Archiv der Kategorie: Nichtgehörtes

Obey Thoven! No, obey Mozart!

Obey Thoven

Streetart, Beethoven und auch noch Hellblau? Ich konnte schon vor zwei Jahren nicht widerstehen und habe mir das Plakat dieser Obey-Thoven Werbekampagne eines US-Radiosenders für klassische Musik bestellt, die an Shepard Fairey angelehnt war. Wie man an diesem Foto von vor ein paar Tagen sieht, sorgt sie in New York auch zwei Jahre danach noch für Kontroverse. Beethoven hin, Mozart her — sieht immer noch cool aus, oder?

Stammzellen, das Wundermittel gegen Schwerhörigkeit und Taubheit?

Alle paar Monate werde ich nach meiner Einschätzung von Gen- oder Zelltherapien und regenerativer Medizin insgesamt gefragt. Darum hier mal ein Hinweis auf einen guten, aktuellen Artikel von Joachim Müller-Jung, den ich sehr schätze und der den Stand der Dinge, wie ich finde gut zusammenfasst:

Neue Zelltherapien: Stammzellen auf der Schnellstrasse?

Allen, die den neuen Therapien entgegenfiebern, rate ich, vor allem auf zwei Hinweise zu achten: „Zusammen mit einem Cochlea-Implantat“ und „Differenzierungsgrad und Lebensdauer“. Im Augenblick sieht es nämlich danach aus, als ob regenerative Therapien nicht statt sondern zusammen mit der Blechtechnik kommen würden. Und wie nachhaltig das Ganze ist, muss man genauso noch sehen wie wie es sich dann anhört, was man da hört. Das kann man so ein Tier ja nicht einfach fragen.

Gute Frage: Können jemals zwei das Gleiche hören?

Woher ich weiß, dass was wir beide „gelb“ nennen, für dich und mich gleich aussieht? Ganz einfach: Ich weiß es nicht. Ich kann es auch gar nicht wissen. Niemand kann es wissen. Dennoch funktioniert der ganze Alltag auf solchen Annahmen. Und das ist bei allen Wahrnehmungen so. Da muss man eigentlich gar nicht erst mit einem elektrischen Ohr kommen um sich zu wundern: „wie hört sich denn das für Dich an?“

In den Kommentaren von „Gehört mit 1/40s, Iso 800, Blende 2,8“ haben wir uns richtig darüber gefetzt ob Ganznormalhörende nun je das gleiche hören oder nicht. Daran wollte ich nochmal erinnern, denn heute habe ich in der FAZ einen Text darüber gefunden, wie ungleich wir sehen. Es geht um Frauen, die nicht wie alle anderen nur drei Sehsinneszellentyp besitzen, sondern dazu einen vierten. Die große Frage ist:

Etwa zwölf Prozent der europäischen Frauen seien retinale Tetrachromaten, schätzt Jordan. Die große Frage, der Jordan auf der Spur ist, lautet: Nehmen diese Frauen die Welt auch mit anderen Augen wahr als ein Durchschnittsmensch? Sind sie also nicht nur retinale, sondern auch funktionale Tetrachromaten?

12 Prozent! Das ist doch schonmal überraschend viel für einen richtig großen Unterschied ganz tief unten in der Biologie des Sehens. Ich habe noch nie von solchen physiologischen Unterschieden beim Hören gehört. Es gibt ja glaube ich auch keine so typische Andersartigkeit wie die Rot/Grün-Verwechslung beim Hören, oder?
Aber nach diesem Artikel denke ich: Ist das so unwahrscheinlich? Ich glaube nicht.

Letztlich allerdings bleibt es dabei: Wie sich Sehen oder Hören für andere anfühlt oder anhört, kann man nicht wissen. Auch ohne dass der oder die andere dafür ominöse vierte Zapfen oder elektrische Ohren haben müsste. Schade eigentlich. Oder vielleicht doch ganz gut.

