Eine der merkwürdigsten Lektionen des Lebens ist: Letztlich ißt jeder für sich allein. Zumindest jeder Schwerhörige.
Es ist kurz vor 12 Uhr. So ungefähr muss sich Will Kane gefühlt haben, als er erfuhr, dass um Punkt 12 Frank Miller mit Kollegen vorbeikommen würde. „Das wird unangenehm“, sagte ihm die Erfahrung. Fliehen? Keine Alternative, das gebietet schon der Stolz. (Obwohl ich gestehen muss, dass ich auch schon Mittagspausen auf dem Klo eingeschlossen verbracht habe.)
Und wer will schon ständig auf der Flucht sein und alleine essen? Was gäbe das auch für ein Bild ab? Also: Mitgegangen, oder noch besser: Selbst gefragt.
Doch Mittagessen mit Kollegen haben es an sich, dass sie in der Gruppe stattfinden — eine Situation, in der ich verstehe, was man direkt zu mir sagt. Das aber ist nicht der Kommunikationsmodus „Mittagspause“. Dieser ist: Jeder redet mit jedem und jeder in der Gruppe ist dabei, weil er dabeisitzt. Nicht so bei mir. Von dem was sich die Kollegen an mir vorbei erzählen, verstehe ich nur Bruchstücke, oft gar nichts. Ich fliege irgendwann vom Karussell. Da braucht es nicht einmal obendrein noch eine laute, hallige Kantine oder Mensa als Umgebung, die den Rest besorgt.
Obendrein: Schwerhörigkeit und die damit verbundenen Nöte sieht man nicht. Fragt mich neulich noch die Kollegin: „Du redest nicht gern beim Essen, stimmt’s?“
Doch wer wird schon verzagen, natürlich ist die Situation nicht ausweglos. Es gibt sehr einfache Mittel, in dieser Situation trotzdem zu überleben:
- Überzeuge die Kollegen davon, nicht dann zu gehen, wenn sie Hunger haben oder es in die Arbeitsabläufe hineinpaßt, sondern dann wenn die Kantine leer ist. Zum Beispiel um 11 oder um 15 Uhr.
- Sorge dafür, dass wir in der Kantine günstig sitzen. Besetze gleich morgens die besten Liegen mit Deinem Handtuch. Oder frage, ob nicht ein Schwerhörigenbereich abgesperrt und freigehalten werden kann.
- Sorge dafür, dass die Kollegen alle vor Dir sitzen (zum besseren Lippenlesen) oder auf der Seite Deines besseren Ohres. Halte sie dazu alle am Ende der Essensausgabestelle auf, damit sie sich nicht ungeplant irgendwohin setzen. Wenn alle versammelt, aber das Essen der ersten noch nicht kalt geworden ist, teile Ihnen ihre Plätze um dich herum zu. Achte darauf, die guten Plätze nicht immer den gleichen Kolleginnen zu geben.
- Blickkontakt erleichtert das Lippenlesen. Wähle also vorausschauend immer nur solche Gerichte, die ohne hinzusehen löffelbar sind. Abzuraten ist von allem, was zerlegt oder zerschnitten werden muss. Dies führt nur dazu, dass man sich zwischen Essen oder Zuhörversuchen entscheiden muss.
- Sorge dafür, dass immer nur einer spricht und alle anderen zuhören. Es sprechen nur die, die dir gegenüber oder am besseren Ohr sitzten. (Und Du selbst natürlich.) Überzählige Kollegen hören zu oder tauschen bei Redewunsch mit diesen den Platz. Alternativ kann die dort sitzende Kollegin nachsprechen, was weiter weg gesagt wurde.
Die 80/20/10-Regel zur Bewertung der eigenen Performance: Wenn alle anderen fertiggegessen haben und sich auf dem eigenen Teller nur noch weniger als 80% befinden, ist dies als gut anzusehen. Ebenso, wenn mehr als 20% des Gesprächs verstanden wurden. Ein Prozentsatz von 10% Kollegen, die den Spaß nie wieder mitmachen wollen, ist verkraftbar.
Will Kane: I’m not trying to be a hero. If you think I like this, you’re crazy.
[Zugabe: Vom Versuch, es besser zu machen.]