Archiv der Kategorie: Unhörbares

Die nackte Schwerhörigkeit

Die fünf Sinne, Gemälde von Hans Makart aus den Jahren 1872–1879

Ich habe ja eine Schwäche für Allegorien. Die, die da so unschlüssig in der Gegend herumsteht, ist das Hören. Irgendwie passend. Könnte genauso das nackte Schlechthören sein.  Und Ihr, findet Ihr das eine passende Darstellung?

Schwäche als Methode (nicht nur für Poeten)

The poet will naturally write about that which most deeply engrosses him —  and nothing more deeply engrosses a man than his burdens, including those of a physical nature, such as disease. We win by capitalizing on our debts, by turning our liabilities into assets, by using our burdens as a basis of insight. And so the poet may come to have a „vested interest“ in his handicaps; these handicaps may become an integral part of his method […].

Ich könnte gar nicht mehr zustimmen zu dem, was Kenneth Burke hier geschrieben hat (The Philosophy of Literary Form: Studies in Symbolic Action, 1941). Das ist schon etwas anderes als das klischeehafte „aus den Schwächen Stärken machen“. Den Spruch kann ich übrigens gar nicht leiden.

Und weil Burkes Formulierung so eine schöne Beschreibung dessen ist, was ich mit diesem Blog versucht habe, soll es nun,  mitten im Sommer, wieder aus dem Winterschlaf geholt werden. Man darf hier wieder lesen.

Der Knuddelreflex und seine Kehrseite

Die Geschichte des Jungen, der sich ein Bärenkostüm anzog, damit ihn endlich mal jemand umarmte. Habt Ihr vielleicht schon gesehen, aber falls nicht: Schaut Euch mal dieses äußerst beindruckende Video an, das der schweizerische Verein Pro Infirmis hat produzieren lassen. Ein Aufruf zur Annäherung an die Behinderten.

Der Spot drückt gekonnt die Tasten der Rührseligkeit, auch bei mir — aber er zeigt eben auch, und das sehr gut, wie sehr unsere Reaktionen von Äußerlichkeiten und von ästhetischem Empfinden gesteuert sind. Was schön, süß und weich ist, wird geknuddelt. Darauf reagieren wir positiv. Auf das andere–selbstverständlich nicht. Ist ja irgendwie, gefühlsmäßig, auch okay so.  Aber wer sich mal mit dem Thema Intimität und Sexualität bei sichtbar Behinderten befaßt hat, weiß, in welche Probleme das führt.

„Müssen wir uns verkleiden, damit wir uns näherkommen?“ — fragt der Film. Und die allgemein zustimmungsfähige Antwort kann ja nur sein: Nein, das sollte nicht sein. Eine Lösung bietet der Film nicht,  Umarmungen lösen ja keine gesellschaftlichen Probleme (und der Claim von Pro Infirmis am Ende, „Wir schaffen Behinderung ab“, stößt mir in diesem Zusammenhang auch etwas sauer auf).  Aber er führt das Problem eindrucksvoll vor Augen und vielleicht dazu, dass wir demnächst mal jemand mit Wärme begegnen — obwohl wir ihn oder sie nicht besonders appetitlich finden. Einfach weil wir es können und uns dafür entscheiden.

Update: Sehe gerade, Enno hat auch dazu geschrieben…

Und was meint Ihr dazu?

Gangsta Gebärdensprache

Wer sich ahnungslos am falschen Ort im falschen Fußball-T-Shirt erwischen läßt, muss Schläge befürchten. Das weiß man ja. Sagen wir in dem von Dynamo Dresden bei Lok Leipzig. Dass das auch für Gebärdensprache gilt, wußte ich bisher noch nicht. In Florida Beach wurde eine Gruppe Gehörlose mit dem Messer angegriffen, weil man ihre Gebärden für Gang-Zeichen hielt. Denn die Gangs betreiben mit den Händen eine Mischung aus Kommunikation und Fingerakrobatik (siehe auch das Bild oben als harmloses Beispiel), die eine Unbedarfte nicht von Gebärdensprache unterscheiden konnte. Unglaublich!

