „alle fünf Sinne beisammen haben“, heißt es da. Es gebe ja auch keine blinden Chauffeure oder Busfahrer.

Das Beispiel lohnt sich genauer zu untersuchen, denn daran sieht man worauf es ankommt. Was genau hindert Gehörlose oder Schwerhörige daran, diese Berufe auszuüben? Gehen wir mal die Sinne einzeln durch: Schmecken kann man wohl gleich vernachlässigen. Fahren tut man mit Händen und Füßen. Neben Mobilität braucht man also Tastsinn, schon um Widerstände beim Lenken, Schalten, Gasgeben, Bremsen und Knöpfchendrücken zu spüren. Wäre nicht die Sicht das wichtigste, würden wir nicht soviel Wert auf gute und funktionierende Scheibenwischer legen anstatt auch noch Stereoanlagen in Autos einzubauen. Und das als Verbesserung statt Verschlechterung des Autos zu begreifen.

Welche Rolle spielt also das Hören? Es liefert Warnhinweise — über den Verkehr und über das Fahrzeug. Kommt (und von wo kommt) die Feuerwehr? Oh, irgendwo bremst jemand hart. Was ist das für ein komisches Klackern da im Motor? All dies sind zusätzliche Hinweise. Entweder man kann sie auch sehen oder es sind technische Lösungen denkbar. Für alles mögliche gibt es schon Blinklichter oder man könnte sie bauen, z.B. auch Vibrationsalarm am Lenkrad. Insofern spielt Hören beim Fahren die gleiche, sehr untergeordnete Rolle wie das Riechen: Oh, da verschmort gerade was! (Na gut, vielleicht nicht ganz. Ich bin auch schon länger blinkend durch die Gegend gefahren — und sicher, dass wäre nicht passiert, wenn ich das Tick-Tack besser gehört hätte.)

Schwierig wird es ganz woanders: Bei der Kommunikation mit den Fahrgästen. Doch selbst da besteht das Problem eher in der Unpraktikabilität und Unannehmlichkeit als in der Unmöglichkeit des Ganzen! Fahren jedenfalls tut man schließlich immer noch alleine. Anders als man z.B. Verkehrsflugzeuge fliegt.

Die wichtige Frage ist also: Welche Rolle genau spielt Hören für einen Abgeordneten?

2. Hören müsse sein, wird dann geantwortet, schließlich sei das Parlament als „Diskussionsforum“ gedacht „in dem mit Sprache Argumente ausgetauscht werden“. Daher werde der Dolmetscher einen Großteil der politischen Arbeit verrichten — und das sei verantwortungslos. „Wie soll Ausschussarbeit funktionieren, das Reagieren auf Kollegen in einer Diskussion?“

Zu der Sache mit dem Dolmetscher kann man nur sagen: In der EU ist das Dolmetscherwesen schon lange etabliert. Auch da haben sie ein Problem mit der Zuordnung von Verantwortung. Das liegt aber an ganz anderen Gründen.

Ansonsten: Ach, wäre das schön, wenn so Politik gemacht würde. Man redet aufeinander ein, hört zu, bildet sich eine Meinung und entscheidet dann schnell und auf dieser Basis. Doch in der parlamentarischen Demokratie geht es leider – und aus angebbaren Gründen – schon lange nicht mehr darum, dass man alle seine Sinne, sondern seine Mehrheiten beieinander hat. Im Plenum des Parlaments wird schon lange nicht mehr diskutiert, sondern allenfalls im Vorfeld einer Abstimmung debattiert. Vielleicht wurde es das nicht mal in Athen. Diskussion, also wechselseitige Überzeugung, kommt eher selten vor, jedenfalls im Parlament. Meinungsbildung findet anderswo statt. Wer seine Anträge und Mehrheiten nicht vorher organisiert hat, hat schon verloren. Dabei spielt dann nicht so sehr Hören, wohl aber schriftliche Kommunikation eine große Rolle. Und im Plenum wird abgestimmt. Genau aus diesem Grund ist man als Gehörloser dabei — sofern Dolmetscher oder Untertitelung gewährleistet sind — nicht groß benachteiligt. Das Reden und Entscheiden im Parlament ist extrem reglementiert. Gleiches gilt, zumindest im Prinzip, für die Ausschussarbeit.

