Kant, nicht Keller. Oder?

Nicht Sehen trennt von den Dingen. Nicht Hören von den Menschen

Ein Spruch, der in fast jedem Buch und Artikel über Schwerhörigkeit, Ertaubung und Gehörlosigkeit vorkommt und der meist Helen Keller zugeschrieben wird — einer Taubblinden, die es ja wissen muss.

Dabei scheint der Spruch ursprünglich von Kant zu sein, dem Philosophen, der sein Leben fast ausschließlich in Königsberg verbrachte, was seiner Philisophie oft von naseweisen Erstsemestern zum Vorwurf gemacht wird. Hahaha, der habe doch von der Welt nichts gesehen und dann so einen Anspruch!

Ist es nicht interessant, dass der allgemein zustimmungsfähige Spruch über Taubheit und Blindheit von jemand zu sein scheint, der selbst kein besonderes Problem mit hören und sehen hatte?

Der Mann muss wirklich außergewöhnliche Vorstellungsgabe gehabt haben. Gut, okay, wir reden hier über Kant, stimmt…. Allerdings habe ich nirgends eine Quellenangabe gefunden, hat irgendjemand eine?

42 Antworten zu “Kant, nicht Keller. Oder?

  1. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass der Spruch von Kant kommt. Zwar habe ich keinen Beleg, keine Quelle, der ich wirklich vertraue, aber das Zitat wurde zumindest im Internet häufiger Kant zugeschrieben als Keller. Was jetzt natürlich auch kein Beweis ist. Trotzdem, mein Bauchgefühl sagt Kant. Es heißt, dass Kant den Spruch erwähnt hat, und Kant starb 76 Jahre vor Kellers Geburt. Von ihr kann er den Spruch also nicht übernommen haben, nur umgekehrt. Wobei es jetzt natürlich gut sein kann, dass Kant ihn ebenfalls irgendwo gehört/gelesen hat, wer weiß das schon?

  2. Meine Recherchen hinsichtlich einer Quelle sind leider ergebnislos geblieben. WENN diese Aussage von Kant wäre, müsste sie doch irgendwo niedergeschrieben und nachlesbar sein.

  3. Ich finde den Spruch ziemlich ätzend. Er ist nicht nur total defizitorientiert, sondern auch noch falsch. Nicht sehen zu können, trennt nicht von Dingen. Mein Freund (blind) und ich gehen gerne shoppen und kaufen uns z.B. schöne Sachen für unser Haus. Die fasst er an, ich beschreib sie ihm und wir entscheiden gemeinsam.
    Und ich habe sehr nette Gespräche mit gehörlosen Menschen geführt und bin mit gehörlosen Menschen befreundet. Trennung von den Menschen? Habe ich so nicht erlebt. Pauschalisierungen sind fast immer falsch. So auch in diesem Fall.

  4. schrecklichschoenesleben

    Was bedeutet dieser Spruch denn für Dich? Kannst Du damit was anfangen oder siehst Du es eher so wie die Vorschreiberin Christiane?

    Lieben Gruß

  5. So, wie der Spruch hier geschrieben ist, „Nicht Sehen“, „Nicht Hören“, ist er irgendwie missverständlich, es ist doch Nichtsehen und Nichthören gemeint? Ansonsten könnte man es ja so verstehen, dass nicht (das) Sehen von den Dingen trennt, sondern – etwas Anderes. Tja, schon komisch.
    Dass sich ein Zitat nicht eindeutig zuordnen lässt, passiert eben. (Hatte ich unlängst auch. Das war ein Zitat, das man – im Netz – Goethe zuschrieb, aber Rilke könnte es auch sein, in Goethes Werken fand es sich nicht usw.) Man könnte Kant-Experten fragen, die können einem sicher weiterhelfen. Ich weiß jedenfalls nicht, von wem der Spruch stammt, ich kannte ihn bisher noch nicht einmal…
    Ich hoffe, Dir geht es (den Umständen entsprechend – wie sich das anhört, aber was Besseres fällt mir jetzt nicht ein) gut. Viele Grüße!

  6. Also dass Keller nicht die Quelle des Spruchs ist, dachte ich schon. Nur leider finden weder ich noch meine kantbewanderten Freunde die Stelle. Ich dachte, es könnte vielleicht aus der Anthropologie sein, aber…. Naja, gibt’s halt sowas, ein geflügeltes Wort. Und stimmt, so geschrieben ist er mißverständlich.

    Ich verstehe sehr gut, was Christiane meint. Der Spruch taugt nicht als Motto zur Gestaltung des eigenen, betroffenen Lebens. Und er sollte auch nicht, im Präteritum, auf dem Grabstein stehen, das wäre dann ein unnötig trauriges Leben gewesen.

    Aber ich kann dem Spruch schon einiges abgewinnen. Man muss sich mal überlegen wie er gemeint sein könnte, denn es ist ja offensichtlich, dass z.B. Blindheit Dinge nicht zum Verschwinden bringt (man kann trotzdem in sie hineinlaufen) und sie in gewisser Weise sogar näher rückt (weil der Distanzsinn Sehen fehlt und man tastet). Ansonsten will ich mich zu Blindheit nicht weiter äußern, da kenne ich mich schließlich nicht aus.