Unter dem Link oben findet Ihr noch ein Beispielvideo für Gangsta Gebärdensprache.

[Bild via Cakehead Loves Evil, Nachricht via deafread.de]

Der gehörlose Vorsitzende (alternate Version)

Plötzlich redeten alle vier durcheinander, gestern bei Twitter — darüber, ob es einen gehörlosen Parteivorsitzenden geben könnte oder überhaupt nur sollte. Nicht überraschend war, dass diejenigen zustimmten, die eh für Inklusion sind: Natürlich könnte es das, warum auch nicht, es komme doch auf das Individuum an und die Gesellschaft könne sich (und das ruhig mal) anpassen.

Überraschend war der Widerspruch von @ennomane. Man solle, bildlich gesprochen, aufhören Rollifahrern das Schwimmen beibringen zu wollen. Er würde keinen gehörlosen Vorsitzenden wollen. Enno hat seine Gedanken gestern nacht in einem Blogeintrag ausgeführt. Ich stimme ihm teilweise zu. Hier ein paar Überlegungen meinerseits unter demselben Titel:

Ich finde es ziemlich sinnlos, jetzt einem solchen Beispiel vehement zu widersprechen oder dagegen zu sein, weil es völlig abstrakt ist. Man diskutiert dann eigentlich darüber was wäre, wenn sich jetzt plötzlich ein Gehörloser auf dem Stuhl des jetzigen Parteivorsitzenden materialisieren würde. Und mit den Bedingungen, wie sie gerade sind, klarkommen oder draufgehen müsste.

In Wirklichkeit wäre es doch so, dass jemand schon länger in der Partei auf sich aufmerksam gemacht, was geleistet haben müsste. Man wüßte um ihre oder seine Fähigkeiten (und Schwächen), zumindest ein Teil der Parteistrukturen und Parteikollegen — wenn nicht sogar der Medien — hätte sich schon darauf eingestellt. Ich glaube nicht, dass überhaupt ein Gehörloser auf die Idee kommen würde, sich um ein Amt wie den Parteivorsitz zu bewerben, wenn er nicht einigermaßen sicher wäre (und auf Nachfrage auch erklären könnte), wie er sich die tägliche Arbeit vorstellt. Ich glaube z.B. auch nicht, dass eine Gehörlose —  erstmal in die Nähe einer solchen Position gelangt — nur noch vom guten Willen ihrer Umgebung abhängig wäre. Denn dann hätte sie bereits Unterstützer, einen Kreis Vertrauter, ein Netzwerk. Wenn nicht, dann würde sie einfach nicht gewählt. Und das müsste man dann akzeptieren. Ob es einem gefällt oder nicht.

Sehr interessant finde ich Ennos Überlegung, vielleicht aus strategischen Gründen gegen eine Gehörlose an der Spitze zu sein.  Um dem politischen Gegner nicht zuviel Angriffsfläche zu bieten. Die Frage, ob man sich mit einem gehörlosen Vorsitzenden nicht parteitaktisch ins Bein schießen würde, stellt sich in der Tat. Aber eben auch nur, wenn man annimmt, dass man jetzt sofort plötzlich und in der gegenwärtigen Situation darüber entscheiden müsste. Nicht, wenn da in (hoffentlich naher) Zukunft jemand wäre, der oder die auch irgendwie dahin gekommen ist, sich zu bewerben.

Infofern: Im Augenblick finde ich Barrierefreiheit in den unteren Rängen, den Parteitagen und in den Arbeitskreisen viel wichtiger. Damit überhaupt mal (z.B.) Gehörlose in die Nähe einer solchen Position kommen und sich die Frage konkret stellt! Solange das nicht passiert, halte ich die Abwehr fiktiver Beispiele für müßig. Da geht’s dann fast nur um Glaubensbekenntnisse.
Ich kenne auch keinen Gehörlosen, den ich in so ein Amt wählen würde. Aber das will nichts heißen.

