Schlagwort-Archive: Erstanpassung

Nur beim Kuss gibts keinen Zweifel

Mir ist die Ausrede weggefallen. Mit dem Hörgerät hab ich auf dem linken Ohr eh nicht mehr vieles gehört, also ist mir auch kein Zacken aus der Krone gebrochen, wenn ich Sprache nicht verstanden hab.

Jetzt dagegen merke ich, wie eigenartig und wie mies das eigentlich ist, ziemlich viel zu hören, aber keine Sprache zu verstehn. Der versteht keine Sprache! Wie klingt denn das, bitte?!

Mein Computer sagt mir Wörter vor, ich muss raten, was es war. Sagt er kite, key oder comb? Klingt alles gleich. Nur kiss, das erkenne ich immer! Ich denke mir, das ist sicher weil es sowas Schönes ist. Kiss!

Regen, Traufe, ach was! Es geht aufwärts

Wie es sich gehört, haben mit dem Ende von Weihnachten auch die Unflätigkeiten aufgehört. Nur jetzt hab ich lauter Luftröhrenschnittpatienten um mich! Immerhin, sie reden, auch wenn kaum was zu verstehen ist und zuhören etwas Überwindung kostet. Vor allem bei lieben Menschen.

Die Welt mit CI: Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren nicht geeignet

Nachdem nochmal an den Einstellungen gedreht wurde, stelle ich nun fest: Ein Glück, dass ich dieses Wunderwerk der Technik habe. Ich weiß zwar nicht genau wie’s kommt, Fakt ist aber, dass seit das CI an ist, die Leute unglaublich unflätig geworden sind! Nur noch Schimpfwörter, sexuelle Anspielungen und Kraftausdrücke!

Mein elektrisches Ohr bewahrt mich gnädig davor, es legt einfach einen Piepton über den Blödsinn. Kann ja auch nichts dafür, dass die meisten Leute so durchgängig fluchen, dass ich nur Piepstöne im Rhythmus ihrer Sprache höre.

Zur Feier des Tages:

Ansonsten klingt durch Gras laufen heute, als wären es Metallstäbchen, Blätter klingen wie Metallfolien. Und auch der Springbrunnen klingt als prallten die Tropfen auf ein Blechdach und nicht die Wasseroberfläche. Interessant.

Die Lehren des Musiklehrers

Mein Musiklehrer aus der 7. Klasse war ein unscheinbarer Mensch. Kleinwüchsig und dünn, mit einer echten Cäsarennase und einer Kopfbehaarung, die sich hinter jenen aus Williamsburg nicht zu verstecken braucht. Wir hielten ihn alle ein bißchen für einen Spinner.

Doch er liebte die Musik. Und das Experimentieren. Ich sehe ihn immer noch genau vor mir: Er hatte uns alle Schlagzeug spielen lassen, die Mädchen wollten nicht, wohl aber wir Jungs. (Drums, yeah! Ich versuchte es genauso zu machen wie ich es in den Rockvideos gesehen hatte und hieb mit beiden Stöcken gleichzeitig hinein!) Schließlich stellte er die snare drum vor uns hin und meinte mit gewichtiger Miene: „Ihr haut immer nur da oben auf das Fell. Aber alles macht Geräusche.“ Dann beugte er seinen schlaksigen Körper hinunter und klopfte und strich gegen alles was die Trommel zu bieten hatte: Ränder, Ständer, Seite, Ständerfuß, ja sogar auf den eigenen, von einem Lederband verzierten Arm und den Boden. Dabei lächelte er.

Er ermunterte uns, Klänge wahrzunehmen und zu machen — und das nicht nur dort wo sie gemeinhin gemacht werden.