Bordo — Kernkraftwerksingenieure wie Schwerhörige kennen das

Die Geschichte mit der Sächsin, die eine Reise nach Porto wollte, aber ein Flugticket nach Bordeaux erhielt, habt Ihr inzwischen vielleicht schon gehört. Als Fachmann für alles, was in der Kommunikation schiefgehen kann, kann ich den Vorfall und das sich daran anschließende Urteil nicht unkommentiert lassen. Mich wundert, dass in der anschließenden Gerichtsverhandlung  ausschließlich die Reiseveranstalterin Recht erhielt:

Vor einem Stuttgarter Amtsgericht berichtete die L’Tur-Mitarbeiterin, sie habe zweimal in korrektem Hochdeutsch die Flugroute genannt. Als die Kundin keine Einwände geäußert habe, habe sie den Flug gebucht. Das Gericht urteilte daraufhin: „Versteht der Empfänger eine undeutlich gesprochene Erklärung falsch, so geht dies grundsätzlich zulasten des Erklärenden.“ Die Buchung der Stuttgarterin war also gültig, das Urteil rechtskräftig.

Kernkraftwerksingenieure wie Schwerhörige kennen das und erschaudern: Es ist der Alptraum schlechthin. Hier gab es nicht nur ein Versagen, hier versagte nicht nur eine Sicherung, sondern hier versagten zwei hintereinander geschaltete Sicherungssysteme! Wir haben einen GAKU vor uns, einen größten anzunehmenden Kommunikationsunfall!
Nicht nur gibt es ein lautliches Mißverständnis, sondern auf zwei explizite Nachfragen hin gibt es wiederum eins, so dass das ursprüngliche Mißverständnis keinem der Beteiligten auffällt. Willkommen in meinem Alltag.

Wie es Freund Mark ja auch schon formulierte: Wegen der versagenden Sicherungssysteme hätte ich mindestens eine Mitschuld der Reiseveranstalterin gesehen. Denn der Erklärende, zu dessen Lasten laut Gericht die Sache gehen sollte, war ja wohl zwei von drei Mal die Mitarbeiterin.

Übrigens: Der schwerhörige Prozessoptimierer hat für solche Fälle die Lösung bereit: Wer Verstehen sicherstellen will,  muss Kontextinfo dazugeben. Also nicht stur „Bordo, Sie wollen nach Bordo?“ wiederholen, sondern so etwas sagen wie: „Sie wollen also nach Bordo in Frankreich.“ (Ist übrigens Regel Nummer 10 der Gebrauchsanweisung für Schwerhörige von 2009.) Hier wäre es also mal echt gut gewesen, wenn man sich an den Schwerhörigen orientiert hätte.

Frage des Tages: Wie stellt man eigentlich mit Gebärdensprache Klänge und Geräusche dar?

Wie kann man Geräusche zeigen? Wie stellen Menschen, die nie gehört haben, Klänge dar?

Wer sich dafür interessiert, lese bitte mal diesen Kommentar. Der gibt Antwort und einen kleinen, hochspannenden Einblick in die Möglichkeiten.

Let’s get high on a CI! Oder auch zwei…

Dieser Rausch! Es funktioniert ja nicht immer und nicht bei jedem. Aber wenn das elektrische Hören mit dem Cochlea Implantat funktioniert, dann ist es ein großartiger Trip. Über Wochen, Monat schälen sich aus dem Wlingen und Piepsen spannende Töne und Geräusche heraus — es wird immer besser. Mehr noch: Man weiß schon vorher, dass es immer besser werden wird, jedenfalls solange es keine Komplikationen gibt. Ein unbändiges Hochgefühl, wenn man wie frisch in den Skilift eingestiegen dasitzt, die Aussicht wird immer besser und man weiß, es steht Tolles und Aufregendes bevor. Verstärkt wird das Ganze dann noch durch die Phase nach der Operation, die man in großer Stille verbringt, weil weder Hörgerät noch CI auf dem heilenden Ohr getragen werden.