–Die naiven Vorstellungen von Politik (und Autofahren) im Fall Helene Jarmer, der ersten österreichischen gehörlosen Abgeordneten, habe ich hier kritisiert. Meinen Standpunkt zu Beruf und Behinderung generell habe ich vor kurzem hier zusammengefaßt.–

Ganz einfach

Wie wäre es wohl, mein Leben, wenn ich es mir so richtig einfach machen würde? Und für alles meiner Hörbehinderung die Schuld gäbe. Zum Beispiel so:
Die Avancen  wurden zurückgewiesen? Klare Sache. Den Job nicht bekommen? Was sonst. Kein Schwein ruft an, beim Bäcker zuletzt bedient worden, die Vögel scheißen von allen Autos nur auf Deins? Verstehe.

Vielleicht lebte es sich so ja gar nicht so schlecht? Nicht immer zweifeln, was jetzt woran lag. Nicht ewig auseinanderklamüsieren, inwiefern ich selbst Schuld und welche Löcher ich mir selber gegraben habe. Was ich selbst ändern müsste, wenn ich es anders haben wollte. Ich meine, man sagt ja nicht umsonst: Dumm fickt gut.

Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass ich das könnte. Aber vielleicht sollte ich es öfter mal probieren. So ganz einfach.

Zivilbulle

Zu den Segnungen des elektrischen Ohrs gehört ein enormer Gewinn an Nachdruck bei Streitigkeiten auf der Straße. Jedenfalls kombiniert mit der entsprechenden Frisur, die den Knopf am Kopf sichtbar macht. Und den der Uhrzeit nach Mitternacht entsprechenden Augenringen.

Ist das alles gewährleistet, dann verkürzen sich die Auseinandersetzungen mit den schmierigen Gästen meines Lieblingsnachtclubs deutlich. Auf meine höflichen Fragen folgt nicht wie sonst erstmal ein Schwall von „Wart mal, bin beschäftigt!“ s und „Ey, was hassu?“ s, durch den man erstmal durch muss.
Sondern ein klares: „Oh, sofort. Mach ich sonst nie! Müssen Sie gar nicht melden! Bin schon weg!

Sag mal, wo hast Du die letzten drei Jahre gewohnt?


[via fuckyeahsubtitles]

Ich liebe Filme. Und Serien. Aber ich bin kein Freund davon, das Internet mit Videos und Streams vollzustopfen. Ehrlich, ich bin mit Text ganz zufrieden. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass ich mit der Tonspur öfters Probleme habe.

Es hat damit zu tun, dass ich gerne Herr über meine eigene Zeit bin und die Dinge in meinem Rhythmus mache. Dass ich entscheide, wie wichtig ich etwas finde und wie viel Aufmerksamkeit ich ihm dementsprechend widmen möchte. Ein Text hat keine Eigenzeit, ich kann ihn in Windeseile überfliegen, vielleicht schnell die Zwischenüberschriften ansehen, Teile überspringen, das Ende lesen. Das mag ich.

Videos dagegen, und ihrer Geschwindigkeit, muss ich mich ausliefern. Sie dauern so lange wie sie dauern und mindestens den Anfang muss ich in ihrem Tempo und ihrer Dauer gucken. Nur das Fernsehprogramm ist noch schlimmer: Da findet das alles noch zu vorbestimmter Zeit statt. Nennt mich eigenwillig, aber — das mag ich oft nicht. Da muss ich schon sehr interessiert sein.

Warum ich das alles schreibe? Eigentlich ist es mir nur eingefallen weil ich überlegt habe, warum mir fuckyeahsubtitles so gefällt  — obwohl die Kombination Bild und eingeblendeter Text doch erstmal ästhetisch nicht so wahnsinnig prall ist. Übrigens, der Dialog oben wird noch besser: „Einige der Nachbarn waren ziemlich seltsam.“

Gefangen in einer unsichtbaren Welt

Nein, das ist nicht mein Werk. Aber es ist meine Welt. Um ehrlich zu sein, ich habe vor vielen Jahren mal einerecht ähnliche Zeichnung von mir selber gemacht. Darum war ich auch so überrascht, als ich dieses Bild sah. Ich freue mich, dass ich es hier posten darf.