Genauso geht es mir gerade wieder: Ich klatsche in die Hände, klopfe an Wände und auf Tische, kratze mit den Fingernägeln am Computer, knistere mit der Chips-, der Lebkuchen- und der Lidl-Tüte. Ich stampfe auf den Boden und schleife meine Füße, was beim Gehen durch die Stadt recht komisch aussieht. Ich sage dabei A! und  a! und sss! und Pft! vor mich hin, drehe die Dusche an und lasse sie gegen den Duschvorhang pladdern. Und ich ärgere mich, dass ich vorhin beim Pinkeln vergessen habe, direkt ins Wasser zu zielen!

Leider waren am Ententeich keine Enten, die für mich quaken wollten. Aber — alles macht Geräusche! Und wichtig ist das deswegen, weil ich die (meisten) zwar vorher auch gehört habe, aber jetzt klingen sie wieder spannend, frisch und knusprig statt des ollen, verwaschenen Impressionismus, den ich gewohnt bin.

War ja ganz spaßig gestern, aber jetzt können wir wieder zum Normalhören* zurückkehren

Elektrisch ist  seltsam und spannend zugleich. Doch wie ich aus meiner reichhaltigen Erfahrung mit Verkehrsunfällen weiß, ist der zweite Tag immer am Schlimmsten. Denn: Da wacht man auf, starrt an die Decke — und es ist immer noch passiert.

Außerdem ist da natürlich doch untergründig die Angst, dass es heute genauso ist wie gestern und auch so bleibt. Oder nur minimal besser wird. Dass ich, nachdem ich nun schon keiner von den  Überfliegern bin, einer von den Ausreißern nach unten bin.

Doch dann wurde es besser als gedacht. Und das lag an meinem Musiklehrer aus der 7. Klasse….

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*haha, Ihr wißt, was ich meine

Das erste Mal: Elektrisches Hören

Ich hatte schon alle möglichen Geschichten darüber gehört, wie elektrisches Hören zuallererst klingt. Erstmal nur fzzz, fzzz, fzzz oder nur Gepfeife, mal gleich Sprache mal nicht. Bei jedem anders aber fast immer seltsam. Und als Reaktion Lachen. Oder auch Tränen.

Ich bin sehr ruhig. Dazu trug wohl die Vorgehensweise ihr übriges bei. Zuerst werden alle Kontake durchprobiert, Sinustöne. Ich sollt sagen, wann ich sie gut höre. Als alle durch sind, kommt eine kleine Rede: Ich solle nicht zu viel erwarten, es könne so und so sein, vielleicht würde ich gleich was verstehen, vielleicht aber auch nicht.  Ich dachte nur:  Jaja, nun mach endlich.

Und dann höre ich — ja was eigentlich? Wie so tief es geht mit gespitzten Lippen pfeifen. Wie Xylofontöne aber gepfiffen, nicht geschlagen. Und gaaanz gaannz leise, irgendwie darunter und darin versteckt, die richtigen Geräusche. Gerade so ahnbar, aber nicht wirklich hörbar. Und beileibe nicht verstehbar.

Ich bin immer noch erstaunlich ruhig. Ich verstehe nichts, ich müsste enttäuscht sein. Aber das hier ist so strange, das ist schon wieder spannend. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass das auch besser wird. Lustigerweise –oder glücklicherweise — klingt es eigentlich gar nicht elektronisch, blechern oder so. Sondern ziemlich organisch. Es ist halt nur, dass sich die Geräusche und Stimmen und alles in diesen gepfiffenen Xylofontönen vor mir verstecken.

Dann bekomme ich verschiedene Instrumente vorgespielt…

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Schlurpf, machte das elektrische Ohr und begann zu arbeiten

Jetzt ist es soweit. Das elektrische Ohr wird in Betrieb genommen. So richtig mit regelmäßigen Inspektionen, in die Werkstatt bringen, Mechaniker Mechatroniker Techniker und wahnsinnigem Stromverbrauch. Nur ne lange Verlängerungsschnur schlepp ich nicht mit mir rum.