Von diesem Hochgefühl nimmt man dann gern noch eins. Besonders wenn man merkt, wie langweilig, wie lasch im Vergleich dazu die Suppe ist, die ein Hörgerät dem hochgradig Schwerhörigen hineinspült.

Doch man muss auch das Runterkommen verkraften — und das ist, je nachdem, auch ziemlich heftig. Denn irgendwann, so nach etwa einem Jahr, ist der Skilift zu Ende und die Abfahrt auch. Die steile Verbesserungskurve flacht ab, es wird deutlich wo die neuen Hörgrenzen liegen. Was alles trotz CI nicht funktioniert. Die Mühen der Ebene beginnen. Es ist nur so eine persönliche Beobachtung, aber mein Eindruck ist, dass eine ganze Menge Leute sich genau in dieser Phase für ein zweites CI entscheiden. Ärzte machen es einem dabei leicht, sie bieten den nächsten Schuss und loben seine Vorzüge.

Versteht mich nicht falsch, dies ist keine Warnung vor CIs und auch nicht vor dem zweiten — wenn es denn angezeigt ist und man dies will. Ich will nur auf eine Gefühlsdynamik hinweisen, die ich wichtig finde. Irgendwann kommt das Plateau und sei es nach dem zweiten Hoch. Denn ein drittes wird es nicht geben. Damit muss man sich abfinden (was natürlich leichter fällt, wenn es selbst hoch liegt). Man bleibt schwerhörig. Schwierig ist dabei, dass die Grenzen des CIs nicht einfach so feststehen. Manchmal ist es sogar kaum möglich zu entscheiden, ob man nun wirklich an die Grenzen gestoßen ist oder das elektrische Ohr einfach nur etwas besser eingestellt werden müsste. Das muss man mit seinen Gefühlen ausmachen.

Dies ist Teil 7 einer kleinen Serie über Cochlea Implantate, die ich anderthalb Jahren elektrisches Hören schreibe:

Teil 1: Einmal Blackout und zurück
Teil 2: Aus den Augen, noch im Sinn
Teil 3: Das Karussell
Teil 4: Niemanden bitten müssen
Teil 5: Zufrieden mit dem elektrischen Ohr?
Teil 6: „Da sind ja überall Menschen!“

Sand im Getriebe des Alltags — Schwerhörigkeit als Krisenexperiment

Schwerhörige sind der Sand im Getriebe des Alltags. Da wir uns gerade über Strategien des mehr oder weniger eleganten Vertuschens von Nichtverstehen unterhalten hatten, hier zwei klassische Beispiele für heftige Auswirkungen der unschuldigen Nachfrage „Wie meinst Du das?“ Undercover-Soziologen stellten sie systematisch und guckten, was geschah:

Beispiel 1 — Herr C. und Herr K. teilen sich ein Auto. Bei der Übergabe erzählt C., was ihm gestern auf dem Weg zur Arbeit passierte.

C:   Übrigens, ich hatte gestern einen Platten.
K:   Hä, wie meinst Du das?
C  (guckt kurz überrascht, dann abwehrend): Was soll das heißen, „Wie meinst Du das?“ Ein platter Reifen ist ein platter Reifen! Das ist, wie ich das meinte. Nichts besonderes. Was für eine verrückte Frage!

Beispiel 2 — S. trifft E. auf der Straße und winkt erfreut. Sie begrüßen sich und dann erzählt S. erst einmal alles was ihm in den letzten Tagen passiert ist. Schließlich fragt er.

S:  Aber genug von mir. Sag mal, wie geht’s Dir?
E:  Hm, wie meinst Du das?
S:  Wie geht es Dir?
E:  Könntest Du nochmal sagen wie Du das meinst, dann kann ich besser antworten?
S  (aggressiv): Hör mal, ich wollte nur höflich sein. Ehrlich, mir doch egal wie’s Dir geht!