Im Privatleben nach Feierabend, z.B. bei  geselligen Abendessen unter Hörenden, sind Hörbehinderte viel mehr benachteiligt. Benachteiligung oder nicht — das hängt hier von der Bereitschaft der anderen Anwesenden ab, sich überraschenden, unpassenden und manchmal anstrengenden Regeln zu unterwerfen. Genau deswegen kann ich mir jedoch vorstellen, dass Frau Jarmer es an ganz anderer Stelle schwer haben wird als es die Kritiker vermuten. Nämlich beim informellen Schmieden von Mehrheiten, beim Formen von Abstimmungsverhalten, beim Gespräch zwischen Tür und Angel. Kurz – beim Netzwerken. Hier kommt es wesentlich mehr auf das Wohlwollen der anderen Personen an, hier könnten sie es Frau Jarmer sehr schwer machen, wenn sie wollten. Leider erfährt man aus diesem Bereich ja kaum mal etwas (aus gutem Grunde übrigens nicht). Mich würden Frau Jarmers Erfahrungen da sehr interessieren. Oder auch, was den Kontakt zu ihren Wählern angeht – und wie wohlwollend oder ungeduldig die mit ihr sind.

Ich denke darum: Wer behauptet, Schwerhörige und Gehörlose könnten keine Politiker sein, der ist naiv. Es geht eher darum, ob man diese Personen in der Politik zulässt (und sich auf die Kommunikation per Dolmetscher oder elektronisch-schriftlich einläßt). Oder ob sie auf genau der Ebene, die ich eben beschrieben habe, draußengehalten oder rausgeekelt werden.

Wer stimmt mir zu? Wer sieht das anders als ich?

Aufgrund einiger recht heftiger Kommentar, die ich per Email erhalten habe, kleines UPDATE: Hier gehts um die Befähigung zum Abgeordneten. Ob jemand im Einzelfall ein guter Abgeordneter oder ein guter Kandidat für einen bestimmten Posten ist, ist eine andere Frage. Das hat dann nichts mit dem Umstand der Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit zu tun.

51 Antworten zu “Die Kritik an der gehörlosen Politikerin Helene Jarmer: Naives Verständnis von Politik — und Autofahren

  1. Ich sehe das so wie du, was den Abgeordneten angeht. Bei dem tauben Busfahrer hätte ich schon eher meine Zweifel, denn der soll ja auch Auskünfte geben können usw.; obwohl manche Busfahrer, die ich kenne, so gesehen auch genausogut taub sein könnten.

  2. was mir gut gefallen hat, war, dass noch während des EU-Wahlkampfes Ö1 also das Radio ein reines Hörmedium ein Interview mit Helene Jarmer gemacht hat.

    Auch mich würde das sehr interessieren, wie Frau Jarmer den parlamentarischen Alltag bewältigt.

  3. the fräänk

    Recht hast Du in Bezug auf die Meinungsbildung im Parlament. Die findet in Netzwerken, den Arbeitsgruppen der Fraktionen und den Fraktionssitzungen statt. Hier ist mit etwas Vertrauen, Rücksichtnahme und Disziplin in der Diskussion für eine gehörlose Abgeordnete samt Dolmetscher alles machbar. (Bei den Netzwerken kann viel per Handy/Email laufen. Ich nehme an, Frau Jarmer ist eine fleißige SMSerin, Chatterin und Tweeterin.)
    Schon in den Fachausschüssen des Bundestages und erst recht im Plenum wird die einmal gefasste Meinung nur noch abgespult.

    Anstrengender stelle ich mir das im Wahlkreis vor. Ich weiß nicht, wie das in Österreich ist, aber jeder Bundestagsabgeordnete hat ja auch einen Wahlkreis, auch wenn er über die Liste gewählt wurde. Und da kommt es auf Publikumswirksamkeit an. Andererseits: Es gibt auch viele (hörende) Abgeordnete mit null Charisma. Kann so entscheidend auch wieder nicht sein.
    Und die meisten Kommentare bei Deinem Link – auweioweiowei…

  4. Ich bewundere Deine Gelassenheit. Ich lese seit Wochen sehr grenzwertige Kommentare in österreichischen Medien und auf deren Webseiten. Die Vorstellung, dass Menschen der Meinung sind, gehörlose Menschen haben nichts im Parlament zu suchen, schockiert mich als Politologin. Der Wert der Demokratie besteht darin, dass sich jeder daran beteiligen kann. Für mich stellt sich die Frage nicht, ob Gehörlose Politiker werden können. Sie müssen es sogar werden können, sonst stimmt etwas mit der Demokratie nicht. Ich kann mir keine körperliche Behinderung vorstellen, die einen daran hindern könnte, Abgeordeter zu werden. Letztendlich geht es nur darum, ob man sich genug anstrengt, um es den jeweiligen Leuten zu ermöglichen.