    Was Nichthören angeht, ich finde schon, dass man sagen kann das „trennt von den Menschen“. Nämlich insofern als Lautsprache schwer oder gar nicht möglich ist — und wie sich das auswirkt, ist ja schon lange ein Thema in diesem Blog. Klar, es gibt noch sehen, fühlen, schmecken und riechen. Aber wenn man sich so den Globus und die Geschichte anguckt, glaube ich nicht dass man übertreibt, wenn man sagt, dass Lautsprache ein sehr wichtiges, vielleicht sogar DAS Mittel zur Verbindung von Menschen ist. Nicht nur zur kooperativen allerdings, das meine ich nicht, auch Streit, Vorwürfe und Erniedrigung sind Formen von Verbindung. Gut, die Schrift ist seit einiger Zeit dabei, extrem Boden gut zu machen. Aber zum Schreiben braucht man immer Hilfsmittel.

    Schließlich noch Gebärdensprache – da wird der Spruch dann absurd, das stimmt. Man könnte quantitativ werden und sagen: Nichthören trennt von den vielen Menschen, die keine Gebärdensprache können. Aber da wird’s dann wirklich schwierig und man sollte den Spruch besser lassen.

  7. Ich sehe das mit dem Nichthören ähnlich. Es gibt viele Situationen, in denen ich durch meine Behinderung extrem eingeschränkt bin, z.B. bei lustigen Kneipenabenden. Bis ich da kapiert habe, welches Thema gerade behandelt wird, sind die anderen schon drei Themen weiter, d.h. ich kann so gut wie nie mitreden. Das ist extrem anstrengend, sowohl für mich als auch für meine Freunde. Deshalb gehe ich eher selten weg, weil es mir einfach zu stressig ist. Natürlich kann man nicht generell sagen, dass das Nichthören von den Menschen trennt. Ich habe Freunde, kann gut mit meinen Kollegen kommunizieren und mich unter günstigen Umständen auch problemlos mit Fremden unterhalten. Aber sobald ich irgendwie behindert werde, und dazu reicht schon das Brummen eines Autos, ist es damit vorbei.

  8. I do know the quotation and have seen it ascribed to a text. I will have a better search later on and let you know.

    I have no wish to swap blindness for deafness, I see an eye specialist every 6 months to check out my at risk eyes so this is a subject close to my heart.

    An example of blindness and deafness was when I was staying with some friends once. The husband would not put the captions on the TV for me- it distracted him he said. So I read instead, he thought this was rude and I should be joining in. At the end of the stay the wife’s sister came to stay. She is blind. The couple told her what was happening on the TV when there was no sound. At dinner they were all joking and laughing, they told the sister where her food was on her plate, where her glass was, what was happening,but only stopped to explain to me when I asked them. I felt isolated then.

  9. Thanks, mog, for having a look! Your example is a really weird combination of of disrespect and ignorance, even without their accomodation of the wife’s sister’s blindness. I’m sorry you had to go through that.

  10. Ich war noch sehr jung, also war es wohl vor ca. 55 Jahren, als ich einen Beitrag über Helen Keller im Radio hörte. Schon damals wurde ihr dieses Zitat zugeschrieben und ich konnte es spontan verstehen. Nicht ohne Grund werden Blinde als Sehende bezeichnet – weil sie durch das Sehen nicht getäuscht werden können. Die Seele vermittelt sich durch die Stimme. Der Hörsinn ist auch wesentlich ursprünglicher, als der Sehsinn. Wir können schon im Mutterleib hören und nach der Geburt Stimmen unterscheiden. Christiane schreibt, dass sie sehr nette Gespräche mit Gehörlosen geführt habe, und „es so nicht erlebt habe“. Wie sollte sie auch, sie ist ja nicht gehörlos. Sie sollte sich einmal genau durchlesen, was Nikana dazu zu sagen hat. Noch ein wichtiger Aspekt: Wir können rund um uns herum hören, dagegen ist unser Gesichtsfeld wesentlich eingeschränkt. Ein Grund, weshalb Gehörlose ihre Furcht vor Überraschungen erst beherrschen lernen müssen. Sie leben auch viel gefährlicher, weil sie z. B. herannahende Fahrzeuge nicht hören. Gehörlose sind verständlicherweise oft misstrauisch, weil sie nicht wissen, worüber die Menschen sprechen, die sie umgeben.

  11. Hallo Simplicissimus! Also dass Gehörlose herannahende Fahrzeuge nicht hören können stimmt ja, aber ob sie deswegen tatsächlich gefährlicher leben bin ich nicht so sicher. Immerhin gucken die meisten ganz anders und viel aufmerksamer in die Welt.
    Habe auch mal gehört, dass der Hörsinn so einer der letzten sei, die sich beim Sterben verabschieden. Keine Ahnung ob es stimmt, zumindest in Filmen ist’sja beim Aufwachen aus Bewußtlosigkeit häufig so, dass die Leute schon was hören, aber noch nichts sehen. Über die Sache mit dem Gesichtsfeld habe ich mir auch schon mal Gedanken gemacht. Schönes Wochenende wünsche ich!

