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Wie lebt man gut mit Schwerhörigkeit? Nochmal Evelyn Glennie

Mal ab von der Musik und dem Film — diese Frau ist einfach wahnsinnig erfolgreich und lebt offensichtlich genau so wie sie leben will. Was hat so eine zu sagen, was kann man von ihr lernen?

Schon im Film Touch the Sound kriegt man schnell den Kernpunkt mit: Klein-Evelyn spielte Klavier und wollte Musikerin werden, verlor als junges Mädchen große Teile ihres Gehörs. So dass der Ohren-Arzt dem stark schwerhörigen Mädchen sagte, Musikerin? Kind, das kannst Du vergessen.

Das hat das kleine Mädchen sehr verunsichert. Doch zum Glück hatte sie einen Vater, der sagte: Hörend oder nicht, sie wird tun, was sie tun will. Und Klein-Evelyn wurde zur weltbekannten Percussionistin.

Es klingt banal und vielleicht ein wenig naiv, aber ich glaube: Die Unterstützung der Eltern und Orientierung daran was man will, nicht was einem gesagt wird was man könne, sind das wichtigste. Ich glaube, man muss das immer wieder betonen. Denn niemand kann von vornherein sagen, welche Lebenswege unmöglich sind.
Darum finde ich es auch so schlimm wenn Menschen mit eingeschränkter oder gar keiner Audio immer nur auf die gleichen Jobs eingeschworen werden. Und gerade vorgestern ergab sich z.B. hier im Blog wieder so eine Diskussion, bei der ich fand, dass genau das im Hintergrund stand — obwohl es vordergründig um ganz Anderes ging.

Dazu kommen müssen natürlich noch eine Prise Realitätssinn und eine Handvoll Glück. Das ist das Rezept. Realitätssinn hieß in Evelyn Glennies Fall:  statt „nur“ Pianistin Percussionistin werden. Und Glück hieß, auf inspirierte Lehrer zu treffen (und vielleicht ein Stipendium, das ist mir nicht so ganz klar).

Auf Evelyn Glennies Website kann man einen Text namens Disability Essay lesen, eine Rede, die sie mal gehalten hat,  wenn ich recht verstehe für Lehrer oder Therapeuten:

How […] do the terms „disabled“ or „Deaf“ really apply to me? In short, they don’t, not even the „Hearing Impaired“ label works because in some respects my hearing is superior to the average non-impaired person. I simply hear in a different way to most people. Other people apply the categories, but to me and some others like me these particular categories are irrelevant.

Das ist der Kern ihrer Selbstwahrnehmung: Wenn es darum geht, was sie tun und lassen kann, wie sie sich fühlt oder was sie ist, dann fallen ihr nicht zuerst die Etiketten „behindert“, „schwerhörig“ oder „taub“ ein. Und genau das hält sie auch für den Keim ihres Erfolges. Dass sie ihr Gehör ganz ähnlich wie Normalhörende behandelt. Soll heißen: nicht weiter darauf herumreitet, welche Grenzen sie hat und wo sie liegen. Sondern sie gleichsam vergisst — und sich auf ihre ganz andersartige Stärke konzentriert, nämlich ihre Musikalität.

Nebenbei: Ich finde es auch reichlich unglücklich, dass ich im Zusammenhang mit der Grimme-Nominierung in vielen Berichten als „schwerhöriger Blogger“ zu Ehren zu komme. Dabei ist das, was hier gut und preiswürdig ist, ja gerade nicht, dass ich schlecht höre. Sondern dass und wie ich hier schreibe.

Like all other people, regardless of any so called „handicap“, there are certain jobs I can’t do due to my physical attributes. However, I can’t excel at hundreds of other jobs because I either don’t want to or I believe I am not sufficiently talented. How we categorise ourselves and where we fit in to our own framework of understanding leads the vast majority to the belief that they are unable to achieve the highest levels of attainment in their chosen field of endeavour.

Was man von Evelyn Glennie lernen kann ist: Selbstbeschränkung und die Konzentration auf die eigenen Schwächen können eine viel größere Behinderung sein als irgendwelche körperlichen Gegebenheiten. Ich kann dem gar nicht genug zustimmen. Sich dauerhaft auf die eigenen Schwächen zu konzentrieren macht schließlich nicht nur unglücklich, davon hat wirklich niemand etwas.