Diese Beispiele habe ich aus Harold Garfinkels klassischem soziologischen Buch Studies in Ethnomethodology von 1967 leicht verändert übersetzt (und das 2. Beispiel zudem aus dem US-amerikanischen Kontext geholt). Garfinkel hatte die kluge Idee, unpassendes Verhalten (hier die Nachfrage „wie meinst Du das?“ bei sehr einfachen Sachverhalten) ganz gezielt einzusetzen  um die Normen des Zusammenlebens zu erkunden. An der Heftigkeit der Reaktionen auf diese sogenannten Krisenexperimente erkannte er, dass und welche er gefunden hatte. In diesem Fall ging es darum, dass bestimmte Deutungskompetenzen und Kenntnis sozialer Umgangsformen einfach vorausgesetzt werden. Wer dagegen verstößt…

Na, wie findet Ihr das? Kommt Euch das bekannt vor?

Hochleistungssport ohne Hören: Matt Hamills Gefühl für den Gegner

Gestern nacht hat er leider verloren. Gegen Quinton „Rampage“ Jackson, was keine Schande ist. Trotzdem ist er einer der besten professionellen Ringkämpfer, die es gegenwärtig gibt: Matt Hamill — seinen eindrucksvollen Kampfrekord kann man hier nachlesen. Und Ende dieses Jahres kommt endlich der Film heraus, der erzählt, wie er sich in der High School und als Ringer ohne Hören durchgebissen hat. Muss ich sehen!

Hier noch ein weiteres Video, das sich leider nicht einbinden läßt (über den Film). Und hier ein interessantes Interview mit ihm bei ESPN, in dem er über sein Training mit Hörenden erzählt.

Aus der Reihe: Wer braucht schon zu hören?!

Ashley Fioleks Welt

Mit drei Jahren fuhr sie Motorrad, mit sieben Rennen und jetzt, kaum mehr als 20 Jahre alt, ist sie zweifache US-Motocross-Meisterin und mehr. Ich sage: Wow!

Aus der Reihe: Wer braucht schon zu hören?!

Boxen nach Gehör

Das ist ja interessant! Ich habe ja immer unter Abwesenheit von Geräuschen geboxt (=ohne Hörzeugs). Hatte eigentlich nie den Eindruck, dass mir dabei was entgeht (außer wenn der Coach was sagt, natürlich). Würde gern wissen, was ihm so alles auffällt übers Gehör….

Mir aus dem Herzen

Screenshot Les Diaboliques, 1955

[via fuckyeahsubtitles]

Aus der Reihe: Passende erste Worte beim Gewecktwerden am 1. Weihnachtsfeiertag

„Aber ich hab doch noch gar keinen Hunger!“

Spaß an der Gepäckkontrolle, oder: Dafür kann das CI doch nichts!

Da man mich gern mal mit einem Terroristen verwechselt — besonders ab Fünftagebart aufwärts — habe ich schon lange eine besondere Beziehung zur Gepäckkontrolle am Flughafen. Fast immer werde ich abgetastet, auch wenn nichts piept — und sehr oft stellt man mir Fragen nach dem woher und wohin. Obwohl es doch auf der Bordkarte sehr deutlich abzulesen ist. Man will mich eben kurz zum Reden bringen.

Zuletzt gestern, als sich der selber auch nicht besser rasierte Abtaster beim innderdeutschen Flug zunächst nach meinen Deutschkenntnissen erkundigte und dann die  Bordkarte verlesen ließ.

Seit ich einigermaßen mit dem elektrischen Ohr klarkomme ist die Gepäckkontrolle auch besonders beliebter Ort für Selbstüberschätzungen meinerseits. Dass ich besser höre bemerke ich nämlich generell daran, dass ich häufiger kleine Schwätzchen mit flüchtigen Begegnungen anfange — beim Bäcker, an der Kasse, an der Bar. Und eben auch an der Gepäckkontrolle. Nur tut Übermut dann eben doch selten gut.