  5. Mir selbst wird auch bei den Kommenarten echt schlecht. Aber das ist die typische Mentalität der kleinkarierten Kronezeitungsleser. Immer ein „Ja, aber …!“.

    Die Kommentaren einer ganz bestimmten Person werden immer ärger. Jetzt schreibt er oder sie:

    „Juristische Texte sind auch bei Übersetzungen äußerst problematisch.
    Sprache halte ich für wesentlich aussagefähriger als Gebärdensprache.
    Juristerei ist Sprache und nicht Gebärdensprache.“

    Das ist richtig heftig! Was würden die gehörlosen Anwälte in den USA dazu sagen?

    Das iste echt zu speiben (östrr. für erbrechen)!

  6. Hallo! Das Beispiel mit der Helene Jarmer finde ich ja echt sehr gut.Passt eigentlich zum Thema. Danke für die Kommentare auch.

    Grüsse Alex Sohn

  7. Muriel, eben. Aber im Busfahrbereich tut sich ja gerade sowieso einiges: bessere Anzeigen des Fahrtverlaufs und der nächsten Haltestelle, Karten, dafür teilweise Fahrer hinter Plexiglas und sowieso nicht so ansprechbar wie früher mal…

    Weltbeobachterin, ja. Vielleicht fängt sie ja an zu twittern, die Frau Jarmer ;-). Obwohl ich wie gesagt schon verstehen kann, wenn man solche Details nicht allzu öffentlich macht. Wir werden sehen.

    Fräänk, danke für den Insiderkommentar. Ja, das Verhältnis zu „ihrem“ Wahlvolk würde mich auch interessieren. Wenn ich recht verstanden habe übernimmt sie einen Wahlkreis in Wien. Weiß aber leider auch nicht, wie’s in Ö. ist – könnte da jemand aufklären?

    Christiane, ich sehe, wir stimmen überein. Danke 😉 aber Gelassenheit, nunja. Aufgefallen ist mir das auch schon länger – jetzt dachte ich ich muss mich auch mal einmischen. Mal sehen, wohin das führt…

    NewAtair, also dass Übersetzungen von Rechtsbegriffen nicht einfach sind, da hat der Herr schon recht. Nur halte ich das für eine Frage der Qualität der Auslegung und Übersetzung. Außerdem geht es ja nicht darum, auf Schriftdeutsch zu vezichten – und das kann Frau Jarmer ja auch. Oder habe ich da was verpaßt. (danke für die öster./dt. Übersetzung, ich hatte letztens bei einer Kollegin schon das Vergnügen zu merken, wie viele andere Worte ihr habt)

    Alex Sohn, bitte, gern geschehen. Zu welchem Thema paßt das Beispiel genau?

  8. Wie ich schon geschrieben habe, wird im Plenum kaum die ganzen Gesetze im Detail und wortwörtlich vorgelesen, sondern jeder Abgeordneter sollte(!) den Text lesen. Und wenn das EU-Parlament schafft, Gesetzestexte in allen EU-Amtssprachen zu übersetzten, dann sollte das auch in Wien funktionieren, oder nicht?

  9. Lukas Huber

    Es ist irgendwie befremdlich, dass die Presse ( http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/492609/index.do ) den Artikel wieder entfernt hat. Woran mag das liegen?

  10. NewAtair: Klar, ich hatte dich schon verstanden. War auch eher eine akademisch/literarische Überlegung. Ich bin von Sprachen, unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten und Übersetzungsproblemen fasziniert. Und das eben auch bei Rechtsbegriffen. Und zwischen Lautsprachen und Gebärdensprachen. Das hat aber mit Frau Jarmers Gehörlosigkeit vermutlich wenig zu tun weil’s wie Du ja sagst schriftdeutschbasiert abläuft. Da stehen dann alle Abgeordneten gleichermaßen vor den Problemen.