Es gibt nur einen Haken. Was ich oben „Rezept“ genannt habe, ist eigentlich keins. Denn das Ganze heißt natürlich nicht, und das sagt auch Dame Glennie, dass man die Schwächen ignorieren oder verleugnen könne. Den Luxus hat man nicht. Spätestens von anderen wird man wieder darauf zurückgeführt. Man muss sich schon damit auseinandersetzen. Und Strategien entwickeln, wie man mit den Problemen, die daraus erwachsen, umgehen oder sie vermeiden kann. Glücklich sind dabei diejenigen, deren Zustand gleich bleibt (wo sich also die Hörfähigkeit nicht ständig verschlechtert oder stark schwankt). Denn dann muss man das Ganze nur einmal machen. Und nicht immer und immer wieder.

Was man genau tun und lassen soll, ist  damit noch lange nicht beantwortet. Und dass es einfach wird, ist damit auch nicht gesagt. Man kann sogar scheitern. Nur — gibt es eine Alternative? Ich glaube nicht.

/2010/03/16/musikhoren-probiers-mit-ausziehen/

Englischer Ausflug: Wie sich Ertaubung anfühlt

Autumn, Photo by Not quite like Beethoven, all rights reserved

Sonntag ist Ausflugstag. Ich bin zu Gast bei Mog — kommt doch auch vorbei! Hier könnt Ihr einen englischen Text von mir besuchen, in dem ich beschreibe, wie sich meine Ertaubung anfühlt.

Die Gastgeberin ist die Autorin des wunderbaren Blogs You hear some funny things when you are deaf, das vor kurzem als Mog Renewed neu gestartet ist. Und der Text ist in der Email-Unterhaltung mit ihr entstanden.

Das Leben findet jetzt statt

I think the reason why I do not lose weight is that I am afraid. If I lose weight and still no man finds me attractive then I have nothing to blame.

Ich weiß nicht mehr genau, wo ich diesen Spruch gehört oder gelesen habe. Aber ich finde die Logik, die jemand hier an sich selbst entdeckt, sehr spannend. Und sehr weit verbreitet. Ich denke, es gibt genügend Schwerhörige, die so ähnlich über sich selbst denken: Wenn ich nur normal hören könnte, dann… Ab und zu gehöre ich auch dazu. Denn Gelegenheiten so etwas zu denken, gibt es ja genug.

Und darum möchte ich mal kurz die Gelegenheit nutzen, eine Notiz an mich selbst festzuhalten (und das heißt in diesem Blog ja: für alle): Memento mori!

Okay, das heißt eigentlich Bedenke, dass Du sterben wirst,  aber was damit gemeint ist, ist in diesem Fall dasselbe: Mach es Dir nicht bequem hinter Deiner Behinderung (oder Deinem Körperumfang, Deinen zu kleinen oder zu großen Brüsten, Deinem immer nur schiefen Lächeln und Deinem Haarausfall oder…). Hoffe nicht auf bessere Tage. Das Leben findet jetzt statt. Alles was Du jetzt tust oder läßt, wird Dein Leben gewesen sein.

PS: Auf Deutsch steht da oben: Ich glaube, der Grund warum ich nicht abnehme ist, dass ich Angst habe. Wenn ich abnehme und mich dann immer noch kein Mensch attraktiv findet, dann habe ich nichts mehr, dem ich die Schuld geben kann.

Behinderung: Selbstverwirklichung nur ohne Hörgerät möglich?

Bin ich als Schwerhöriger oder Ertaubter nur halb der Mensch, der ich sein könnte, solange ich Medizintechnik nutze? Also Hörgeräte oder Cochlea Implantate (CIs)?

Darüber habe ich mich gerade überraschend mit der Bekannten einer Freundin gestritten. Überraschend deswegen, weil ich dachte, niemand würde diese Frage rundheraus mit „ja“ beantworten. Meine Gesprächspartnerin war jedoch der Ansicht, dass nur das Weglassen jeglicher Geräte und die Verwendung von Gebärdensprache als meine neue Muttersprache mich vollkommen befreien würde. (Die Unterhaltung fand auf Englisch statt, es ging um „self-actualization, also darum, das eigene Potential auszuschöpfen, was übrigens auch das Erkennen von Grenzen beinhaltet, sowohl persönlicher als auch gesellschaftlicher.)

Ich denke immer noch darüber nach, darum wollte ich hier ein bißchen was dazu schreiben. Würde mich freuen wenn Ihr reinschaut.

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Das Versprechen

„Was wir nicht ändern, ist nicht zu ändern“, warb das Schild im Schaufenster. Eine Änderungsschneiderei, aber was für eine! Was würde man da nicht alles hinbringen wollen, um es zu ändern — oder zumindest die Gewissheit zu haben, dass man sich damit abfinden muss. Erst die tolle Hose, von der man sich verabschieden muss, dann vielleicht den Geldbeutel, der immer so leer ist. Schließlich den Chef, die Freundin, Entscheidungen, die man mal getroffen hat — den eigenen Körper?