  12. just like Beethoven

    Es spielt keine so große Rolle, ob der Spruch „Nicht sehen können trennt von den Dingen, nicht hören können von den Menschen“ nun von Helen Keller stammt oder von Kant. Viel wichtiger ist, daß ihm Wahrheit zugrundeliegt, die nicht geleugnet werden kann. Denn unser Gefühlsleben wird akustisch mehr beeinflußt als optisch, nur bekommen es die meisten Menschen nicht mit. Blindheit läßt sich durch Schließen der Augen nachvollziehen, Taubheit hingegen niemals ausblenden. auch nicht mit den dicksten Wattepfropfen. Und das ist die Ursache, wenn Menschen in Umfragen meist zu 90% angeben, Blindheit sei schlimmer. Denn diese Hilflosigkeit können sie sich vorstellen, wissen aber nicht, welchen gewaltigen Streß Taubheit in Sachen Kommunikation auslöst. Gespräche werden mühsam, zumal wenn man nur auf dieses klägliche Absehen angewiesen ist. Zurücklehnen kann sich da keiner, um ein Gespräch in gelöster Atmosphäre zu verfolgen, denn es kommen dauernd die Mühen des Lippenabsehens dazu, die den Menschen zum lauernden Tier machen, um erst nur mal am Thema dran zu sein. Ganz besonders dann, wenn überhaupt keine Hörreste vorliegen. Vergessen wir nicht, was die Zahlen des Freizeitverhaltens verraten. Gut 70% geben an, in ihrer Freizeit Musik zu hören und bezeichnen das als ihr liebstes Vergnügen. Wenn das Hören plötzlich wegfallen würde, wäre das eine ganz schmerzliche Notlage. Denn auf die Musik, der man so gern gelauscht hat, müßte man nun radikal verzichten. Und würde die Melodien, die neu ins Leben treten, gar nicht kennenlernen. Darüber hinaus müßten die entspannenden Elemente, die dem Hören innewohnen, entbehrt werden. Nur wer es wirklich durchlebt hat, kann das ermessen.

    Die Bedeutung des Hörens wird uns auch dann bewußt, wenn wir einen Veranstaltungskalender betrachten und uns dabei das Hören wegdenken. Ehrlich gesagt bleibt dann nicht mehr viel und die ganze Veranstaltung würde dadurch ziemlich trostlos ausfallen.

    Das schwere Schicksal der Blinden leugnet keiner, doch angeführter Spruch hat schon irgendwie Berechtigung. Sonst wäre er gar nicht entstanden. Bei Auseinandersetzungen darüber könnte man ausgleichend sagen: „Eines ist so schlimm wie das andere“, aber nicht, wie es schon oft geschehen ist, Taubheit verniedlichen. Der Aussage „Ist doch noch besser als nicht sehen können“ sollte jedenfalls energisch widersprochen werden.

  13. CharlyBrown

    just like Beethoven,
    guter Beitrag. Du bist mir zuvor gekommen.
    Ich habe ganz ähnliche Gedanken zum Thema.
    Das der Spruch Wahrheit in sich hat, ergibt sich
    auch, wenn man Berufstätigkeiten vergleicht.
    Handwerkliche Tätigkeiten (mit Dingen umgehen) ist für Gehörlose kein Problem.
    Alle Berufe, wo viel Kommunikation mit Kunden
    usw vorkommt, kann kein Gehörloser ausüben.
    Umgekehrt sind qualifizierte handwerkliche Berufe für Blinde unmöglich. Berufe bei denen Kommunikation die Basis ist, können von Blinden recht gut ausgeübt werden.

    Der Spruch wird von manchen Menschen
    subjektiv interpretiert und abgelehnt.
    Zum Beispiel schreibt Christiane, das ihr blinder
    Mann nicht von Dingen getrennt ist und sie
    mit Gehörlosen in Gebärdensprache gut kommunizieren kann.
    Aus ihrer Sicht mag Christiane recht haben.
    Und es gibt auch einzelne Gehörlose, die so
    gut Lippenlesen (oder mit Hörhilfen), das sie
    für sich behaupten, nicht von den Menschen getrennt zu sein.
    Das bedeutet aber nicht, das es ein „pauschalierender, negativer Spruch“ ist.
    Es ist einfach ein Spruch, der kurz
    und treffend die Situation beschreibt.

    Über Helen Keller wurde leider schon viel
    „Märchen“ geschrieben.
    In meiner Jugendzeit stand in einer Zeitschrift:
    Sie kann durch Handauflegen auf den Mund eines Sprechenden das gesprochene verstehen.
    Ein ebenfalls tauber Schulfreund ist heute noch
    stinksauer auf all die „Helen-Keller-Märchenor“.
    Seine Mutter war nicht zufrieden mit seinen
    Fähigkeiten im Lippenlesen und hat ihm vorgehalten, das die blinde Helen Keller mit
    Handauflegen besser versteht.
    Nichts gegen Helen Keller persönlich.
    Sie hat sehr wahrscheinlich nicht alles mitbekommen, was diverse Leute über sie geschrieben haben.

  14. Pia Butzky

    @ just like B. „… denn es kommen dauernd die Mühen des Lippenabsehens dazu, die den Menschen zum lauernden Tier machen, um erst nur mal am Thema dran zu sein.“ Das ist ja soo wahr. Lauerndes Tier – treffender Vergleich.