    Lukas: Keine Ahnung. Möglicherweise ist der Server überlastet. Mal sehen….

    Den Artikel findet man (noch) im Google Cache. Die Kommentare allerdings sind weg.

  11. Der Artikel ist NIERGENDWO auf der Webseite zu finden und der Server ist nicht down.
    Ich glaube, die Zeitung hat Angst bekommen …

  12. Lukas Huber

    Wenigstens ist der volle Artikel von diepresse.com (ohne Kommentare) hier noch vorhanden:
    http://www.politspiegel.at/?p=826

  13. Also, Angst bekommen kann ich mir ja nun nicht vorstellen – wovor denn? Aber eigenartig ist es doch. Und schade um die Kommentare. Hatte selbst gerade noch einen hingeschickt…

    Oh! Jetzt ist alles wieder da.

  14. You may be interested to know that Britain had a deaf MP Jack Ashley
    http://en.wikipedia.org/wiki/Jack_Ashley,_Baron_Ashley_of_Stoke
    and a blind MP/Home Secretary
    http://en.wikipedia.org/wiki/David_Blunkett

    with apologies for commenting in English

  15. Thanks, those are interesting biographies! By the way, I’m perfectly fine with comments in English.

  16. Die Engländer sind da vielleicht etwas weiter 🙂

  17. Pingback: Schwerhörige in der Schule: Eine Frage des Glücks? « Not quite like Beethoven

  18. Wie schon von mog angezeigt über U.K., gab es Parlamentariers im Landtag von Hessen, einen schwerhörigen contergangeschädigten Andreas Kammerbauer, und im Provinzparlament von Ontario/Kanada, einen tauben Gary Malkowski. Leider hat es für sie nur eine Wahlperiode gedauert.

    Auch in Island und Griechenland gab es taube Abgeordnete in ihren nationalen Parlamenten. Auch nur für eine Wahlperiode.

    Es gibt ferner taube Abgeordete im EU-Parlament, Adam Kosa, und Helen Stevens im Parlament von Flanders, noch weitere in den nationalen Parlamenten von Ungarn, Nepal, Uganda und Südafrika.

    Bei allen oben erwähnten Abgeordneten werden GS-Dolmetscher bereitgestellt. Der britische MP Jack Ashley ertaubte, als er schon MP war. Kommunikation ging anfangs nur oral und geschrieben. Später wurde für ihn „live captioning“ durch einen Gerichtsstenographen und ein dazu entwickeltes Computerprogramm auspropbiert. Die heutige „live captioning“ auf dem Fernsehen ist der Jack Ashley’s Pionierarbeit zu verdanken. Ich sah die erste Live-Captioning überhaupt auf dem britischen Fernsehen 1981 bei der Übertragung von der Hochzeit eines jemanden im Königshaus (weiss nicht mehr genau wem). Ich staunte damals, als ich sah, dass sehr wenige Schreibfehler dort auftauchten trotz grosser Unstimmigkeiten zwischen Aussprache und Schrift im Englischen, denn stenographisch wird phonetisch eingegeben. Also wenn ihr über Live-Untertitelung auf dem Fernsehen und Schriftdolmetschen denkt, denk an Jack Ashley.

  19. Danke, Hartmut, für die Aufzählung! Diese Entstehungsgeschichte des Live-Captioning ist ja wirklich interessant. Also: An Jack Ashley denken. 🙂

    Weiß jemand ob es zeitgleich oder etwas später auch noch anderswo wichtige Entwicklungsschritte gab?

  20. @NqlB,
    Entwicklungsschritte von was? Von was denkst du zum Beispiel?

    Eines koenne dann hinterlassen werden, als die tauben Abgeordneten nicht wiederaufgestellt bzw. wiedergewaehlt wurden: Das GS-Dolmetschen wuerde eine feste Einrichtung werden, um alle Parlamentsdebatten aufs Fernsehen nach draussen zu bringen. Dazu scheint es nicht gekommen zu werden.

