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Haben Kinder ein “Recht” auf elektrische Ohren? Oder darauf, kein Cochlea Implantat zu haben?

Die Möglichkeiten oder Angebote der modernen Medizin finde ich ja gut. Wären es Zwänge — oder werden es über sozialen Druck Zwänge — finde ich sie weniger gut. Aber wie sieht es eigentlich mit Rechten aus? Haben taube Kleinkinder ein Recht auf ein Cochlea Implantat (CI) — und wenn man es ihnen nicht noch im Kindesalter verschafft, ist man im Unrecht? Oder ein Recht darauf, kein Implantat zu erhalten? Und ist, wer dagegen verstößt eigentlich nur moralisch im Unrecht oder sogar rechtlich?

Keine einfachen Fragen, sehr unangenehme sogar. Vor ein paar Wochen ist dazu ein interessanter Text erschienen:

Müller, S; Zaracko, A. (2010), „Haben gehörlose Kleinkinder ein Recht auf ein Cochleaimplantat?Nervenheilkunde 29 (4): 244-248

Ich wollte schon länger was darüber schreiben, habe es aber immer aufgeschoben. Jetzt hat sich aber vor ein paar Tagen schon Jule dazu geäußert. Dann hat gestern Regenbogen hier im Blog den ersten Kommentar dazu geliefert, der vielleicht in der anderen Diskussion etwas untergeht. Bernd vom Taubenschlag hat eine Diskussionsvorlage geliefert. Und schließlich erhielt ich noch ein paar E-Mails, in denen ich gefragt wurde, was ich von dem Text halte. Darum hier nun ein paar schnelle Gedanken dazu — keineswegs fertig, es darf diskutiert werden:

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Mein Sohn ist taub, endlich!

Sollen Eltern ihren kleinen Kindern Cochlea Implantate einsetzen lassen, wenn sie taub geboren sind? Elektrisches Hören als Ersatz für akustisches ohne dass man das selber entschieden hat? Ein Reizthema. Beim Lesen der Diskussionen in Spiegel-Forum und der Kommentare hier ist mir dieses Video wieder eingefallen, das vor einiger Zeit in der amerikanischen Deaf-Community die Runde gemacht hat und dort kontrovers diskutiert wurde. Ich poste es um mal eine Perspektive aus der Gehörlosenwelt zu zeigen.

Man sieht dort auch gut ASL, die US-Gebärdensprache. Leider gibt es das Video nur mit englischen Untertiteln, ich hoffe Ihr könnt folgen. Es ist etwas länger, aber wenn Ihr es guckt, bitte unbedingt bis zum Schluss gucken!

Philosophie über die Feiertage: Die Welt gesehen — und gehört

Trotz allem: Auch nur ein bißchen Geräusche aus der Umwelt wahrnehmen ist SO fundamental anders als taub oder gehörlos zu sein. Für mich ist es auch fundamental besser — denn wie mog sagt, environmental noises feed the soul — aber das muss für niemand sonst gelten. Ich bin dafür gerade einfach besonders sensibilisiert, weil ich eben aus der Phase der Taubheit komme, das Initiationsritual des elektrischen Hörens im Anschluss an die OP.

Ich kann Euch auch genau sagen, warum es so anders ist: Weil man per Hören ganz unmittelbar in der Welt ist. Man ist einfach — und von überall her um einen herum strömen die Eindrücke auf einen ein, ohne dass man dafür irgendetwas tun müßte. Wie beim Riechen ist man einfach mittendrin, in ihrem Zentrum. Man kann sich gar nicht helfen. Zwei Ohren vorausgesetzt, jedenfalls.

Ganz anders z.B. per Sehen, für mich der wichtigste Ersatz fürs Hören. Sehend tut sich die Welt vor einem auf. Man ist nicht mittendrin, sondern immer an einem ihrer Enden. Das Sehen positioniert einen unweigerlich am Rand. Erst wenn man sich bewegt und den Kopf dreht, kann man — vermittelt — ein Bild der Welt zusammensetzen, in der man ist.

Kant, nicht Keller. Oder?

Nicht Sehen trennt von den Dingen. Nicht Hören von den Menschen

Ein Spruch, der in fast jedem Buch und Artikel über Schwerhörigkeit, Ertaubung und Gehörlosigkeit vorkommt und der meist Helen Keller zugeschrieben wird — einer Taubblinden, die es ja wissen muss.

Dabei scheint der Spruch ursprünglich von Kant zu sein, dem Philosophen, der sein Leben fast ausschließlich in Königsberg verbrachte, was seiner Philisophie oft von naseweisen Erstsemestern zum Vorwurf gemacht wird. Hahaha, der habe doch von der Welt nichts gesehen und dann so einen Anspruch!

Ist es nicht interessant, dass der allgemein zustimmungsfähige Spruch über Taubheit und Blindheit von jemand zu sein scheint, der selbst kein besonderes Problem mit hören und sehen hatte?

Der Mann muss wirklich außergewöhnliche Vorstellungsgabe gehabt haben. Gut, okay, wir reden hier über Kant, stimmt…. Allerdings habe ich nirgends eine Quellenangabe gefunden, hat irgendjemand eine?