    Im Übrigen hat es mich immer schon gewundert, warum gern eine Hitparade der Schlümmen Dinge aufgestellt oder eine Richterskala der Katastrophen ermittelt wird, wenn jemandem was fehlt. Zum Beispiel: „Was ist schlimmer, nicht hören oder nicht sehen können?“ Ganz simples Spiel. Wenn einer ein Bein verliert, was gibt es Schlimmeres? Zwei Beine ab. Wenn jemand ein Kind verliert, was gibt es Schlimmeres? Zwei Kinder verlieren. Wenn jemand das Gehör verliert, was ist dann noch schlimmer? Das Gehör verlieren und den Wohnungschlüssel verbusseln. Oder noch dazu eine kranke Mutter und noch Steuerschulden. Oder auch noch blind sein. Schlimmer als blind sein: Blind und von Mücken zerstochen oder noch dazu Krampfadern. Es gibt ja immer noch etwas Schlimmeres. „Sie froh, dass du nur …“

    Ist doch Qark, sowas.
    Katastrophenhitparade wird gern von nicht-betroffenen Leuten aus Angstabwehr gespielt, weil sie selbst nicht mit Verlust/Behinderung zurecht kommen würden. Sie sagen gern: „Ach, es gibt Schlimmeres.“, meinen aber eigentlich: „Ich will mich damit nicht befassen, ich habe Angst davor.“

    Zu meinem persönlichen Empfinden als Schwerhörige mit CI: Ja, man ist getrennt von allem, auch von der Welt, es ist nicht wirklich echt, was ich erlebe. Das Körperempfinden ist anders, weil man beim Hören ständig angestrengt sein muss. Wenn man es nicht ist (z.B. Augen geschlossen und dösen), wird Geräusch schnell zu Missempfinden = hört sich einfach *scheiße* an. Das „Sein“ in der Welt ist wie hinter Glas. Man ist zwar drin und grübelt auch nicht drüber, aber man ist wie in einem „Papamobil“, dieser Glaskasten vom Papst, ihr wisst schon. Ich war mal perfekthörend und habe deutlich das körperliche Gefühl, mit CI nicht mehr wirklich „in der Welt“ zu sein. Obwohl ich damit meistens gut verstehe.

    Verstehste das?

  15. Pia Butzky

    @ Charly Brown

    Stimmt, das Idealisieren von einzelnen prominenten Behinderten ist nervig. Aber da kann man gut kontern und zurückfragen, warum denn der jeweils gegenüberstehende nichtbehinderte Mensch keinen Nobelpreis und keine superlativen Leistungen vorzuweisen hat? Müsste er doch eigentlich, weil er ja durch nichts gehemmt ist. Wieso gibt es dann so unglaublich viele nichtbehinderte Menschen, die kaum leistungfähig oder durchschnittlich gebildet sind? Warum sind die Elitegruppen in der Gesellschaft so klein, wenn doch die Meisten nicht behindert sind und also Gigantisches leisten könnten? Muss man doch mal fragen, wenn mit Hellen Keller gewedelt wird. Aber die meisten Menschen wissen ja auch nichts von Hellen Keller …

  16. just like Beethoven

    @Charly Brown,

    wie ich sehe, waren wir ein weiteres Mal einer Meinung. Das Bild über die beiden Behinderungen fällt deshalb gleich bzw. ähnlich aus. Ganz allgemein sind die Auswirkungen der Taubheit bekannt. Dennoch gibt es Unterschiede im Vorleben der Menschen, die erschwerend oder abmildernd dazukommen. War jemand zuvor sowohl ein akustisch als auch optischer Typ, so kann er sich mit der Zuwendung anderer Tätigkeiten etwas leichter mit der Taubheit abfinden. Ein vorwiegend optischer Typ wird den Verlust des Sehens viel weniger verschmerzen können. Für Maler oder Bildhauer wäre die Erblindung das schwerere Schicksal. Und umgekehrt ist für den, der rein akustisch veranlagt war, die Ertaubung natürlich am schlimmsten.

    Der Spruch, so wie ihn Christiane empfindet, unterscheidet sich von unserer Ansicht. Man hat bei ihrer Darstellung den Eindruck, als würde ein Vereinsleben zugrundegelegt und irgendwie die „Aktion Mensch“ durchschimmern, bei der es oft um Aufheiterung von schwerer Behinderung um jeden Preis geht. Nicht jeder Blinde kann das Beschreiben von Gegenständen als gleichwertigen Ersatz für den erlittenen Verlust empfinden. Eher ist das Gegenteil der Fall.