  21. Von den Live-Captioning-Verfahren. Gewissermaßen: Von Jack Ashley in GB zu Sprint/Hamilton Captel in den USA und verbavoice hier in D. Wer waren die Treiber in dieser Entwicklung, woher kam das Geld, die Forschung etc…

  22. Ich habe nicht alle historischen Fakten beisammen, wie die Entwicklung after Jack Ashley im Live-Captioning ablaeuft. In den USA und UK konnte das etwa getrennt entwickeln.

    Finanzierung fuer die Entwicklung von Captioning in den USA konnte teilweise durch Regierungs-Forschungs- und Entwicklungsauftraege und auch von der Industrie oder von den Firmen selbst geleistet worden. Ich wuerde nicht ueberrascht sein, dass im UK die BBC auch die Weiterentwicklung finanziert hat.

    Zwei Verfahren koennen herausgestellt werden: 1) Eingabe durch Stenotypisten, die das Gehoerte phonetisch auf einem Braille-aehnlichen Keyboard eingeben mit einem Computerprogramm, das den phonetischen Input durch Lexikon-Lookup lesbare englische Woerter outputtet. Das Computerprogram wird spaeter „intelligenter“, die sprachlich den Input analysiert und bei zwei-(mehr-)deutiger Input dann das „richtigere“ Wort herausfindet und moeglicherweise Tippfehler korrigiert. Das ist nichts anders was die Schriftdolmetscher alle in den USA und UK haben. Es hat sich als zuverlaessiger erwiesen. Also ist dieses System jetzt noch favorisiert.
    2) Das andere System benutzt ein Spracherkennungsprogramm und ist im „Captel“ Telefon-Vermittlungsdienst angewandt. Dies benutzt einen zentral-lokalisierten Sprecher, der das Gehoerte in den Spracherkennungscomputer wiederspricht und vom Computer das Ergebnis an den tauben Telefonbenutzer (oft an dessen Schreibtelefon, Schreibtelefon noch nicht altmodisch geworden!) sendet. Kein Spracherkennungssystem ist sprecherunabhaengig. Soweit ich weiss, benutzt keine Fernsehanstalt irgendeines Spracherkennungsprogramm fuer Live-Captioning. Spracherkennung bietet keine besonderen Vorteile oder personellen Ersparnisse als durch Stenotypisten.

  23. Vielen Dank für die Erläuterungen, Hartmut!

  24. Pingback: Der gehörlose Vorsitzende (alternate Version) | Not quite like Beethoven

  25. Pingback: die ennomane » Blog Archive » Der gehörlose Vorsitzende

  26. Es gab vor ein paar Wochen den Fall, dass ein Gehörloser mit einem Rettungswagen zusammenstieß, weil er wegen der Sichtbehinderung durch einen LKW diesen nicht gesehen hatte – ein Hörender hätte das Martinshorn vernommen.

    Das ist aber auch der einzige, zugegebenermaßen unglückliche Fall, wo ein Gehörloser beim Autofahren benachteiligt ist. Mich stört es als Autofahrer z.B. sehr, wenn die Mitfahrer sich unterhalten oder mich etwas fragen, da ich mich sehr auf den Verkehr konzentrieren muss.

    Was Österreich betrifft: Hier war es auch sehr „außergewöhnlich“, als bekannt wurde, dass Barbara Sima die Co-Moderatorin bei „Licht ins Dunkle“ wird: http://lichtinsdunkel.orf.at/?Story=3370

    Berichterstattung bei Paralympics u.ä. gibt es sehr spärlich, auf den ORF-Seiten existieren sie praktisch nicht. Gehörlose, die studieren, gibt es auch nur wenige. Österreich hat da insgesamt einiges aufzuholen.

    Glücklicherweise gibt es Menschen wie Jarmer und Huainigg (Behindertensprecher der ÖVP), die diesbezüglich Aufmerksamkeit erregen.

  27. Du schreibst, dass es darauf ankommt, ob man Gehörlose zulässt. Knappe Antwort: Diese Gesellschaft lässt sie nicht zu und das wird sich auch nur oberflächlich ändern, aber niemals, wenn es ans Eingemachte wie Geld- und Machtfragen geht.

  28. Pingback: die ennomane » Blog Archive » “Guter Wille” ist keine politische Lösung sondern Sonntagsrede 2.0

  29. Die Industrie musste doch ein Lichtblickverfahren entwickeln, statt auf einem auditoriellen System zu versteifen. Das muss doch technologisch unschwer sein. Wenn es Spracherkennungssystem gibt, warum gibt es kein System, das viel einfachere Warnungstoene erkennen kann?!

