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Science Fiction kann nicht jeder: Warum hörgeschädigte Figuren in Film und Literatur so selten sind

Es hat mich sehr geärgert, dass es in Literatur und Film kaum hörbehinderte Hauptfiguren gibt. Und dass Schwerhörigkeit einfach als nicht sexy genug gilt, so dass — wenn solche Figuren auftauchen — sie eher gehörlos sind. In den Kommentaren zu dem Beitrag ist damals eine rege Diskussion entstanden.

Weil ich das so interessant fand, hat Salomea mir jetzt einen Text geschickt (danke, Salomea!). Darin erklärt sie, warum es so schwer ist, glaubhaft und spannend über Hörgeschädigte zu schreiben. Und besonders über Schwerhörige.

Eine gute Fiktion lebt nicht nur vom Plot, ergo der Handlung, sondern von den Charakteren die ihn erleben. Ein guter Charakter ist dreidimensional. Er überzeugt dann, wenn sein Schöpfer nicht nur erzählt Karl-Heinz sei ein fröhlicher Mensch, sondern wenn Karl-Heinz‘ Auftreten, sein Habitus und seine Dia- und Monologe das ausdrücken. Erschafft man einen (hör-)behinderten Charakter bedeutet das immer auch ein Stück weit Stigmatisierung. […]

Schwerhörige sind auch deshalb seltener Thema weil sie bedeutend schwieriger darzustellen sind. Für den nicht betroffenen Autor unterscheiden sie sich zum einen nicht von denen Hörenden, sind jedoch auch um anderen aufwendiger zu erforschen und werden aufgrund der gegebenen Bilder auch von der Leserschaft nur als Alte, die ständig nachfragen akzeptiert. Einen jungen Mann oder eine junge Frau die für sie ganz selbstverständlich über Trendfarben für Hörgeräte nachdenken und Fabrikate vergleichen oder in einer sozialen Situation klarstellen, dass man mit Hörgeräten zwar lauter hört aber das Sprachverständnis sich deshalb nicht bessert wird die Leserschaft ablehnen, weil sie diese Welt nicht versteht. Einen schwerhörigen Schweißer, der während seiner Arbeit die Hörgeräte ablegt wird niemand nachvollziehen wollen, weil er doch mit den Geräten hört. […]

Hat der Autor im realen Leben sich nie über längere Zeit im Umfeld so einer Person bewegt würde so eine Skizzierung auf einer Art Science Fiction basieren und dieses Genre interessiert nicht jeden und kann auch nicht von jedem umgesetzt werden.

Na, was meint Ihr? Hier der vollständige Text als pdf.

Schwerhörigkeit zu langweilig für Literatur und Film? Oder warum gibt’s keine schwerhörigen Helden?

Seit ich dieses Blog begonnen habe, suche ich nebenher nach schwerhörigen Figuren in (fiktionaler) Literatur und Film. Gefunden habe ich nur sehr wenige und nur gehörlose. Schwerhörig sind scheinbar nur komische oder schrullige Nebenfiguren, vielleicht noch Opfer von Unfällen.

Mein erster  Fund, der mich sehr begeistert hat, war die von Geburt an gehörlose Superheldin Echo. Sie hat eine geradezu übersinnliche Auffassungs- und Beobachtungsgabe. Nur schwerhörig, wäre sie wohl nicht vorstellbar – und auch nicht wirklich interessant.

Bei der umstrittenen Folge der TV-Serie Dr. House, die ich ziemlich spannend fand, haben sich die Autoren nicht von ungefähr für einen Gehörlosen und das Thema Cochlea Implantat entschieden. Die Dramatik des NICHTS Hörens und dann DIE FLUT DER EINDRÜCKE. Sich ein Hörgerät abzureißen wäre wohl nicht besonders dramatisch. Ganz anders dagegen die (unrealistische) Idee, sich das Implantat herauszureißen!

