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Philosophie über die Feiertage: Die Welt gesehen — und gehört

Trotz allem: Auch nur ein bißchen Geräusche aus der Umwelt wahrnehmen ist SO fundamental anders als taub oder gehörlos zu sein. Für mich ist es auch fundamental besser — denn wie mog sagt, environmental noises feed the soul — aber das muss für niemand sonst gelten. Ich bin dafür gerade einfach besonders sensibilisiert, weil ich eben aus der Phase der Taubheit komme, das Initiationsritual des elektrischen Hörens im Anschluss an die OP.

Ich kann Euch auch genau sagen, warum es so anders ist: Weil man per Hören ganz unmittelbar in der Welt ist. Man ist einfach — und von überall her um einen herum strömen die Eindrücke auf einen ein, ohne dass man dafür irgendetwas tun müßte. Wie beim Riechen ist man einfach mittendrin, in ihrem Zentrum. Man kann sich gar nicht helfen. Zwei Ohren vorausgesetzt, jedenfalls.

Ganz anders z.B. per Sehen, für mich der wichtigste Ersatz fürs Hören. Sehend tut sich die Welt vor einem auf. Man ist nicht mittendrin, sondern immer an einem ihrer Enden. Das Sehen positioniert einen unweigerlich am Rand. Erst wenn man sich bewegt und den Kopf dreht, kann man — vermittelt — ein Bild der Welt zusammensetzen, in der man ist.

phonophob

Aussehen tut das Wort ja gut: phonophob. Könnte auch auf einem coolen T-Shirt stehen.

Leider fühlt es sich nicht gut an. Mir ist gerade klar geworden, dass ich mit CI wohl den einen Klang wieder werde hören müssen, wegen dem ich froh war, dass mein Gehör schlechter geworden war. Das war nämlich für alle Beteiligten besser so. Für mein Nervenkostüm und für die Stimmung am Tisch.

Es geht um Eßgeräusche. Erwachsenen, womöglich auch noch nahestehenden Menschen zu sagen, es stört mich, wie Du ißt, finde ich dermaßen Fundamentalkritik — das ist nahe dran an es stört mich, wie Du bist.

Jetzt ist mir bange. Ob ich dann Musik auflegen soll? Was Essen angeht, bin ich wirklich empfindlich.

Hört sich an wie 3 Kilo zuviel — Wie Hörgeräte Tragen die Welt verändert

Ich bin ja wirklich ein Veteran, was Hörgeräte angeht — in den letzten fast 30 Jahren habe ich bei unterschiedlichen Graden von Schwerhörigkeit sechs verschiedene Modelle getragen. Und mit jedem war die Welt deutlich anders.

Grundsätzlich ist Hörgerätehören, wie soll ich sagen, zweidimensionaler. Auch mit zweien und auch wenn man Geräusche im Raum gut orten kann. Was ich meine ist, dass von dem was man hört Tiefe fehlt. Wie wenn man auf ein Foto der Welt sieht im Vergleich zu wenn man direkt mit den Augen in die Welt guckt. Und so ist es ja auch: Man hört nicht die Lautquellen selbst, sondern eine Lautquelle am Ohr versucht, die anderen so gut es geht darzustellen.

Fotos haben ja alle möglichen interessanten Effekte: Steht ein Mensch halb vor einem anderen, dann hat man in 3D trotzdem eine Ahnung, dass hinter dem ersten was dahinter ist. Dass es da weitergeht. Auf  einem Foto verdeckt der erste streng genommen nicht den zweiten, an der Stelle wo der erste ist, ist einfach nur der erste. Anderes Beispiel: Weil sie so flach wirken, sehen ohnehin schlanke Models zweidimensional noch aus als hätten sie 3 Kilo zu viel.

Schwerhörig und mit Hörgeräten verdecken sich Geräusche und Klänge gegenseitig in ganz anderem Ausmaß. Das leise Kratzen, Schaben und Schleifen was unsere Bewegungen und die der anderen begleitet, das Geschirrklappern und der Straßenlärm, aber auch die Stimme der Sängerin und die Gitarre, das Klavier und die Violine oder ein eigentlich leises Gespräch am Nebentisch: Sie unterliegen nicht den anderen Geräuschen, sie sind nicht auch da. Sie übertünchen sie. Oder sie vermischen sich, verlieren wie Farben ihr eigenes Leuchten und werden zu Brauntönen.