Die Künstlerin hat ihren Weg gefunden, mitzuteilen wie es sich anfühlt, schwerhörig oder gar ertaubt zu sein. Dieses war das zentrale Bild einer Ausstellung. Und nach allem was mir erzählt wurde, ließ sie keinen der flotthörenden Besucher kalt.

Ich hoffe, dass ihnen das Bild bei der nächsten Begegnung mit einem Schwerhörigen wieder eingefallen ist.

Brauchen Kinder Puppen, die aussehen wie sie selbst?

Eine Männerfantasie. Mädchen bekommen verschwurbelte Rollenbilder, wenn nicht gleich das Ticket in die Magersucht.  Die Argumente gegen Barbie-Puppen sind bekannt.
Also wurden Barbies Maße „normaler“, es gibt ethnische Barbies. Wie Puppen aussehen hat also etwas mit der fürs Kind gewünschten Entwicklung und mit Vorstellungen von Normalität zu tun.

Aber sollten Kinder mit Down-Syndrom darum Puppen mit Down-Syndrom bekommen? Kinder, denen ein Arm fehlt, solche, denen ein Arm fehlt? Und solche mit Hörgerät oder CI eine, mit ebendiesen Gerätschaften hinterm Ohr?

Im amerikanischen Tauben-Forum bin ich drauf gestoßen: Puppen mit Cochlea Implantat. Zum Beispiel diese Seite.

Ich kann mir schon vorstellen, dass es z.B. sinnvoll sein kann, beim Arzt oder Akustiker so eine Puppe zu haben. Um bestimmte Dinge zu erklären oder generell die Situation spielerischer zu gestalten. Aber so für den Alltag, zum Spielen? Ich finde das komisch. Ich kann nicht recht benennen, was mich daran stört. Vielleicht, dass es so wirkt wie eine „Behindertenfamilie“, also eine, die auf Behinderung hin orientiert ist? Genausogut könnte man aber vielleicht auch sagen: Hey, das ist einfach nur extrem lässiger Umgang damit. Aber gut, ich konnte mit Puppen schon früher nicht viel anfagen und finde sie heute noch zuweilen sehr unheimlich.

Und, wie seht Ihr das so? Brauchen schwarze Kinder schwarze Puppen und behinderte Kinder behinderte Puppen?

Elektrosmog: Gesundheitliche Schäden durch Cochlea Implantate?

Ist die elektromagnetische Strahlung der elektrischen Ohren schädlich? Für dieses — hochspekulative! — Thema lege ich mal einen eigenen Eintrag an, denn es interessiert mich sehr — und bisher hat sich die Diskussion unter einem ganz anderen Eintrag entzündet.

Von mir zu Elektrosmog generell: Sehr schwieriges Feld, und wie gesagt: Ich mache mir auch Sorgen, es spricht vieles dafür, sich so ganz grundsätzlich mit möglichst wenig Funkgerätstrahlung zu umgeben.
Ich denke aber auch: Man sollte es aber mit dem Sorgenmachen speziell mit Blick auf Dinge wie CIs auch nicht übertreiben solange nichts konkretes sicher ist. Einmal googlen reicht da nicht, man muss schon versuchen, sich zumindest ein bißchen einen Überblick über die Diskussion verschaffen. Ich finde den Wikipedia-Artikel zu Elektrosmog recht gut.

Und jetzt kopiere ich einfach mal die bisherigen Beiträge (leicht gekürzt) hier ein.

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Jetzt: Pickelhauben gegen, äh, Wäscheaufhänger?

Falls beim Spiel gleich mal wieder kein Geschrei die Vuvuzelas übertönen kann, hier die Lösung: Gebärdensprache.

Über jule bin ich auf die Seite deafkids gestoßen mit einer schönen Zusammenstellung der Gebärden für die Länder und einige Fußballbegriffe.

Demnach, also den Gebärden nach, treffen also gleich die Pickelhauben auf die– ja was sind denn die Australier? Handbefeuchter und -trockenschüttler? Wäscheaufhänger??
Wer kann helfen, wer weiß, was sich hinter der Gebärde verbirgt?