Dieses Mal wurde ich von einer gutaussehenden jungen Dame noch einmal aufgehalten — ob das meine Tasche sei und man noch einmal hineinsehen dürfe. Sicher, meinte ich, das dürfe man. Gerne. Sie holte dann zuerst das Buch raus, das ich gerade lese, und sah es sich an.

Ich, einigermaßen überrascht: „Ist gut, kann ich empfehlen.“

Sie, dreht es um, guckt fragend und liest den Titel: „Das heißt: Die gleiche Musik???!!“

Ich: „An equal music,  ja. Ich weiß gar nicht ob’s das auf Deutsch gibt.“

Sie, blättert kurz darin und liest die Beschreibung auf der Rückseite. Dann macht sie etwas was für mich wie „hmpf“ klingt. Und steckt das Buch zurück in meine Tasche.

Ich, angenehm aufgekratzt von der Tatsache, dass ich so eine Nebenherunterhaltung führen kann, übertreibe es: „Hmpf? Scheint Ihnen, nachdem Sie die Beschreibung gelesen haben, nun doch nicht mehr so interessant?!“

Sie: „Doch doch, darum habe ich doch auch gesagt: Schön!“ Und lächelt.

Ich dagegen möchte im Boden versinken. Aber das war ja auch beim schwerhörigen Frequent Flyer schon so.

Die Welt ist was man draus macht

Wäre die Welt so wie ich sie verstehe, wäre sie — deutlich lustiger. Ich traue mich schon kaum mehr nachzufragen. Aus den letzten Wochen:

Die Bedienung bringt nicht so’n Quark an (wie in dem anderen Café) und hat so nett gelächelt — „Sie ging dich stark an und, äh — wann hat sie geschwächelt?“

Eine Unterhaltung über heute morgen, die richtig lange Zeit in der „Wartelounge“ beim Friseur — „Heute morgen heftiger Wattebauschstreit?“

Die Realität ist dagegen richtig farblos. Ernsthaft lustig wird’s jedoch, wenn zwei Schwerhörige sich miteinander unterhalten. Das durfte ich am Wochenende mal wieder ausprobieren. Anstatt auf so Fragen wie oben nämlich ernüchtert zu werden — erhält man dann zur Antwort: „Ja, genau!“ So als ob es das Normalste von der Welt wäre.

Handeln will gelernt sein

Manchmal läßt sich ziemlich exakt beziffern, wie viel Geld man durch Schwerhörigkeit verliert.

Bei einem Gebrauchtmöbelhändler wollte ich meine alten Ledersessel loswerden. Und hatte mir eine schöne Strategie zurecht gelegt. Man soll ja nie die erste Zahl nennen, denn dann hat man eigentlich schon verloren. Das hatte mir damals im Goldsouk von Aleppo ein alter Syrer geflüstert — natürlich nachdem er mich ausgenommen hatte. Sollte ich aber doch die erste Zahl nennen müssen würde ich 90 Euro sagen. Denn das sind, wie man herausstellen kann, noch nicht mal 100. Und dann würde ich mich höchstens auf 50 herunterhandeln lassen.

Ich hatte sogar Glück, der Händler nannte den ersten Preis. Doch was musste ich da hören? Fümn’eißig, nuschelte er. Ich, von so niedrigem Einstieg doch etwas verblüfft, kam ins Stammeln. Ich wollte die Dinger unbedingt loswerden. Jetzt noch meine ursprüngliche Preisvorstellung zu nennen, schien mir dann doch etwas übertrieben. Wir sind ja nicht in Syrien oder Indien, wo man als Tourist besser das vierfache (oder ein Viertel) als Gegenvorschlag nennt.

Also sagte ich, naja, ich hätte mir schon so was wie fünfundfünfzig vorgestellt. Und erntete einen erstaunten Blick. Ich zog die Augenbrauen rauf — und merkte, dass ich ihn falsch verstanden hatte: Er hatte fünundneunzig gesagt!