Sicher, die Elektronik ist immer besser geworden. Und je weniger schwerhörig man ist umso geringer der Effekt, weil man besser gezielt nur das was fehlt ersetzen kann. Aber dennoch muss ich auch mit hochgradiger Schwerhörigkeit und optimal eingestellten Geräten sagen: Wenn ich die Geräte herausnehme, kommt zwar deutlich weniger an bei mir.  Das was ankommt, klingt aber um Lichtjahre besser, mehrdimensionaler und auch mitreißender als die Welt mit Hörgeräten. Denn hören ist ja immer auch mit Gefühlen verbunden.

Wirklich zu doof, dass sich die Welt nicht selbst so verändert, dass sie sich für mich gut anhört — wie die Models, die hungern, nur damit sie auf Fotos gut aussehen.

Morgen berichte ich, warum mich ein Hörgerät, das ich die letzten 4 Wochen getestet habe, zum Weinen gebracht hat…

Das Treiben der Anderen

Gerade beim Heimkommen immer wieder dumpfes Pochen gehört. Könnte es das sein? Ich habe keine Ahnung. Dass man am Leben seiner Nachbarn teilhaben kann, ist für mich ähnlich exotisch die Lieblingsgerichte der Pygmäen oder diese Sache mit der Mücke.

Meine Freunde sind mal wieder der Ansicht, das sei auch in diesem speziellen Fall ein Segen — genauso wie bei den Alkoholikern, Junkies und Verrückten. Ich sehe das anders und stelle es mir, ehrlich gesagt, ziemlich aufregend vor zu hören wie’s meine Nachbarn so treiben. Oder zumindest eher belustigend als belästigend.  Außerdem isses bestimmt lehrreich, wer weiß? Spornt es an oder macht es unglücklich, Vergleich zu haben?

Jedenfalls finde ich es ungerecht, dass in hellhörigen Wohnungen nur ich mich wie auf dem Präsentierteller fühlen muss!

Stille

Mute -- Photo by Not quite like Beethoven, all rights reserved

Stille ist nur für Erwachsene, glaube ich. Zumindest kann ich mich nicht erinnern, dass ich mir als Kind oder Jugendlicher mal bewußt Stille gewünscht habe oder das einer meiner Freunde so etwas erzählt hätte. Leiser, nicht so laut — ja. Aber Stille, so richtig absolute Stille? Nein. Viel lieber wollte ich überall Musik hören, die mich durchs Leben und meine Gefühle trug. Und in der Musik (oder auch in sogenannten Räumen der Stille) ist Stille ja eher dazu da, wenige Töne und Geräusche zu akzentuieren. Vielleicht braucht es eine gewisse Lebens- und Lärmerfahrung bevor man auf sowas kommt, wie sich absolute Stille zu wünschen? Oder sie schön zu finden?

Ich habe es gerade so in die Volljährigkeit geschafft, bevor Stille etwas wurde, was ich nie erleben werde. Mit 18 habe ich mir einen Tinnitus zugelegt. Als mir also das erste mal jemand erzählte, wie beeindruckend Stille sei, so richtig absolute Stille, „da ist einfach gar nichts!“ (er hatte sie auf einer Reise in die Wüste erlebt), da waren das für mich schon Geschichten. Er fand das toll, geradezu erhebend.  Jaja, sagte ich darum. Klingt interessant. Denn eins ist meine Welt jedenfalls nicht: still und ruhig. Obwohl viele sich die Welt von Schwerhörigen und Ertaubten so vorstellen.

Mui Ne -- Photo by Marfis75 / flickr, some rights reserved

Dabei ist wirklich absolute Stille gar nicht so leicht auszuhalten. Wenn man wirklich gar nichts hört, beginnt wohl jeder Phantomgeräusche zu hören. Sogar recht schnell, innerhalb von Stunden (wie sich bei Versuchen gezeigt hat, zu denen ich gerade keinen Link finde). Meide die Stille! ist ja auch der Standardratschlag für Tinnitusgeplagte. Lieber leise, angenehme Geräusche als Nichtshören. Wenn keiner mit mir will dann mach ich’s mir eben selber — scheinen Gehirn und Hörnerven zu sagen.

Vielleicht ist die Sehnsucht nach Stille so etwas wie Fasten. Man muss erstmal ein Gefühl für Überfressenheit haben um darauf zu kommen, dass es gut sein könnte. Und dann ist es langfristig ungesund, kann sich kurzfristig aber ganz gut, erholsam, sogar reinigend anfühlen. Die richtige Diät und bewußtes Essen wären jedoch deutlich besser.