Souveränität und Sekundenbruchteile (Schwerhörigkeit und die Fremdsprache V)

Wie schlägt man 30 Jahre Erfahrung? Ich muss jetzt sagen: Gar nicht. Sicher, es war schön, das Jahr in Boston Cambridge. Ich wäre gern dort geblieben und würde wieder hinziehen. Aber ich bin auch verdammt froh, wieder in Deutschland zu sein. Immer nur Glücksspiel schlaucht.

Deutsch ist für Schwerhörige einfacher als Englisch, sogar rein von den Lauten her. Es gibt nicht so viele Worte, die bis auf die Konsonanten gleich sind. Und gerade die Fähigkeit, die auseinanderzuhalten, verabschiedet sich am schnellsten bei Ertaubung. Ich hatte viel Spaß mit: tap, sap, flap, lap, cap, rap, pack, knack, hack, stack, back, rack, wack, sack, fun, pun, sun, run, shun, fun. Da hilft auch Lippenlesen nicht viel.

Hier in Deutschland dagegen — kleine Freuden!

Spreewald 01, Photo by Fünf Sorten Gold, all rights reserved

Einen Ausflug in den Spreewald machen, bißchen Paddeln. Während der Rast an einem — im übrigen ziemlich schnutigen — Gasthaus die Toilette suchen und unverhofft im Wohnzimmer der Besitzer landen. „Suchen sie was?“ angeherrscht werden, mit so spreewäldlerischem Dialekt — und trotzdem eine schnelle und passende Antwort finden. Ohne Zögern. Weil ich tatsächlich gehört habe, was gesagt wurde und nicht nur erschlossen.

Spreewald 02, Photo by Fünf Sorten Gold, all rights reserved

Auf Englisch hätte ich diesen unwirschen Hausherrn nicht verstanden. Ich wäre unsicher gewesen, was gerade vorgeht. Hätte gezögert. Wäre von dem Auftritt eingeschüchtert gewesen, hätte mich rechtfertigen wollen. Sicher, auch dort wäre die Situation in Sekunden oder gar Bruchteilen davon geklärt. Aber es wären quälende Bruchteile gewesen. Sowas mag nichtig erscheinen, für mich ist es wichtig. Denn aus diesem Zeugs ist mein täglich Frust und Lust gemacht.

Spreewald 03, Photo by Fünf Sorten Gold, all rights reserved

Wenn ich mich recht erinnere war meine Antwort nur ein „ja, die Toilette“.  Aber über die prompte Antwort freue mich wie ein Kind mit dem ersten Haufen.

7 Antworten zu “Souveränität und Sekundenbruchteile (Schwerhörigkeit und die Fremdsprache V)

  1. Schönes Homecoming dann!

  2. Typisch! Kaum wieder im Lande, und schon etwas lustiges/ total verrücktes/ einfaches+schönes gemacht, dass ich immer schon machen wollte und mich aber nie überwinden konnte. Spreewäldlerischen Dialekt hören, zum Beispiel. Weiß ich gar nicht, wie der geht.

    Nimmst Du mich das nächste Mal mit zum Paddeln?

  3. Besser selber hören als beschrieben kriegen, dazu ne Salz-Dill-Gurke und ein Schnäpschen. Also ja. Nächstes Mal.

  4. Der Unterschied im Verstehen von gesprochenen Sprachen durchs defektem Hoersinn ist eine Funktion von muttersprachlicher Kompetenz des Hoerers. NqlB versteht Deutsch besser als Englisch, weil in ihrem Gehirn mehr von dem Deutschen sitzt als Englisch.

    Ich kenne viele Schwerhoerigen in den USA, die das gesprochene Englisch muehelos am Telefon verstehen koennen.

    Aber interessanter ist, wie die Englischsprecher mein gesprochenes Englisch verstehen. Ich habe eine gepraegte taube Aussprachweise. Mein Deutsch wird oft in Geschaeften oder bei Aemtern nicht verstanden. Ich musste wiederholen oder zum Aufschreiben gezwungen. Jedoch meine englische Aussprache, die ich mir autodidaktatisch als Erwachsener beigebracht habe, wurde in England und in den USA haeufiger verstanden.

    Wann warst du in Cambridge? Ich wohne in Arlington.

    Hartmut

  5. Wie gesagt, 30 Jahre (Hör-)Erfahrung mit der Sprache sind kaum zu toppen, denke ich auch.

    Wenn Dein Englisch besser verstanden wird als Dein Deutsch, vielleicht liegt das ja daran, dass Deine „gepraegte taube Aussprachweise“ der „normalen“ englischen Ausspracheweise ähnlicher ist als der „normalen“ Deutschen. Also ich meine was Abfolgen von Vokale und Frikative und Konsonanten etc angeht. Nur so eine Vermutung.

    Ich war bis vor einem Jahr dort. 🙂

  6. Pingback: Eine Art Fegefeuer — Schwerhörigkeit und die Fremdsprache VI | Not quite like Beethoven

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