„Aber, Du wirst für immer zwischen den Welten bleiben!“ — Deutungsmuster und mein Leben mit Cochlea Implantat

„Aber“, sagte sie und sah mit mich aufgerissenen Augen an, „Du wirst für immer zwischen den Welten bleiben!“ Das war vor nicht ganz einem Jahr, als ich mich schon fast entschlossen hatte, mir ein elektrisches Ohr, ein sogenanntes Cochlea Implantat (CI)  implantieren zu lassen. Noch zögerte ich, doch dieser Freundin hatte ich davon berichtet. Sie war besorgt:

„Du wirst nie etwas ganz sein. Weder bei den Gehörlosen zuhaus, noch bei den Hörenden.“

An diese kleine Geschichte musste ich bei der Diskussion denken, die sich gerade ab hier in den Kommentaren zu einem ganz anderen Thema ergeben hat. Wir haben uns dort mit den Benennungen herumgeschlagen — was ist gehörlos, was ist taub? Kann sich jemand mit CI noch gehörlos nennen? Und ich denke, es ist weder Zufall, dass wir uns nicht einig werden konnten. Noch dass sich das Ganze am CI entzündete.

In der Tat, das Leben mit CI ist ein ständiger kleiner Grenzverkehr — ja, meine Freundin hatte Recht mit ihrer Einschätzung. Aber mir hatte auch nie jemand etwas anderes versprochen. Ich habe mich wirklich viel umgehört, bevor ich mich für ein CI entschieden habe. Kein Arzt, kein Wissenschaftler und kein CI-Träger hat mir je gesagt, ich würde mit dem Implantat normal hören. Keiner hat je behauptet, er könne mich reparieren. Die Unterstellung, ein CI sei eine Reparatur, etwas das aus „kaputt“ wieder „ganz“, aus „schwarz“ „weiß“ mache, kenne ich persönlich nur aus einer ganz anderen Richtung. Nämlich aus dem Vorwurf, ich würde mich mit der Operation „den Normalos“ anpassen. Mich dem unterwerfen, was „die Gesellschaft“ will. Und zeige damit entweder meine eigene Unreife oder mache mich zwangsläufig unglücklich. Weil die Reparatur eben nicht funktioniere (was aber, wie gesagt, zumindest mir gegenüber auch niemand behauptet hatte.)

Es ist halt so: CIs produzieren ganz systematisch Menschen, die weder richtig gehörlos noch richtig hörend sind. Sind sie eine Minderheit unter den Hörenden, also im Hören behinderte Hörende? Oder eine Minderheit unter den Gehörlosen, also durchs Hören behinderte Gehörlose?

Ich würde sagen: Weder noch. CIs bringen unsere gängigen Deutungsmuster durcheinander. Mit den alten Mitteln ist keine eindeutige Kategorisierung möglich. Und obwohl ich es selbst auch immer so nenne — „schwerhörig“ ist doch im Grunde auch nur so eine Hilfskonstruktion, mit der man einigermaßen durch den Alltag kommt. Das sieht man, finde ich, schon daran, dass keiner so recht sagen kann, was eigentlich das Gegenteil von schwerhörig sein soll.
Außerdem suggeriert „schwerhörig“ eine Gleichförmigkeit, die gar nicht da ist. Nur mit angelegter Technik bin ich schwerhörig, ohne bin ich taub. Ersteres bin ich bis zu 18 Stunden am Tag, das andere oft etwa neun. Manchmal, wenn mir danach ist, aber auch tagelang. Was bin ich also? Fünfachtelschwerhörig?

Ich glaube, was  unsere kleine Diskussion in den Kommentaren mal wieder zeigte war: CIs bringen eine nicht stillzustellende Unruhe in unsere gängigen Deutungsmuster. Sie produzieren etwas Drittes, weder schwarz noch weiß. Wer’s theoretisch mag — es ist im Grunde genau das, was schon vor 20 Jahren Donna Haraway in ihrem Cyborg Manifesto geschrieben hat: Cyborgs, Techno-Menschen, unterlaufen die alten Kategorien.