Tja. Leider kann man dann ja schlecht sagen: Ach, ich hör schlecht, ich meinte eigentlich hundertzwanzig. Oder zumindest verpaßte ich den kurzen Moment, in dem das noch möglich gewesen wäre.

Kostenpunkt diesmal also: 40 Euro.

Glaub mir, das sieht nur auf den ersten Blick komisch aus

Wenn’s mir zu laut wird, dann halte ich mir einfach die Nase zu. Die Nase? Ja, die Nase. Denn Ohren zuhalten ist viel zu kompliziert, bei der ganzen Technik, die ich daran herumtrage.

So geschehen zuletzt gestern, bei der Anti-Kernkraft-Demo. Jetzt weiß ich endlich wo die ganzen Vuvuzelas geblieben sind, die in Deutschland bei der WM verkauft wurden: Sie fanden bei Demos ihre unbekannte Verwandtschaft —  Cousin Rassel, Cousine Trillerpfeife und Tante Sirene. Wir dagegen zogen dem Krachmachen zunächst ein Picknick mit Motto-Muffins vor.

Und das mit der Nase? Nun, ich habe links ein elektrisches Ohr (ein CI). Rechts ein Hörgerät. Um mich vor Krach wirklich zu schützen müsste ich zunächst links und rechts die Gerätschaften ausschalten, dann links den Finger ins Ohr stecken und rechts die kleine Belüftungsbohrung am Ohrpaßstück des Hörgeräts zuhalten. (Denn das verschließt zwar das Ohr, weil es aber ein Loch für den Druckausgleich hat, taugt es nur bedingt als Ohrstöpsel.) Das alles dauert. Und es sieht komisch aus.

Da ist es so viel einfacher, die Nase zuzuhalten, den Mund zu schließen und leicht auszuatmen. Funktioniert wirklich! Der Druck, der dabei im Kopf entsteht, spannt die Trommelfelle vor. Dadurch kommt deutlich weniger Schall an. Ihr kennt den Trick vielleicht vom Fliegen, da dient er dem Druckausgleich. Ansonsten: Probiert’s mal aus! Erstaunt angesehen werdet Ihr garantiert nur die ersten Sekunden…

La déformation professionelle

Ich will gar nicht erst anfangen zu behaupten, ich sei noch zu jung für eine Entstellung durch Beruf. Ich finde aber, ich bin noch zu jung für Entstellung durch Schwerhörigkeit.

Seit heute morgen allerdings zweifele ich daran. Der Hals schmerzt und ist ganz schief  vom vielen Kopfrecken gestern abend. Erst eine zeitlang nach links, da wo das elektrische Ohr sitzt. Und dann — deutlich zu lang — nach nach rechts und zwar verdreht, weil ich inzwischen mit dem Innenohrimplantat (links) doch besser höre als mit dem Hörgerät (rechts), auch wenn die schöne Sprecherin rechts (rechts) sitzt. Nicht dass es viel genutzt hätte. Dabei schienen die Leute eigentlich nett, bei dieser Geburtstagsfete. Ich hätte sie gerne kennengelernt.

So einen Boppel am Mittelfinger hab ich schon seit Schulzeiten vom vielen Schreiben. Große Ohren krieg ich eh vom Alter — „damit ich Dich besser hören kann“, da lachen ja die Hühner! Und damit’s mit dem schiefen Hals nix wird, geh‘ ich jetzt in die Badewanne.

Rechtzeitig zur letzten Ölung? Die Rückkehr zum Telefon

„Du mußt auflegen“, sagte meine Mutter, „und nochmal anrufen. Das ist billiger.“ Das war vor 20 Jahren, als ich fast jeden Abend stundenlang mit meinem besten Freund telefonierte. 10 Jahre später begann dann die Ertaubung, mich langsam aus der Welt des Telefonierens herauszudrücken. Und jetzt, mit dem elektrischen Ohr, kehre ich langsam dahin zurück.

Angeblich gerade noch rechtzeitig um dem Telefongespräch beim Sterben zuzusehen. Behauptet zumindest Clive Thompson in Wired. Und daran anschließend Martin Weigert bei netzwertig.