    So eine audistische Welt, die keine Alternative von Toenen denken kann!

    Hartmut

  30. CharlyBrown

    Das Gl-Autofahrer einen Rettungswagen (oder Polizei, Feuerwehr)
    nicht bemerken, ist sehr selten.
    Diese „Gefahr“ haben alle Gl-AutofahrerInnen sozusagen fest im
    Unterbewusstsein gespeichert und erkennen oft am Verhalten
    der anderen Verkehrsteilnehmer, das irgendwo ein Alarm ist.
    Das grell blinkende Signallicht solcher Einsatzfahrzeuge bemerken
    Gl im Rückspiegel (auch ohne direkt auf den Spiegel zu schauen)
    oft früher als die Hörenden den Signalton hören.
    Es passiert jedes Jahr hunderte mal, das irgendwo in Europa ein
    hörender Autofahrer ein Einsatzfahrzeug zu spät bemerkt.
    (hat laute Musik gehört etc).
    Solche Fälle werden in keiner Zeitung erwähnt.
    Aber wenn es einem Gl passiert, gibt es sofort „Geschrei“ in Medien.

  31. Wo war denn da Geschrei? Ich hab’s nicht mitbekommen…

    Enno, in der Wirtschaft bin ich auch skeptisch. Aber in der Wissenschaft, ich denke das geht schon. Und eben, wenn auch mit Abstrichen, in der Politik.

  32. CharlyBrown

    nqlb, Felios hat geschrieben, das ein Gl-Autofahrer einen Rettungswagen
    überhört hat.
    Das hat mich an ähnlichen Fall erinnert. (Ist schon viele Jahre her).
    Da gab in der Presse „Leserbriefdiskussion“.
    Die Angehörigen eines im Rettungswagen liegenden Verletzten waren
    emotionell sehr erregt, forderten Verbot von Führerschein für Gl.
    Es kommt leider immer wieder vor, das manche unwissende Hörende
    denken, taube Menschen dürfen nicht Autofahren.

  33. Achso, das war ein älterer Fall. Danke für die Erläuterung! Schon irgendwie ironisch: Man muss sich bei etwas schon sehr auf sein Hören verlassen um zu denken, die die dies nicht tun (können) wären darin automatisch schlechter.

  34. Da fällt mir noch etwas ein, vielleicht erklärt es die Naivität der Frau Jarmer.

    Die in der Öffentlichkeit nur über Gebärdensprachdolmetscher in Erscheinung tritt, also nicht über die Lautsprache kommuniziert. Vielleicht ist sie weniger in der „hörenden“ Welt aktiv als andere Gehörlose, und hält daher alle 5 Sinne für so wichtig? Reine Spekulation.

    PS: In einem Forum versuchte ich über den Begriff „taubstumm“ aufzuklären, und schrieb u.a.

    „Davon abgesehen gleichen gehörlose Menschen ihr fehlendes Gehör mit anderen Sinnen aus, indem sie z.B. ein weiteres Blickfeld haben, und sich nicht so leicht ablenken lassen. Deswegen sind gehörlose Menschen vermutlich sicherere Autofahrer als hörende Menschen, die nebenher Musik hören, telefonieren oder sich mit dem Beifahrer unterhalten.“

    darauf kam als Antwort besagter Fall mit dem Rettungswagen, obwohl es inzwischen – was Rettungsdienstler bestätigten – immer weniger Bereitschaft von Autofahrern allgemein gibt, dem Rettungswagen Platz zu machen.

  35. Pia Butzky

    Um dicht am Thema zu bleiben: 😉
    Statistisch gesehen fallen Autounfälle, bei denen Hörbehinderte oder in denen Hörschwächen an der Unfallursache beteiligt sind, nicht ins Gewicht, auch dann nicht, wenn es in Einzelfällen vorkommen sollte, dass ein hörbehinderter Mensch einen Unfall verursacht hat. (Aussage eines Verkehrspolizisten, der in Berliner Schulen Verkehrssicherheitstrainings durchführt.) Man darf also sogar als hörbehinderter Mensch Fehler machen, ohne dass gleich allen der Lappen entzogen wird.