Das kann ja heiter werden, dachte ich. Leland Gaunt ist nach Schöneberg gekommen. Ich werde meine Nachbarn aufmerksam beobachten und weiter berichten…

Das ist wahr

„To know how to cheer oneself up is a first step to enlightenment.“

Sonchai, in John Burdett’s Bangkok Haunts

(Nicht-Buddhisten tauschen „Erleuchtung“ einfach gegen „gutes Leben“ aus)

Augen, der Spiegel der Seele? Ach was!

Ich finde, Lippen werden total unterschätzt. Augen, der Spiegel der Seele? Bah. Ich meine: Viel verräterischer ist doch der Mund. Bis etwa dreißig mag man ja vielleicht noch darüber diskutieren können. Doch spätestens ab da hat jeder deutlich den Mund den er oder sie sich verdient hat. Oder sollte ich sagen: erarbeitet? Heruntergezogene oder verschmitzte Mundwinkel, verkniffene oder entspannte Lippen. Die Haltung, mit der man das Leben nimmt, hinterläßt ihre Spuren.

Dass ich das denke ist natürlich wieder so ein Hörbehindertendingens. Münder spielen in meinem Leben einfach eine große Rolle, sie stehen im Zentrum meiner Wahrnehmung. Das sieht man auch daran, dass ich sogar von manchen meiner besten Freunden die Augenfarbe nicht genau kenne. Die Münder der allermeisten Menschen aber würde ich aus Tausenden wiedererkennen. Ich kann daran ganz kleine Stimmungsschwankungen ablesen. Und ich reagiere auch selbst sehr emotional auf Münder und wie ihre Besitzer damit umgehen.

Wie wichtig Lippenlesen für mich ist, was damit an Unannehmlichkeiten verbunden ist, und dass ich darum ne Brille zum Hören brauche, habe ich ja schon berichtet.

Stimmt Ihr mir zu?

Ansporn für Neu-Blogger

Süß. Wirklich Süß.

Das Märchen von Blogger und Commenter

Hallo und willkommen bei „Not quite like Beethoven“

Als Ludwig van Beethoven mit nicht ganz 30 Jahren taub wurde, hat es ihn innerlich zerrissen. Sechs Jahre hatte er seine zunehmende Taubheit geheim gehalten und gehofft, er könne geheilt werden. Er traute sich nicht zuzugeben, dass ihm der Sinn abhanden gekommen war, den er einst in der größten Vollkommenheit besaß und den jedermann von ihm, dem genialen Komponisten, erwartete. Im sogenannten Heiligenstädter Testament beschreibt er seine heiße Angst, seine Angespanntheit, das Zurückweichen vor den Menschen, sogar seinen Freunden – und seine Vereinsamung trotz eines eigentlich lebhaften Wesens. Hätte er sich nicht der Musik verpflichtet gefühlt, er hätte sich umgebracht. „Und so“, schreibt er, „fristete ich dieses elende Leben – wahrhaft elend.“

Für das, was mir hier vorschwebt, ist Beethoven die richtige Person. In seiner Verzweiflung über das langsame Ertauben erkenne ich so viel von mir, in seiner Resignation aber – Leben nur als Pflichterfüllung, so hoch man das auch ansieht  — mag ich mich nicht wiederfinden.

Schwerhörigkeit sieht man nicht. Und viele handeln leider nach dem Motto, dass was man nicht sieht, auch nicht existiert. Andererseits — woher sollen sie auch wissen, wie es ist, schwerhörig zu sein? Oder wie man mit Schwerhörigen am besten reden soll? Darum ist Not quite like Beethoven ein Ort, an dem ich über Unhörbares, Unerhörtes und Nicht-Gehörtes schreibe. Darüber wie man in Liebe, Kunst und Kultur, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft schlecht hören, Tinnitus haben und trotzdem gut leben kann. Und selbstverständlich, was mir im Zusammenhang mit Hören — gut, schlecht, anders oder gar nicht — sonst noch ein- und auffällt. Ich hoffe, es gefällt und inspiriert Euch,  ob nun normal- oder schwerhörig.

Nachtrag: Hier wurde ich befragt — warum bloggt man über Schwerhörigkeit? Wie hat das alles angefangen? Und wie ist das eigentlich mit Beethovens Musik?