    Charly, Du mußt Dein Licht in Sachen Absehen nicht unter den Scheffel stellen, denn auch Du könntest Beispiele aufzählen, wo eine gute Kommunikation möglich war. Aber die läßt sich nie so recht einplanen, weil sie von vielen Faktoren abhängig ist. Es liegt in der Natur der Sache, daß auch „perfekte Lippenleser“ bei Taubheit niemals in allen Lebenslagen behaupten können, von der hörenden Welt gar nicht getrennt zu sein. Auch wer noch so gut absehen kann, würde kaum einen halbwegs schnell gesprochenen Satz aus dem Off verstehen. Alle, die auf seriösen Seiten im Internet darüber schreiben, bestätigen das. Was leider am Leben erhalten wird ist der „Mythos“ Absehen. Und wer wirklich besser versteht, verfügt über Hörreste, die das Absehen zum Pseudoabsehen werden lassen. Laß es mich an einem Beispiel verdeutlichen: Im vergangenen Jahr hatte ich erstmalig eine Besucherin hier bei mir zu Gast, die schwerer hörgeschädigt war. In unserer Korrespondenz zuvor sprach sie immer vom Absehen, das ihr in der Kommunikaton helfen würde. Bis ich merkte, daß es ein Absehen der „anderen Art“ war. Sie blickt die Menschen dann zwar an, aber ein pures Absehen (oftmals sogar recht flüchtig) kann so nicht funktionieren. Das habe ich sehr wohl bemerkt. Dabei steht in den Papieren „an Taubheit grenzend“ schwerhörig. Das ist für mich wie ein Hohn, wenn ein Mensch daneben zusätzlich noch telefonieren kann. Wir haben uns gut vertragen, aber wenn es in icq-Gesprächen um den Hörstatus geht und der Begriff „an Taubheit grenzend“ fällt, sage ich ihr offen: „Du redest Unsinn“. Sie hat dann auch zugegeben, daß in ihrem Fall Absehen nur ein „Begleiteffekt“ ist. So ehrlich sind nicht alle, sondern lassen ihre verbesserte Situation als glänzendes Absehen durchgehen.

    Das „Märchen“ von Helen Keller kenne ich ebenfalls. Auch für mich ist es starker Tobak, wenn behauptet wird, man könne durch Handauflegen auf den Mund Sprache ertasten. Mark Twain wird gern mit Helen Keller in Verbindung gebracht, der sie nicht genug rühmen konnte. Woran auch gar nichts auszusetzen ist. Deshalb muß man längst nicht alles glauben.

    Manchmal wirken Dinge im Leben nach. Wenn Deinem Schulfreund angeblich ungenügende Absehfähigkeiten heute noch sauer aufstoßen, kann ich mir das recht gut vorstellen. Da wurde nicht überlegt, was Lippenlesen wirklich bedeutet, sondern einfach ein falsches Ideal übernommen. Auch ich habe das in der Vergangenheit erlebt. Und heute wird dem Mythos „Lippenabsehen“ mehr noch als damals neue Nahrung verschafft durch Auftritte einer Sarah Neef in Talkshows. Das steuert darauf zu, noch höhere Leistungen im Absehen zu erwarten. Menschen in völliger Unkenntnis darüber wird somit kein guter Dienst erwiesen, da sie das Gesehene als Maßstab ansehen und die Realität ganz falsch einschätzen.

  17. Vielen Dank für Eure langen Überlegungen!

    Just like B., es stimmt, dass sich „Normalos“ Blindheit leichter vorstellen können als Taubheit, nämlich durch Schließen der Augen. Mit Hilfsmitteln, nämlich Ohrstöpseln, geht das aber. Ich kenne einige Fälle, in denen sich Leute teils speziell gefertigte eingesetzt haben und damit den Alltag durchlebt. Übereinstimmende Berichte: FURCHTBAR! Gefühle der Ausgeschlossenheit und Orientierungslosigkeit, Schwindel

    Charly Brown, ich kenne leider ziemlich viele Fälle, in denen Eltern ihr Kind mit X (setze Vorbild Deiner Wahl ein) vergleichen. Ich finde das wirklich furchtbar, immer nur zu vergleichen und so einen Druck zu erzeugen, anstatt das Kind da abzuholen wo es ist und zu unterstützen. Teils ist das ja nur überforderung der Eltern, teils aber auch geradezu bösartig.

    Pia, das Leben im Papamobil — die perfekte Beschreibung! Deckt sich genau mit meiner Erfahrung. Ansonsten, nein, um hinter dem eigenen Potential zurückzubleiben braucht man wahrlich keine Behinderung. Und ich glaube diese Hitlisten sind ein Zeichen von Langeweilse, zu wenig Katastrophen im eigenen Leben.

  18. @CharlyBrown:
    Meinst Du Tadoma? (Mit dem Handauflegen.)

  19. PS
    Was heißt eigentlich „discarded“ (in den Müll geschmissen, wenn ich mich nicht täusche)…
    sortierst Du aus, Not quite? 😉

  20. Nur zur Ergänzung: Tadoma.

    Rainbow, ich weiß nicht, was Du meinst. Bist Du jemand anders oder nur heute Regenbogen auf englisch?

  21. Regenbogen

    Hm…jetzt geht´s wieder.
    Hatte vorher als Regenbogen zweimal versucht, einen Beitrag abzusetzen, und erhielt nur die Rückmeldung „discarded“ – und kaum hab´ ich´s mit dem englischen Wort versucht, hat´s geklappt.
    Naja, vielleicht hatte ich ja auch einen Fehler bei der Mailadresse, die man eingeben muß, oder so….

    Sorry, wollte Dir jetzt nichts unterstellen, dachte, vielleicht hab ich was falsch gemacht und jemanden auf die Zehen getreten (in Foren werden ja manchmal Leute gesperrt…)…
    wär dann nicht meine Absicht gewesen, kann aber ja dennoch mal passieren.

  22. Ich habe keine Ahnung wieso Du diese Meldung erhalten hast und was sie genau bedeutet. WordPress bzw. Akismet erkennt manchmal falsch positiv Spam aber das landet dann in einem Ordner, den ich in der Regel spätestens am nächsten Tag sehe. Da war aber nichts von Dir drin.