Und auch Desmond Bates, der schwerhörige Protagonist aus David Lodges „Deaf Sentence“ (meine Rezension hier)  stellt fest, Blindheit sei tragisch, Schwerhörigkeit dagegen allenfalls kauzig oder komisch.

Für die Fernsehserie Heroes wurden ja  vor kurzem „hearing impaired“ Darstellerinnen gesucht. Meine Prognose wäre: Auch hier wird es eine komplett taube oder gehörlose Figur sein. Und wer weiß, vielleicht sogar von Echo inspiriert.

Ich würde ja gerne meine Reihe Taube Helden fortsetzen, aus Belletristik und fiktionalem Film und Fernsehen. Aber irgendwie scheint Schwerhörigkeit nicht dramatisch genug. Ich hoffe jetzt kommt und widerspricht mir wer mit einem schönen Beispiel…

Als Ärzte noch Helden waren…

… da hatten sie jeweils alle die gleiche Frisur. Bestaunt neulich in der Harvard Medical School.

The First Successful Kidney Transplantation, Dec 23 1954 - Art by Joel Babb (1996)

The First Operation under Ether in 1846, Art by Robert C. Hinckley (1886)

Anatomy Lesson of Doctor Nicolaes Tulp, A copy of a 1632 Rembrandt painting (Artist unknown)

Taube Helden #1: Echo

Es gibt nicht besonders viele schwerhörige oder taube Figuren in der Literatur. Vor kurzem habe ich angefangen, ein paar davon herauszusuchen und werde hier in loser Folge über sie berichten.

Der erste Fund: Schon lange hat mich kein Comic mehr so beeindruckt, und vor allem – so mit meinen Gefühlen gespielt! Außerdem: Was wäre für den Anfang passender als ein Comic, dieses unhörbare Medium? Man kann sie vielleicht verfilmen oder sich vorlesen lassen, ein Hörbuch allerdings wird man nicht draus machen können.

Gestatten: Maya Lopez a.k.a. Echo, Art by David MackMaya Lopez a.k.a. Echo

Maya ist eine taube junge Frau. Als kleines Mädchen musste sie miterleben, wie ihr Vater ermordet wurde. Sie glaubte ihr ganzes Leben, Daredevil (mehr hier) sei der Mörder und der Kingpin (mehr hier) ihr väterlicher Freund. Während sie versuchte Daredevil zu töten, verliebte sie sich in Matt Murdock – ohne zu wissen, dass beide dieselbe Person sind. Nachdem sie die Wahrheit erfahren hat, kehrt sie in David Macks Echo – Vision Quest zu ihren indianischen Wurzeln zurück und versucht, ihrem in Scherben liegendem Leben wieder einen Sinn abzugewinnen. Und dabei spielt  Wolverine eine große Rolle.

Weil sie nicht hören kann, erlebt Maya die Welt mit den Augen. Und das ist die Grundlage für ihre besonderen Kräfte. Seit Geburt daran gewohnt, Bewegungen als Sprache zu deuten, nimmt sie auch die kleinsten Muskelregungen war — und kann sie kopieren.

This is my story. It doesn’t happen in words. If something does happen in words, it doesn’t happen in the sound of words, but in the color of them. The mood and texture, and the mystery of their crossword puzzle meanings. My story happens not in the sound of the notes but in the silence between them. It is the silence between the notes that is important. That silence is where you will find me.

Wer das Buch aufschlägt, sieht genau das, dieses Leben in Textur, Stimmung, Farbe und Stille. Maya hat ihr ganzes Leben lang gezeichnet. Und so erzählt das Buch ihre Geschichte vermischt mit einer Collage aus den Dingen, die sie gesammelt hat, ihren Bildern, Skizzenbüchern und Notizen. Doppelbelichtungen könnte man das vielleicht nennen.Autor und Zeichner David Mack – einige von Euch kennen vielleicht sein Kabuki – hat es in sich. Auf seiner Website gibt es einiges von seiner Kunst zu sehen.

Also, Echo – Vision Quest. Wer sich für Comics und visuelle Ausdrucksformen interessiert: Lesen. Unbedingt!