    Für die Verkehrspolizei bedeuten die sehr raren Unfälle von Hörbehinderten keinerlei erhöhte Gefährdung im Straßenverkehr, eher gegenteilig: Statistisch gesehen stellen die Normalhörenden ein deutlich höheres Unfallrisiko dar. Konsequent weiter gedacht bedeutet das, Hörbehinderte fahren weitaus sicherer im Straßenverkehr ( … sagte ich und der Polizist hat genickt.)

  36. „der Polizist hat genickt“ — hehehe, dann haben wir’s ja jetzt hochoffiziell 😉

    Felios, von Frau Jarmer hab ich in letzter Zeit sowieso wenig gehört, geht das nur mir so?

  37. Allerdings sind die Kommentare im Presse-Forum und im Krone-Forum allerunterste Schublade, da viele Österreich nicht akzeptieren wollen, dass gehörlose Personen eben Dolmetscher benötigen. Die Leute beschweren sich alle über die Dolmetscherkosten, aber diese sind eigentlich Kleinigkeiten zu den normalen Betriebskosten des Parlaments.

  38. Die Presse-Zeitung ist eine konservativ-liberale Volkszeitung, die Krone ein Massenblatt (ca. 3 Millionen Leser).

    Davon unabhängig sind die Kommentare in allen Zeitungsforen, Youtube, Foren allgemein teilweise erschreckend diskriminiernd, vorurteilsbehaftet, extremistisch, etc. Ich glaub, da ist jetzt nicht speziell Gehörlosigkeit und Österreich ein problematisches Thema, das gilt für alle „Minderheiten-“ Themen.

  39. Felios, danke für die Links.

    NewAtair, ich habe auch das Gefühl, es ist eher ein Problem bei Zeitungsseiten oder Youtube generell. Ist wirklich zum Kotzen, meistens. (Darum überlegen ja jetzt einige Medien, das Kommentarsystem über Facebook laufen zu lassen und hoffen, dass die Identifikationsmöglichkeit zur Mäßigung beiträgt…)

  40. Gut, dass ich dort nicht kommentiere, denn als Facebook-Unwilliger würde ich mir ja dann glatt diskriminiert vorkommen 😉

  41. Habt Ihr vielleicht das Buch von Helene Jarmer „Schreien nützt nichts“ gelesen? Wie ist Ihre Meinung dazu? Gibt es vielleicht die Kritik an seine Biographie?

  42. Dominik Holenstein

    Seltsame Diskussion betreffend Gehörlose und Autofahren: Die Flotthörenden hören beim Autofahren Musik oder Radio oder sind am Telefonieren. Da muss mir niemand sagen, dass sie einen Rettungswagen schneller bemerken als Hörbehinderte, die sich voll und ganz auf den Verkehr konzentrieren.

  43. He Write Silent uebt scharfe Kritik gegen Helen Jarmers Mitgliedschaft in der Oesterreichischen Gruenen Partei. Dabei vermischt er sie mit deutschen Politikern aus der Gruenen Partei und zitiert sie (moeglicherweise aus dem Kontext oder aus falsch verstandenem Kontext oder gar verleumderisch wiedergegeben), als ob Jarmer die zitierten Aussagen auch vertrtritt. Die zitierten Aussagen an sich selbst sind recht bloed, da fragt sich ein gesunder Menschenverstand, ob sie echt sind. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass Jarmer sie auch unterstuetzt. Ich kenne sie zu gut, um das sagen zu koennen.

    Ganz wichtig fuer einen tauben Politiker ist, ob die tauben Forderungen im Parteiprogramm einverleibt werden koennen. Weiter nichts. Leider haben sich andere Parteien sich so halbherzig verhalten. Siehe Deutschland steht im ueblen Ruf mit den Behindertenrechten. Der DGB und anderen Behindertenverbaenden ueberlegen jetzt, ob sie an die UN eine Beschwerde oder Klage schreiben werden.

