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Digital ist besser? Nicht bei Musik — und Hörgeräten

Wer konnte, zog es vor, ohne Hörgerät zu musizieren. Andere konnten das nicht und lebten in ständiger Angst, ihre alten analogen Hörgeräte könnten kaputtgehen. Digitale Hörgeräte befanden sie für untauglich zum Musizieren.

[Das hat Moira neulich von einem Musikerwissenschaftler gehört.]

Musikalischer Apartheid? Kompositionen für das Cochlea Implantat

Ist das jetzt Ausgrenzung oder Gleichberechtigung? Forschung oder PR?  Das australische Bionic Ear Institute startet gerade ein Projekt, in dem Musik speziell für Träger von Cochlea Implantaten komponiert wird. Hier ein Bericht der australischen Zeitung The Age.

Ausgangspunkt ist was wir gerade so schön in den Kommentaren diskutiert haben: Dass Leute mit elektrischen Ohren Musik ganz anders als ihre normalbiologisch hörenden Freunde wahrnehmen, die direkt daneben sitzen. Und dass viele Musik leider nicht genießen können. Die Komponisten sagen, es werde wahrscheinlich „unkonventionell“. Noch in diesem Jahr sollen die Stücke bei einem Konzert aufgeführt werden.

Ich bin gespannt — aber entzweigerissen. Einerseits denke ich: Die sollen lieber mal die CI-Systeme verbessern, ich will unbehindert Zugang zu jeder Musik. Nich so’n musikalischer Apartheid. Womöglich klingt es dann für normalbiologisch Hörende sogar ganz grauslich!
Oder sollte man es nur pragmatisch sehen? Dass spezielle Bevölkerungsgruppen spezielle Musik haben, ist ja nichts neues. „Schwarze Musik“ ist schon lange kein Schimpfwort mehr, und war schon davor eine Bereicherung. Aber müssten dann nicht CI-Träger selber die Musik komponieren? Nich so’n musikalischer Paternalismus?
Oder geht es letztlich doch nur um gute oder schlechte Musik und was man dafür hält?

Beswingt nach Stockholm

Wer auch nur einmal über Nacht mit einer der großen Ostseefähren gefahren ist, weiß was das heißt. Ich hatte es ja schon angedeutet, die Reise nach Finnland beinhaltete auch einen Abstecher nach Stockholm. Das waren zweimal 16 Stunden Fähre. Stil und Glamour habe ich ein wenig vermißt. Aber mit guter Reisebegleitung und viel Lust auf Alkohol kann so eine Überfahrt ziemlich lustig werden.

Absolutes Highlight der ersten Nacht war der mitternächtliche Auftritt der Schiffsband, die — die Mädchen in Haremshosen mit silbernen Pailetten bestickt — ein Medley überraschend gut ausgesuchter älterer Hits zum Besten gaben. Alle Mitglieder der Band ließen mir Schauer über den Rücken laufen aber nur eine mit ihrer rauchigen Stimme.
Auch als Hörübung war das Medley gut geeignet: Ich kannte alle Lieder, aber es dauerte unterschiedlich lang, bis ich sie erkannte. Und sicher war ich fast jedesmal erst, wenn ich den Refrain hörte. Ich denke, das ist typisch fürs Musikhören von Schwerhörigen. Und insbesondere mit dem elektrischen Ohr: Das Cochlea Implantat ist ein Sprachverstehding. Entsprechend läuft auch das Erkennen (und sehr oft auch das Genießen) von Musikstücken hauptsächlich über die Sprache.

Highlight der zweiten Nacht war finnisches Karaoke. Die Finnen singen wirklich gern. Und yay, was für eine Sprache! Schriftlich so unglaublich fremd, aber klingen tut sie wunderschön! Und auch das eine klasse Hörübung: Fremde Klänge zum Mitlesen.

Wer sich mal anhören mag, wie Päivästä päivään klingt, das hier abgebildet ist — das hab ich auf youtube gefunden (natürlich mit anderer Stimme). [Nachtrag: Ich erfahre gerade, dass das Lied eigentlich Levoton Tuhkimo heißt. Unter dem Namen hab ich sogar das Karaoke-Video gefunden.] Von dem ganzen schwermütigen, aber wunderschönen finnischen Zeugs hab ich leider nix gefunden.

Wie lebt man gut mit Schwerhörigkeit? Nochmal Evelyn Glennie

Mal ab von der Musik und dem Film — diese Frau ist einfach wahnsinnig erfolgreich und lebt offensichtlich genau so wie sie leben will. Was hat so eine zu sagen, was kann man von ihr lernen?

Schon im Film Touch the Sound kriegt man schnell den Kernpunkt mit: Klein-Evelyn spielte Klavier und wollte Musikerin werden, verlor als junges Mädchen große Teile ihres Gehörs. So dass der Ohren-Arzt dem stark schwerhörigen Mädchen sagte, Musikerin? Kind, das kannst Du vergessen.