    Bevor ich hier jemandes Name, Email oder IP sperren würde, würde ich es ankündigen. Außerdem hast Du doch nur Gutes geschrieben. Oder hab ich die geheimen Botschaften übersehen? ^^

  23. Regenbogen

    Nee, aber es gibt ja auch Mißverständnisse. 😉

    Ach ja, manchmal spinnen Computer ja auch. Wie heißt es doch so schön, Irren ist menschlich, aber für ein richtiges Chaos braucht man den Computer. gg

  24. CharlyBrown

    Regenbogen, in meiner Jugendzeit kannte hier in Deutschland niemand Tadoma.
    Ich hatte beim schreiben meines Beitrag auch nicht
    an Tadoma gedacht.
    Vieleicht war damals ein grosses Missverständnis,
    als in deutschen Zeitschriften geschrieben wurde,
    Helen Keller kann mit Handauflegen das gesprochene verstehen. Im US-Original war vermutlich Tadoma gemeint und in der deutschen Übersetzung wurde daraus etwas ganz
    anderes.

  25. just like Beethoven

    not quite, vielleicht hast Du wirklich recht und es gibt Möglichkeiten, Taubheit mit speziellen Ohrstöpseln auszublenden. Ich bin von Untersuchungen ausgegangen, bei denen das verneint worden ist. Doch bei den Wenigsten besteht das Bedürfnis nach einem Austesten. Da ist der Reflex, die Augen zu schließen, um sich Blindheit vorzustellen, schon bequemer und weiter verbreitet.

    Pia, Dein 2. Absatz erinnert mich an das „Irische Tagebuch“ von Heinrich Böll mit der Philosophie: „It could be worse“ – es hätte schlimmer kommen können: die geliebte und verehrte Großmutter ist gestorben, obwohl es auch der Großvater hätte sein können; der Hof brennt ab, aber die Hühner werden gerettet. Also sind wenigstens die am Leben geblieben. Und das Schlimmere, daß man selbst zu den Opfern gehören könnte, ist nicht eingetreten. Statt des Beines hätte man sich den Hals brechen können. Usw.

    „Dieser Poesie des Unglücks“ gibt man sich nicht gern hin, aber in der „Hitparade des Schlimmeren“ sehe ich nicht nur Nachteile, sondern auch viele Vorzüge. In Situationen mit kaum erdenklichen Belastungen drängen sich diese Gedanken nämlich auf und helfen überhaupt, Leben auszuhalten. Und ich bin sicher, auch Du würdest dich ihrer bedienen, wenn das Schicksal noch unberechenbarer wäre.

    Unter einem anderen Aspekt gebe ich Dir allerdings recht und sage, daß es diese innere Abwehr der Nichtbehinderten natürlich gibt. Die Denkweise sieht meistens so aus: „Ich meine es ja gar nicht schlecht mit ihm/ihr, aber warum soll ich gerade derjenige sein, der sich kümmert – es gibt ja noch so viele tausend andere“. Und die tausend anderen denken ebenfalls wieder so. Es wird sich also kaum etwas ändern. Auch nicht mit den Psychologen, auf die so gern verwiesen wird. Deren altbackene Floskeln richten eher Schaden an als daß sie helfen.

    Was Du über die Art Deines Hörens sagst verstehe ich schon. Es ist verfremdet, so wie es von Vielen beschrieben wird und läßt sich nicht mit dem früheren Hören vergleichen. Aber auch darin liegt ein Stück Normalität. Hast Du aber nicht trotzdem allen Grund dankbar zu sein, sogar sehr dankbar? Denn Du schreibst ungeachtet dessen, daß Du meist gut verstehst. Einen solchen Zustand beklagt man nicht, sondern muß froh sein, wenn er einem vergönnt ist!!!

  26. Ich finde, sich klarzumachen, dass es immer noch schlimmer kommen kann aber auch besser, ist ganz hilfreich.

  27. just like Beethoven

    not quite, wirklich schade, daß es hier keine Editorfunktion gibt. Wie schon mal erwähnt, kannst Du das leider nicht einrichten. Dann würde ich jetzt korrigieren. Am Anfang muß es natürlich richtig heißen: „Hören auszublenden“. Ansonsten könnte man ja das Gegenteil annehmen. Das wäre schon schön.

    Dinge, die wirklich besser werden können müssen eine realistische Basis haben. Dann ist auch eine gewisse Hoffnung berechtigt und ich habe nichts dagegen einzuwenden. Es kann aber auch gefährlich werden, Hoffnung zu sehr zuzuspitzen, weil dann Illusion daraus wird. Es ist meiner Meinung nach wichtig, Machbarkeit und Zukunftsaussicht richtig einzuschätzen.

  28. Pia Butzky

    @ just like beethoven

    Genau das meine ich: Das jemand Fremdes bewertet und bestimmt, womit ich zufrieden sein soll oder was ich wie auf welche Weise empfinde. Oder worüber ich froh sein soll. Aber Hall! Das darf ich doch immer noch selbst tun.

    Ich halte es für eine Unsitte und ganz schlechte Manieren, jemand Anderem zu sagen „Sie froh, dass …“. Im Grunde zeigt man damit einfach nur Abwehr und mangelnde Empathie.