Direkt vorher war ich noch nachdenklich: Saß im Wartezimmer und blickte auf eine Zeitschrift hinab. Und merkte, wie unheimlich visuell ich gepolt bin. Das Zucken der Augen von der Zeitschrift hoch, unruhig. Immer wenn wer vorbeiläuft oder reinkommt. Nicht weil ich aufgeregt bin, sondern weil ich sonst nicht weiß, was abgeht und nicht höre, wenn ich gerufen werde. Ob sich das wohl ändert, wenn ich mehr höre? Ob es entspannender wäre? Wäre es ein Verlust, die Leute weniger gut lesen zu können?

Kurz darauf drückt mir mein Techniker die Spule in die Hand, etwas größer als ein 2-Euro-Stück. Die soll an meinen Kopf. Aber wo? Ich bin mir trotz viel Tastens nicht sicher wo genau der Teil des Implantats liegt, wo die Spule hinsoll. Ich suche. Dann: Schlurpf. Die Spule springt an meinen Kopf. Wow, das ist ja wirklich ein ganz eigenartiges Gefühl. Man muss gar nicht viel suchen, die weiß selber wo sie hin will. Funktioniert ganz ohne mich. Ach, genau wie Magnetschmuck, beruhige ich mich.

Und ich habe gleich das erste Geräusch gefunden, dass ich niemals hören werde. Denn das schlurpf stelle ich mir natürlich nur vor. So fühlt es sich an. Und ich werde nie wissen, ob es das wirklich macht, weil ich zu dem Zeitpunkt nie was hören werde. Das Ohr kann sich nicht selbst beim Hören zuhören. Was die anderen erzählen (es macht kein Geräusch) ist mir egal. Für mich macht es ab heute jeden Morgen: Schlurpf.

Und wie hört es sich an damit? Erzähle ich gleich….

Futur II

Ich glaube, niemals in meinem Leben war ein einzelnes Wort so bedeutungsschwanger wie dieses kleine „nachher“.

Eine Freundin rief ohne Vorwarnung an. Und weil ich eigentlich einen Anruf meiner Eltern erwartete — die einzigen, mit denen ich noch telefoniere — ging ich ran. Ich (oder vielleicht besser: sie) hatte Glück: Irgendwie konnte ich aus der Kombination von Tonfall und etwas, das wie ein Name klang, erkennen wer dran war. Mit nur zweieinhalb Sekunden Denkpause, yay.

Sie fragte gleich, ob wir telefonieren könnten oder sie doch lieber eine Email schreiben solle. Aber ich dachte, wenn wir uns eh schon an der Strippe haben kann man’s auch mal versuchen. Schließlich wollte sie eigentlich nur Hallo sagen und sich mit mir verabreden. Weil jetzt gerade alles bißchen hektisch ist bei mir, verabredeten wir uns für nachher. Und als ich aufgelegt hatte, musste ich mich erst mal setzen.

Nachher ist natürlich nachdem mein elektrisches Ohr in Betrieb genommen worden sein wird. Ich liebe ja eigentlich Futur II, das nutzt man viel zu selten. Hier aber läuft es mir kalt den Rücken runter. Wenn ich mich für nachher verabrede oder Termine wie den Ausflug nach Helsinki nächstes Jahr in meinen Kalender eintrage, kriege ich eine kleine Panikattacke: Dann muss ich den Leuten ja anders unter die Augen treten

Ich bin sicher, für die meisten wird’s von außen nicht viel anders aussehen als vorher. Auch bisher war die Reaktion meiner Freunde und Bekannten auf gesichtete CIs eher: Das sah aus wie ein gutaussehender junger Mann. Oder wie ein Hörgerät. Oder: Ach echt, hab ich gar nicht gesehen. Wobei letzteres immer die Leute mit vielen Haaren waren.

Aber für mich fühlt es sich etwa so an als ob ich auf einmal in Orange als Baghwan-Jünger hingehen würde oder zur Frau operiert. Und wenn ich Helsinki im Kalender eintrage, denke ich: Mein Gott, dann wird das ja schon sechs Monate lang Alltag gewesen sein!

Das ist mal ein Futur II!