Damit sind sie aber erstmal auch von Anpassung an eine „Normalität“, von Unterwerfung unter „die Gesellschaft“ weit weg. Haraway glaubte sogar, dass durch Cyborgs etablierte Denkweisen in Bewegung kommen und politisch neue Möglichkeiten eröffnet werden. Weil die bisherigen Strukturen auf sie nicht passen, ja weil sie in diese Veränderungsdruck hineinbringen. Dieses Moment der Ironie und Befreiung versuchte Haraway mit ihrem Text herauszuarbeiten. Das mag ein bißchen optimistisch sein, aber jedenfalls: Weil die alten Kategorien keine Pilze, sondern Menschen und Lebensentwürfe bezeichnen, wird dadurch auch Identitätsbildung zum Problem: Was sind Menschen mit elektrischem Ohren, wenn sie denn weder hörend noch gehörlos sind? Wo gehöre ich hin, wenn ich ein CI im Kopf habe?

Doch schon letztes Jahr, als meine Freundin mich so besorgt anschaute, war ich zwar von der Rhetorik ein bißchen beunruhigt — wer möchte schon kein Zuhause haben? — fühlte mich aber gleichzeitig merkwürdig unangesprochen von diesem Sortierproblem. Ein Grenzgänger war ich ja schon immer gewesen. Wirklich normal gehört hatte ich nie. Aber bis vor etwa zwei Jahren kannte ich auch das nicht, was man medizinisch Taubheit nennt. Lange bevor ich Not quite like Beethoven wurde, war ich schon nicht ganz. Daran hat auch das CI nichts geändert. Es macht es nur deutlicher sichtbar.

Und darum gab ich der besorgten Freundin schon damals die — wie ich heute weiß — richtige Antwort: „Mein Zuhause, das muss ich mir sowieso selber suchen seit ich bei meinen Eltern ausgezogen bin. Das kann man mir eh nicht zuteilen.“

[Übrigens, wer sich für Kulturgeschichte und die Cyborg-Thematik interessiert, schaue mal hier rein: Menschliche Cyborgs und reflexive Moderne (pdf).]

Liebe oder Gehzurhölle: Kannst Du’s unterscheiden?

„Wow, mit Kopfhörern auf sieht I love you! verflixt genauso aus wie F**k you!“ — So kürzlich das volllippige Erweckungserlebnis von Freundin Berlinessa.

Ich fand das gar nicht. Ich fand, diese beiden sind wirklich leicht zu unterscheiden. Jedenfalls leichter als die wohlmeinenden Vorschläge der hilfsbereit einspringenden US-Freunde: Olive juice? Elephant juice? Hehehehe.

Wie seht Ihr das? Könnt Ihr’s unterscheiden?

Für meine deutschen Leser sei gesagt, dass diese dem deutschen Ohr vielleicht exotisch anmutenden Säfte in den USA einige Berühmtheit erlangt haben. Sie sind beliebt dafür, dass sie zumindest den Sex in schlechtlaufenden Liebesbeziehungen noch ein wenig länger am Laufen halten. Wer sie lautlos in den Mund nimmt, kann später immer behaupten, er habe von Liebe gesprochen. Oder hat nie gelogen. Fieses Ausnutzen der Tatsache, dass Lippenlesen eigentlich gar nicht geht. Oder auch, wenn man sich nicht sicher ist. Dann guckt man treu und haucht: Elephant juice. Ist ein bißchen wie etwas mit gekreuzten Fingern versprechen…

Schonmal probiert?

Und wer sich für gut im Lippenlesen hält, versuche sich mal an diesem Spiel, das der Herr just like Beethoven freundlicherweise gepostet hat.

Technikfolgenabschätzung: Das eigene Schmatzen

Wer kennt das nicht — den Pickel auf der Backe, die schlechtsitzenden Haare oder der Soßenfleck auf dem Hemd. Und man läuft stundenlang damit rum, nur weil es gerade nirgendwo einen Spiegel gab, in dem man’s hätte sehen können.