    Ich war in Wien um 2000 und hatten mit ihr und Mitgliedern des Oesterreichischen Gehoerlosenbund beraten, wie der Verband sich politisch betaetigen kann. Daher die Fortschritte in Oesterreich, auch wenn alle Forderungen noch nicht alle durchgekommen sind. Ich sah, wie die Parteien stark Jarmer umwarben, darunter ein Praesidiumsmitglied der Oesterreichischen FDP, der ihr bessere Versprechungen fuer die politischen Forderungen in Sachen tauber Minderheitsgruppe bot. Result: wenigstens ein bilingualer Schulprogramm fuer taube Kinder wurde in der Stadt Wien eingerichtet. Aber Jarmer war immer liberal und fortschrittlich, was es um Menschenrechte und Benachteiligungen bestimmter Gruppen geht.. Sie wie die meisten tauben Menschen waren immer weltoffen und betrachten sich als „Weltbuerger“. Spaeter hat sie die Gruene Partei vorgezogen, weil sie ihren politischen Vorstellungen besser entsprach und sie mehr Erfolg in der Partei sah als anderswo. Sie wurde dort hoch auf der siebten Stelle in der Parteiliste bei der letzten Bundeswahl gestellt.

    He Write Silent schreibt ferner, dass es einerlei sei, welche Partei oder eine Koalition von Parteien die Regierung stellen. Es kommt auf das gleiche hinaus in der allgemeinen Politik.. Die Gruenen in der Regierungsmacht machte keine andere Politik als ohne ihre Mitbeteiligung, sagt er. Aber im Behindertenrecht vertritt die Gruenen jedoch eine ganz besere Linie als jede andere Partei. Wenn alle Parteien in anderen Bereichen nicht viel anders sind, macht es Sinn und wird notwendig, wegen der Behindertenpolitik ganz auf die Gruenen zu setzen.

  44. Stefanie N., ich kenne das Buch leider noch nicht, kann dazu also nichts sagen.

    Dominik, die „Gefährlichen“ sind vermutlich die Schwerhörigen, die es nicht lassen können, sich trotzdem zu unterhalten. 😉

    Hartmut, Du beziehst Dich auf das hier, richtig? Ich kenne Jarmer nicht persönlich und bringe ihr grundsätzlich erstmal Wohlwollen entgegen. Aber sie wäre eine schlechte oder zumindest erfolglose Politikerin wenn sie nicht auch zumindest ein bißchen das System von Strategie und Kompromiss, Regierung vs Opposition und Parteipolitik „spielen“ würde. Jedenfalls würde ich mich gern mal mit ihr über solche Dinge unterhalten.

  45. Not like Beethoveb, ja das ist richtig, kommt von dieser Seite.

    Du schreibst mit konjunktiven Verben. Also sollte dich nicht ueberraschen, dass sie ueber solche Sachen, die du als ihre moeglichen Schwaechen nennst,gut Bescheid weiss und mehr Erfahrung darin hat. Warum wechselt sie von den Blauen zu den Gruenen? Melde dich bei ihr als politischer Berater!

  46. Ich bin nicht sicher ob wir uns richtig verstehen. Gemeint war: Es würde mich überraschen bzw. ich denke, sie wäre nicht so weit gekommen wenn sie diese Erfahrungen nicht hätte.

  47. Wie du am 5. Sept. 12:05 schreibst, hinterlaesst die Lesung, naemlich, dass Jarmer wenig Erfahrung in den politischen Spielen hat. Dein letzter Satz sceint das zu sagen. Sorry.

  48. Die Andeutung, dass sie wenig Erfahrung habe, kann ich daraus beim besten Willen nicht herauslesen. Ich nehme mal das „aber“ und das „jedenfalls“ zurück, ohne sind die Sätze vielleicht klarer.

  49. Wir (fast) taube Nüsse sind umso bessere Beobachter – ich rede nicht nur vom Lippenablesen, da braucht bloß ein Nuschler, oder jemand mit Dialekt daherkommen… Wer über Jahre hinweg – zumal als Kind! – sich auf das Gesicht seines Gegenübers konzentriert hat, hat nicht nur eine Art siebter Sinn für die Mimik entwickeln können, sondern überdies eine Konzentrationsfähigkeit, die für einen Politiker doch nur von Nutzen sein kann.

  50. Sicher, in Verhandlungen zum Beispie könnte ich mir vorstellen, dass dieses Gespür nützlich ist wenn verhandelt wird, um zu sehen in welchem Zustand das Gegenüber ist (obwohl man zum erfolgreichen Verhandeln noch anderes braucht). Aber eigentlich denke ich, Beobachterfähigkeiten sind so universelle Vorzüge, davon hat man in jedem Beruf was.

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