Wieder telefonieren zu können war einer der wichtigsten Gründe warum  ich mich zu dem Cochlea Implantat entschloss. Sollte das alles unnötig gewesen sein? Die Welt ist ja tatsächlich eine andere geworden. Man muss nicht schwerhörig sein um die Vorzüge von Email, SMS, chatten, facebook und twitter zu sehen. Weniger störend, gar höflicher, weil zeitversetzt. Man hat’s gleich schwarz auf weiß. Auch andere telefonieren deutlich weniger. Und kürzer.

Ich muss zugeben: Eigentlich bin ich noch nicht zurückgekehrt, in die Welt des Telefonierens. Ich stippe eher immer mal wieder den großen Zeh hinein und schaue wie’s läuft. Und obwohl es öfters lustig läuft habe ich nicht die Parole ausgegeben, man könne und möge mich anrufen. Denn es ist noch immer eine wahnwitzige Aufregung und Anstrengung, wenn ich nicht erkenne wer dran ist oder was sie wollen. Einen Nachmittag auf einen Anruf zu warten ist für mich der Horror. Scheint mir ein schlechter Tausch, meine Ruhe für ein Klingeln zu opfern.

Doch ein paar Dinge lassen sich einfach nur übers Telefon machen. Deine Stimme hören zum Beispiel — ich glaube in einer Fernbeziehung kann dauerhaft keine noch so liebevolle SMS oder Email diese Form von Nähe ersetzen. Bestimmte Dinge recherchieren — es gibt so viel, das nicht im Internet steht und das man auch nicht per Email oder Twitter erfragen kann, zumal bei Unbekannten. Das Verständnis des Anderen zumindest ein bißchen kontrollieren — es lesen doch so einige nur flüchtig oder denken nicht mit, so dass Mißverständnisse passieren oder man 10 Emails oder SMS schreiben muss. Und schließlich noch all die Absprachen und inoffiziellen Informationen, die niemals niedergeschrieben werden sollen — wenn treffen und telefonieren ausscheiden, kann man die gleich ganz vergessen.

Tod des Telefonats? Vielleicht in ein paar Lebensbereichen und Beziehungen. Aber generell nicht mal bei mir als Schwerhörigem. Und Ihr? Wie haltet Ihr’s mit dem Telefonieren?

Dornröschens Sündenbock

Das Tolle an Kindern ist ja, dass man selber nochmal ein bißchen Kind sein kann. Zum Beispiel wenn man auf dem Weg zum See auf dem Beifahrersitz lungert und die gute Freundin hinten der Tochter Märchen vorliest. Hach, denkt man da, kauert sich zusammen und ein paar von den Gefühlen von damals klettern hoch, als einem selbst vorgelesen wurde.

Es ist das erste Mal, dass ich mich über Stau freue. Denn nun sind die Fahrgeräusche weg und ich muss mir vom Vordersitz aus nicht mehr den Kopf verdrehen um zu verstehen. Ich höre allerdings auch immer mehr Sätze, an die ich mich nun gar nicht erinnern kann — und merke, dass wir eine modernisierte Fassung zu hören bekommen, die aus dem Moewig Verlag von María de Calonje, Julian Jordan und Eva Lopez übrigens.

Ist schon klar, Märchen sind mitunter brutal. Aber ist es wirklich so schlimm, wenn das Königspaar die 13. Fee einfach nicht einlädt, weil nun mal nur zwölf goldene Teller da sind? Muss sie stattdessen unbedingt unerreichbar gewesen sein und die Einladung nicht erhalten haben? Muss unbedingt der Koch wegfallen und der Küchenjunge, dem er gerade eine wischt, obwohl diese beiden eines der schönsten Bilder beim Plötzlich-in-den-Schlaf-Fallen-und-100-Jahre-später-wieder-Aufwachen sind? Ganz zu schweigen davon, dass nebenbei einer mit Siebenmeilenstiefeln nach der guten Fee geschickt wird!