    Schaut euch die Welt an: Es wird unter Leuten, denen es materiell und gesundheitlich gut geht, um Kleinkram gestritten und um Haarspalterei diskutiert, die Leute sind meckerich und ihre Probleme bewegen sich im Mikrobereich. Aber wenn jemand mal so richtig Pech oder ein katastrophale Erlebnis hat, sagt man: „Sie froh …“

    Na, da müssten doch alle Leute ohne ernsthafte Schäden oder Verluste logischerweise rund um die Uhr FROH sein und rein dammelig vor Freude durch die Gegend laufen. Also: Das Frohsein gefälligst mal vormachen. Denn man hat gefälligst froh zu sein!

    Ob man für sich selbst aus dem Vergleichen mit Schlimmerem einen Trost ziehen kann, ist auch die persönliche eigene Sache. Grundsätzlich mal kann man allerdings jeden Menschen, der etwas Schlimmes erlebt oder erleidet, so richtig vor den Kopf stoßen mit „Sie doch froh …“. Das ist eine „Sie still“ – Antwort, eine ganz sicher nicht freundlich gemeinte Anweisung. Oha, warum kann man sich das denn nicht verkneifen? Warum möchte man abwehrend und bevormundend jemand Anderem gegenüber sein? Könnte man doch mal ernsthaft überlegen.

    So. Wer auch immer den Spruch gern verwendet: Sei doch gefälligst selber froh!

  29. just like B., ja die edit-Funktion wird schmerzlich vermisst. Sorry. Und richtig einschätzen ist wichtig, ja. Obwohl ich auch noch nicht völlig ausgeschlossen habe, dass es sich konsequent illusionär-verdrängend auch ganz gut leben könnte.

    Pia, „Sei doch gefälligst selber froh!“ 🙂 Klasse! Leute die einem Gefühle vorschreiben wollen. Nun ja. Ich glaube das ist oft nur kaschierte Hilflosigkeit bzw. Unwissen, was man sonst sagen soll angesichts von was richtig üblem. Und hat meistens was damit zu tun, dass man selber nicht die Erfahrung etwas richtig üblen hatte.
    Zum Fröhlichsein vs. Meckern über Nichtigkeiten, ich denke inzwischen, das ist mehr eine Charakterfrage als der Lebensumstände oder ob man eine Behinderung hat oder nicht. Also, längerfristig gesehen. Kurzfristig kann es da natürlich extreme Ausschläge geben.

  30. just like Beethoven

    @Pia,

    bei meinem Standpunkt bleibe ich schon. Fehlende Empathie möchte ich mir deshalb nicht vorwerfen lassen. Es ist richtig, wenn Du sagst, daß bei der Betrachtung der Welt Nichtigkeiten beklagt und Probleme aufgebauscht werden, die überhaupt keine sind. Wenn Du mir rätst, selber froh zu sein, dann tue ich das auch im Bewußtsein, daß Menschen noch schlimmer dran sind als ich. Das ist alles andere als egoistisch und ich stoße damit keinen vor den Kopf. Es würde dann vorliegen, wenn schwerwiegendere Sachen nicht wahrgenommen werden. Dieser Vergleich darf erlaubt sein, und darauf wollte ich in erster Linie hinweisen.

  31. Oh, ich hatte das gar nicht so gelesen, dass Pia sich über just like B. beschwert. Nunja, ich habe wohl den besten Überblick über das gesamte Blog, aber dafür entgehen mir Zusammenhänge in einzelnen Threads. 😉

  32. just like Beethoven

    not quite, ich möchte nicht unbedingt von Beschwerde sprechen, aber als indirekten Vorwurf im letzten Absatz könnte ich es so werten. Doch habe ich das schon längst geschluckt und übersehe nicht, daß ja von Pia auch Zustimmung kam. Nicht nur in diesem Thread.

    Meinerseits war alles ganz anders gemeint. Nicht belehrend, sondern nachdenklich. Ich wollte darauf hinweisen, daß es nicht selbstverständlich ist, wieder gut zu verstehen und man dafür schon dankbar sein kann. Mein „Sei doch froh“ habe ich in Kenntnis der Materie ausgesprochen. Und das unterscheidet sich von Sprüchen, die gedankenlos dahergesagt werden. Wie bei den hier besprochenen Einschätzungen der beiden Behinderungen, die so oft falsch interpretiert werden.

    Wir dürfen in CI-Zeiten nicht übersehen, daß nicht alle davon profitieren und auch die Nichtbegünstigten ein Anrecht haben, sich darüber zu äußern. Dann hat dieses „Sei doch froh“ einen ganz anderen Aussagewert und ist gar nicht so ungewöhnlich.

  33. Noch mal zurück zum Zitat: in der Berufsschule für Hörakustik steht der selbe Spruch – nur ist hier der Verfasser Voltaire !!!
    Helen Keller hat laut WikiQuote.uk was ähnliches gesagt, was man auf diese Kurzform bringen kann. Eine Quelle für Kant oder Voltaire habe ich aber auch nicht gefunden. Es scheint so als würde man den tatsächlichen Verfasser nie feststellen können, die Wahrheit des Spruchs bleibt aber erhalten!