Es ist eigentlich banal: Sich selbst wahrnehmen hilft bei der Selbstkontrolle. Darum hört man’s ihnen ja auch oft an, wenn Menschen ihr Gehör verlieren: Ihr Sprechen verändert sich, weil sie sich selbst nicht mehr hören.
Mit dem elektrischen Ohr merke ich das ja gerade selber, nur auf umgekehrtem Wege: Ich ertappe mich häufiger selbst beim nuschelig Reden.

Nun mag nicht jeder so pingelig sein wie ich. Aber — ob dieses neue, an den Zähnen befestigte Hörgerät wirklich so eine gute Idee ist? Das die Leute zum Essen herausnehmen müssen und, so dass sie ihr eigenes Schmatzen nicht hören? Ich glaub, das ist nicht gut für die Tischsitten…

Für Liebhaber: Untertitel mal anders

Ein Tumblr nur mit Screenshots und Untertiteln. Sehr geil:  fuck yeah subtitles!

[Gefunden bei franzi. Danke!]

Strom ins Ohr: Vom nicht ganz wie früher Hören mit dem Cochlea Implantat

Er konnte wohl einfach nicht widerstehen. Es ist jetzt 200 Jahre her, dass Alessandro Graf von Volta, die gerade von ihm erfundene elektrische Batterie ansah und sich die beiden Elektroden in die Ohren steckte. Er bekam einen Schlag — und nachdem er wieder zu sich kam berichtete er, ein Knallen und etwas wie „das Köcheln dickflüssiger Suppe“ gehört zu haben (siehe z.B. hier und hier). Volta selbst versuchte das nicht mehr allzu oft. Doch andere kamen immer mal wieder auf die Idee, sich und anderen Strom in die Ohren zu leiten — und so entstand schließlich das Cochlea Implantat (CI). Ich habe so ein elektrisches Ohr.

Über die immer noch etwas seltsamen Höreindrücke hab ich ja gerade berichtet. Aber wie fühlt sich das eigentlich an, der Strom im Ohr?

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Wie hören Menschen mit Cochlea Implantat?

Wie hört man mit einem elektrischen Ohr, mit so einem CI? Ich habe mal ein paar Hörbeispiele gesucht.

Das ist aber eine schwere Frage, denn selbst unter den einzelnen Nutzern sind die Unterschiede groß. Und je nachdem wie lange man schon eins hat. Ich finde — nach ein paar Wochen mit CI — vor allem fühlt es sich anders an als normales, akustisches Hören. Aber dazu ein andernmal. [Nachtrag: Ab jetzt hier zu finden.]

Die folgenden Beispiele sind also nicht wie ein CI-Träger hört. Es sind Versuche der Annäherung. Ich würde vermuten, wenn man jemandem, der nicht hört, normales Hören simulieren würde, es würde ähnlich bizarr aussehen. Die Beispiele vermitteln einen Eindruck, wie seltsam diese Klänge zunächst sind. (Leider habe ich keine deutschen Beispiele gefunden, sie sind alle auf Englisch.)

Hier gibt es Beispiele für Sprache und Musik — in denen die 32- und 16-Kanal-Simulationen, also die direkt nach bzw. vor dem Original meinem Hören mit CI am nächsten kommen. (Klicken auf „Decrease Channels“ spielt zuerst das Original und dann die CI-Simulationen, klicken auf „Increase Channels“ zuletzt das Original. Klick auf „Music 1“ und „Music 2“ spielt beide Male das Original zuletzt.)

Man darf sich allerdings nicht vorstellen, dass sich Hören mit CI dauerhaft so anhört. Die Hörempfindung ändert sich, man gewöhnt sich daran und lernt „lesen“, was einem das Ohr da mitteilt. Die meisten langjährigen CI-Träger sagen, dass sich Sprache später kaum noch anders anhört als „normal“. Manche sogar, dass sie keinen Unterschied mehr wahrnehmen.