Und, liebe Modernisierer, alle Erklärungswut in Ehren — aber es gibt nun wirklich gar keinen Grund, ausgerechnet die Tauben zum Sündenbock zu machen:

Oder wie seht Ihr das?

Ich habe gerade die Hausmärchen der Gebrüder Grimm nochmal aus dem Regal geholt und mich in den Fassungen sofort festgelesen. Beim Herrn Gevatter, hab ich geschaudert, bei den sechs Schwänen gebangt.  Jetzt kommt: Die zertanzten Schuhe….

Warum poltert er so?

Klopfen. Bisher war mir nicht klar wie gestört eigentlich meine Beziehung zu Klopfen ist. Die gute Freundin, bei der ich gerade zu Besuch war, wohnt mit ihrem Liebsten in einer wunderschön weitläufigen Altbauwohnung. Fast jedes Zimmer hat zwei Türen. Auch das Bad, eine in den Flur, eine direkt in ihr Schlafzimmer. Nur — beide Türen lassen sich nicht abschließen.  Und ich höre ja von außen nicht unbedingt, ob wer drin ist.

„Kein Problem“, sprach die Freundin, „Kannst ja klopfen, wenn Du rein willst. Dann rufen wir, wenn schon wer drin ist.“ Das leuchtete mir natürlich ein. Und es dauerte genau bis zum nächsten Morgen, genau bis ich mich ausgezogen und unter der Dusche eingeseift hatte, bevor mir einfiel, was ich vergessen hatte zu sagen: Dass ich so ein Klopfen gar nicht hören würde, ohne Hörgerät und ohne elektrisches Ohr. Keins davon hatte ich mit ins Bad genommen. Ich glaube, ich habe schon lange nicht mehr so viel Krach im Bad gemacht, damit sie auch ja Bescheid wissen.

Muss wohl ausgleichende Gerechtigkeit gewesen sein.

[Auf Nachfrage in den Kommentaren hin: Das Problem bei der ganzen Badgeschichte ist nicht das Nacktsein, sondern dieses blöde Gefühl des Ausgeliefertseins.]

Der Schein ist Dein Freund

Du bist beim Bäcker. Zweimal hast Du schon nachgefragt und noch immer hast Du nicht verstanden, was Deine zwei Nougatcroissants, vier Schrippen, drei Stück Bauernkäsekuchen und das Landsknechtbrot für das Sonntagsfrühstück kosten sollen. Die Bäckersfrau schaut Dich an — und Du zögerst, ein drittes Mal nachzufragen. Irgendetwas hat die Zahl drei an sich, dass es ab da richtig peinlich wird.

Verflixt, denkst Du, warum hast Du auch wieder bestellt ohne alles mitzurechnen? Die Antwort kennst Du: Weil es früh am morgen und Sonntag ist. Mittlerweile schauen auch die Leute hinter Dir in der Schlange. Selber zusammenrechnen geht so schnell auch nicht. Wo sind überhaupt die Preisschilder?!

Also schiebst Du einfach einen Schein rüber, und zwar einen möglichst großen. Noch peinlicher als ein drittes Mal nachzufragen ist nämlich: Zweimal nach dem Preis zu fragen, dann zu nicken, ’nen Fünfer oder Zehner rüberzuschieben — und der genannte Preis lag doch drüber.

Aber Achtung: Zu groß darf der Schein darf auch nicht sein, ein 50-Euro-Billet auf zwei Schrippen etwa. Bei soviel Wechselgeld hört der Berliner Bäckersfrau der Spaß auf. Du willst ja nicht jeden Morgen den Bäcker wechseln müssen. Und weil Dir das Ganze überall passiert wo die Rechnung nicht erst rübergereicht, der Betrag nicht sichtbar angezeigt wird — darum, lieber Schwerhöriger, hast Du auch so ein dickes Portemonnaie. Vor Wechselgeld.