  34. Voltaire nun auch noch? 🙂 Naja, spätestens inzwischen ist es ja wirklich ein geflügeltes Wort.

  35. meinnameisthase

    „Blindheit trennt von Dingen, Taubheit trennt von Menschen“, (Helen Keller)
    aus: http://www.lumrix.de/medizin/augenheilkunde/blindheit.html

  36. Pingback: Kant, Keller — und wenn einem Hören oder Sehen vergeht | Not quite like Beethoven

  37. Simplicissimus

    Na ja Zora Rubahn, entweder möchtest mit Deiner Aussage nur stumpf provozieren, oder es fehlt Dir tatsächlich jedes Quäntchen an Empathie. „Nicht hören zu können ist unschön ..“? Wenn ich mich Neudeutsch ausdrücken wollte, würde ich fragen: Geht’s noch? Aber Dein Kommentar zeugt von Unkenntnis und dem vollkommenen Abhandensein von Phantasie. Und ob der Vergleich „doof“ ist, oder vielleicht die Person, die sich über den Verfasser mokiert, möchte ich nicht diskutieren.
    Wo Du hier überhaupt eine Wehklage hörst erschließt sich mir nicht. Die Aussage ist so neutral wie richtig, auch wenn sie vielleicht inflationär gebraucht wird. Ich schlage die Kant’sche Methode vor, sich zunächst Gedanken zu machen, um daraus Schlüsse zu ziehen.

  38. just like beethoven

    @ Zora Rubahn, anhand Deiner Auslassung frage ich mich, ob Du überhaupt mit der Materie vertraut bist. Es ist grad so, als hättest Du die vorausgegangenen Einträge ungelesen übergangen. Jedenfalls muß ich Simplicissimus uneingeschränkt zustimmen, der Dir widerspricht. Besagter Spruch hat bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren. – zumal es keinen besseren gibt.

    Gehörlosigkeit und besonders Ertaubungen bringen Lebensentwürfe zum Einstürzen, die wir nicht verharmlosen können. ich selbst wollte Musik studieren, was dann durch die Ertaubung hinfällig wurde. Diese Sache kann ich unmöglich als Fußnote abtun. Wenn Du von Gebärdensprache und dem Implantieren sprichst, solltest Du viel mehr relativieren. Es ist falsch anzunehmen, daß alle Gehörlosen gebärden könnten. Und auch die Implantierten profitieren durch anatomische Gegebenheiten unterschiedlich, falls sie überhaupt operiert werden können.

    Sei Jahrzehnten kämpfen die Gehörlosen und Ertaubten um eine bessere Wahrnehmung ihrer Sinnesbehinderung. Die eigentliche Tragik besteht darin, daß Du pauschale Sichtweisen der Menschen nicht klarstellst, sondern sie befeuerst. So werden die üblichen Denkmuster ein weiteres Mal weichgespült. Und das ist für die Betroffenen nicht hilfreich, sondern bedauerlich.

  39. Also ich finde Vorstellungskraft prinzipiell etwas Gutes. Einfühlungsvermögen auch. Insofern muss man meiner Meinung nach nicht selbst betroffen sein, um etwas zu einem Thema sagen zu dürfen.
    Ich finde auch, dass der Spruch, keine Wehklage enthält, sondern den Versuch eine Sachverhaltsbeschreibung (über die man dann streiten kann).

    Ich kann aber auch nachvollziehen, dass man von Sprüchen wie diesem, die rauf und runter zititert werden, irgendwann genervt ist. Und ich finde auch, dass man dazu sagen sollte: „Was das Hören angeht: Nicht unbedingt, es gibt Gebärdensprache und Gebärdensprachcommunities.“

    CI finde ich nur bedingt eine Antwort auf den Spruch, weil man „darunter“, ja immer noch nicht hören kann und wenn man keine Gebärdensprache kann, ist’s immer noch schwer mit dem lautsprachlich kommunizieren.

  40. Andrea schrieb anno 2009: „Man könnte Kant-Experten fragen, die können einem sicher weiterhelfen.“
    Das habe ich getan und mich an die Kant-Forschungsstelle am Philosophischen Seminar der Universität Mainz gewendet. Dies bekam ich zur Antwort:
    „Da uns die Akademie-Ausgabe von Kants Werken in digitalisierter Form vorliegt, können wir „echte“ Kant-Zitate rasch belegen. Allerdings habe ich das von Ihnen geschickte Zitat auch mit unterschiedlichsten Schreibweisen und Formulierungen, selbst bei der „Unschärfesuche“ nicht auf der CD-Rom mit Kants Werken gefunden.
    Von daher ist stark davon auszugehen, dass dieses Zitat Kant fälschlich zugeordnet wird. Beleg dafür sind auch andere – im Netz gefundene – Einträge, die sich zwar auf Kant beziehen, in keinem Fall aber eine Primärquelle angeben, wie Sie selbst ja bereits recherchiert hatten.
    Es tut mir leid, dass wir Ihnen nicht sehr weiterhelfen konnten, aber eine „leere Klammer“ ist ja auch ein Ergebnis.“
    Ich schlussfolgere daher: nicht von Kant. *Wahrscheinlich* Helen Keller, denn es passt zu dem, was ich in grauer Vorzeit mal gelesen hatte: gefragt ob sie lieber sehend oder hörend sein möchte, hat sie sich (nach langem Überlegen) für das Hören entschieden (wofür ich auf die Schnelle keinen Beleg via google finde)..

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