In diesem äußerst interessanten Radiobeitrag sind Musikbeispiele enthalten. Da der komplette Beitrag, wie in den USA üblich, transkribiert ist, kann man mitlesen — für mich war das gleich eine Hörübung.

Und um einen Eindruck zu kriegen, wie eigenartig die Welt mit CI in den ersten Wochen ist — mog hat ein wunderbares Beispiel gefunden, aus einer alten britischen Kindersendung. Die „Clangers“ leben auf dem Mond — und das, was ich die ersten paar Wochen mit dem CI gehört hab, kommt ihren Unterhaltungen recht nah. Nicht so sehr im Klang selbst, bei mir war es zB auch nie so hoch. Aber von der Atmosphäre her.  Hört mal ab 1:15 und 2:05 hin!

Und schließlich gibt es hier und hier noch ein paar gute Hörbeispiele!

2010: Das Antlitz des Jahres

Wenn es kein Fisch ist, bin ich nicht gewohnt, dass mich mein Essen anguckt. Aber ich nehme an, wenn ich am Neujahrstag nach dem Umrühren so etwas in der Tasse habe, heißt das, dass dieses Jahr gute Laune bereit hält. Oder?!

Punkrocksicher — Wie Hörgeräte meinen Musikgeschmack veränderten

Ich hatte mal Hörgeräte, die waren punkrocksicher. Widex C18, es waren die besten Geräte die ich je hatte, vor allem weil sie eine super Störschallerkennung hatten. Ich verstand in lauten Restaurants besser als meine Eltern und ihre Freunde. Das ansonsten unerträglich laute Geplapper der anderen Menschen wurde auf ein sanftes Säuseln herabgedämpft. Das müsst Ihr euch mal vorstellen: Ich. Als Schwerhöriger. Verstand! BESSER! Solche Freude!!

Nur, sobald irgendwo Punkrock kam — ich rede hier von sowas wie The Exploited, Dead Kennedys, Slime — regelten die Geräte ihn automatisch runter. Drehte ich die Lautstärke hoch, regelten sie noch mehr runter. Selbst auf Konzerten war das so. Es war frustrierend!

Ich glaube damals begann ich, etwas melodischere Sachen zu hören. Zuerst Primus

… und irgendwann war ich dann eher bei so Sachen, wie Ihr sie (neben anderem) hier im Blog unter Schöne Töne findet.

(Und ein andermal gibt’s dann auch was über aktuelle Musik.)

Das Leben findet jetzt statt

I think the reason why I do not lose weight is that I am afraid. If I lose weight and still no man finds me attractive then I have nothing to blame.

Ich weiß nicht mehr genau, wo ich diesen Spruch gehört oder gelesen habe. Aber ich finde die Logik, die jemand hier an sich selbst entdeckt, sehr spannend. Und sehr weit verbreitet. Ich denke, es gibt genügend Schwerhörige, die so ähnlich über sich selbst denken: Wenn ich nur normal hören könnte, dann… Ab und zu gehöre ich auch dazu. Denn Gelegenheiten so etwas zu denken, gibt es ja genug.

Und darum möchte ich mal kurz die Gelegenheit nutzen, eine Notiz an mich selbst festzuhalten (und das heißt in diesem Blog ja: für alle): Memento mori!

Okay, das heißt eigentlich Bedenke, dass Du sterben wirst,  aber was damit gemeint ist, ist in diesem Fall dasselbe: Mach es Dir nicht bequem hinter Deiner Behinderung (oder Deinem Körperumfang, Deinen zu kleinen oder zu großen Brüsten, Deinem immer nur schiefen Lächeln und Deinem Haarausfall oder…). Hoffe nicht auf bessere Tage. Das Leben findet jetzt statt. Alles was Du jetzt tust oder läßt, wird Dein Leben gewesen sein.

PS: Auf Deutsch steht da oben: Ich glaube, der Grund warum ich nicht abnehme ist, dass ich Angst habe. Wenn ich abnehme und mich dann immer noch kein Mensch attraktiv findet, dann habe ich nichts mehr, dem ich die Schuld geben kann.