Hey Mann, ich bin in meiner schalldichten Kammer!

Bedrucktes T-Shirt von CafePress

Es gibt nicht viele Sprüche über Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit, die ich mir auf ein T-Shirt drucken würde. Aber vielleicht diesen hier.

I can’t hear you, I’m in my imaginary soundproof booth.

Ich glaube der funktioniert nur auf Englisch, vielleicht sogar nur auf Amerikanisch. „Ich kann Dich nicht hören, ich bin in meiner vorgestellten schalldichten Kabine“? Das will ich kurz erklären:

Worum geht’s? Das ganze ist eine Anspielung auf den „imaginary happy place“ — das kommt ursprünglich aus irgendwas psychotherapeutischem und/oder esoterischem: Der ganz persönliche Ort an dem man sich wohlfühlt, glücklich ist und aus dem man Kraft zieht. Sollte man kennen. Und wenn es stressig wird sich vorstellen, man sei dort.

Passend dazu gibt es einen Spruch auf T-Shirts, der den Leuten mitteilt, der Träger sei in seinem „imaginary happy place“. Was hier, in der echten Welt, alles so geschehe, berühre ihn also gar nicht. Davon habe er sich bewußt abgewandt. Über grundloses Lächeln brauche man sich nicht zu wundern. Und gar nicht erst zu versuchen, ihn mit Belanglosigkeiten zu nerven.

Im Grunde drückt das T-Shirt also dasselbe Verlangen nach Ruhe und Ungenervtheit aus, das Madame Modeste neulich so schön beschrieben hat. Obwohl ich vermuten würde, dass sie niemals so ein T-Shirt anziehen würde.

Nachtrag auf Nachfrage hin: Warum nun schalldichte Kammer als „happy place“ für Schwerhörige und Gehörlose? Weil sie dazu eine besondere Beziehung haben. Gehörlose bewegen sie sich metaphorisch darin durchs Leben — es geht um Taubheit positiv gewendet. Und viele Schwerhörige machen darin außerdem nervige, langweilige bis demütigende Hörtests — es ist positiv und ironisch gewendet.

Die Wahrheit liegt im Tun

It’s good that you don’t hear in words or think only in words. This way you don’t hear only lies. You see by actions what the truth is. And you tell your own truth by action.

Echos Vater zu seiner kleinen, gehörlosen Tochter

Wohl das Schlimmste an Hörbehinderung: Abhängigkeit von wohlmeinenden Hörenden

Es hat schon was Ironisches. Gerade hat ein Beitrag aus der Westen erst bei Jule, dann bei Christiane sein Fett wegbekommen. Gehörlose Eltern und ihre Fähigkeit, sich um ihr neugeborenes Kind zu kümmern, wurden darin sehr schlecht dargestellt. Man sieht: Behinderte und Gehörlose sind im und durch das Netz soweit integriert, sie können solchen Darstellungen Kontra geben. Gut!

Aber es ist so typisch für Hörbehinderte, dass wir so vieles, was über uns gesagt wird, nicht mitkriegen. Und auf die Hilfe wohlmeinender Hörender angewiesen sind, um auf dem Laufenden zu bleiben. Genau das war hier wieder der Fall: Ich persönlich finde das Video zu dem Beitrag wesentlich schlimmer als den Text. Dazu brauchte ich aber Christianes Hilfe. Sie hat den Text freundlicherweise transkribiert. Danke dafür!

Gut, wenn ich nicht mitkriege, was andere so über mich oder meinesgleichen sagen, ärgere ich mich auch weniger. Das ist definitiv ein Vorteil. Das merke ich im Alltag. Und wird sich im Alter positiv auf meinen Blutdruck auswirken <daumendrück>. Es macht einen auch auf die Bedeutung kleiner Nettigkeiten aufmerksam. Aber es ist SO VERDAMMT FRUSTRIEREND abhängig zu sein. Ich entscheide einfach gerne selbst worüber ich mich aufrege. Und dafür ist die obige Affäre leider nur ein kleines Beispiel…

Übrigens: Was ich mal richtig gut und nachahmenswert finde: Der Journalist hat sich bei Christiane in den Kommentaren dazu geäußert. Ein großes Lob!

Schwerhörig, taub oder gehörlos? Drei Worte für Schwerhörige

Mal sollen sie vier, dann bis zu hundert Worte für Schnee haben, die Eskimos Inuit. Genaugenommen ist das aber eine Mischung aus Ente und stille-Post-Effekt (siehe The Great Eskimo Vocabulary Hoax und wikipedia).  Schade eigentlich.

Für Leute mit Hörproblemen gibt’s drei wichtige Worte. Bisher waren mir die damit verbundenen Spitzfindigkeiten eher Wurscht. Doch Not quite like Beethoven gewinnt jetzt so langsam an Popularität. (Vielen Dank an alle, die mich empfohlen (klick, klick und klick), geherzt (klick) oder in ihre Blogroll aufgenommen haben (klick und klick)!) Außerdem ist die Sache nicht ganz unpolitisch. Darum hier ein kleiner Führer durch die korrekte Nomenklatur:

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