Das hat das kleine Mädchen sehr verunsichert. Doch zum Glück hatte sie einen Vater, der sagte: Hörend oder nicht, sie wird tun, was sie tun will. Und Klein-Evelyn wurde zur weltbekannten Percussionistin.

Es klingt banal und vielleicht ein wenig naiv, aber ich glaube: Die Unterstützung der Eltern und Orientierung daran was man will, nicht was einem gesagt wird was man könne, sind das wichtigste. Ich glaube, man muss das immer wieder betonen. Denn niemand kann von vornherein sagen, welche Lebenswege unmöglich sind.
Darum finde ich es auch so schlimm wenn Menschen mit eingeschränkter oder gar keiner Audio immer nur auf die gleichen Jobs eingeschworen werden. Und gerade vorgestern ergab sich z.B. hier im Blog wieder so eine Diskussion, bei der ich fand, dass genau das im Hintergrund stand — obwohl es vordergründig um ganz Anderes ging.

Dazu kommen müssen natürlich noch eine Prise Realitätssinn und eine Handvoll Glück. Das ist das Rezept. Realitätssinn hieß in Evelyn Glennies Fall:  statt „nur“ Pianistin Percussionistin werden. Und Glück hieß, auf inspirierte Lehrer zu treffen (und vielleicht ein Stipendium, das ist mir nicht so ganz klar).

Auf Evelyn Glennies Website kann man einen Text namens Disability Essay lesen, eine Rede, die sie mal gehalten hat,  wenn ich recht verstehe für Lehrer oder Therapeuten:

How […] do the terms „disabled“ or „Deaf“ really apply to me? In short, they don’t, not even the „Hearing Impaired“ label works because in some respects my hearing is superior to the average non-impaired person. I simply hear in a different way to most people. Other people apply the categories, but to me and some others like me these particular categories are irrelevant.

Das ist der Kern ihrer Selbstwahrnehmung: Wenn es darum geht, was sie tun und lassen kann, wie sie sich fühlt oder was sie ist, dann fallen ihr nicht zuerst die Etiketten „behindert“, „schwerhörig“ oder „taub“ ein. Und genau das hält sie auch für den Keim ihres Erfolges. Dass sie ihr Gehör ganz ähnlich wie Normalhörende behandelt. Soll heißen: nicht weiter darauf herumreitet, welche Grenzen sie hat und wo sie liegen. Sondern sie gleichsam vergisst — und sich auf ihre ganz andersartige Stärke konzentriert, nämlich ihre Musikalität.

Nebenbei: Ich finde es auch reichlich unglücklich, dass ich im Zusammenhang mit der Grimme-Nominierung in vielen Berichten als „schwerhöriger Blogger“ zu Ehren zu komme. Dabei ist das, was hier gut und preiswürdig ist, ja gerade nicht, dass ich schlecht höre. Sondern dass und wie ich hier schreibe.

Like all other people, regardless of any so called „handicap“, there are certain jobs I can’t do due to my physical attributes. However, I can’t excel at hundreds of other jobs because I either don’t want to or I believe I am not sufficiently talented. How we categorise ourselves and where we fit in to our own framework of understanding leads the vast majority to the belief that they are unable to achieve the highest levels of attainment in their chosen field of endeavour.

Was man von Evelyn Glennie lernen kann ist: Selbstbeschränkung und die Konzentration auf die eigenen Schwächen können eine viel größere Behinderung sein als irgendwelche körperlichen Gegebenheiten. Ich kann dem gar nicht genug zustimmen. Sich dauerhaft auf die eigenen Schwächen zu konzentrieren macht schließlich nicht nur unglücklich, davon hat wirklich niemand etwas.

Es gibt nur einen Haken. Was ich oben „Rezept“ genannt habe, ist eigentlich keins. Denn das Ganze heißt natürlich nicht, und das sagt auch Dame Glennie, dass man die Schwächen ignorieren oder verleugnen könne. Den Luxus hat man nicht. Spätestens von anderen wird man wieder darauf zurückgeführt. Man muss sich schon damit auseinandersetzen. Und Strategien entwickeln, wie man mit den Problemen, die daraus erwachsen, umgehen oder sie vermeiden kann. Glücklich sind dabei diejenigen, deren Zustand gleich bleibt (wo sich also die Hörfähigkeit nicht ständig verschlechtert oder stark schwankt). Denn dann muss man das Ganze nur einmal machen. Und nicht immer und immer wieder.

Was man genau tun und lassen soll, ist  damit noch lange nicht beantwortet. Und dass es einfach wird, ist damit auch nicht gesagt. Man kann sogar scheitern. Nur — gibt es eine Alternative? Ich glaube nicht.

/2010/03/16/musikhoren-probiers-mit-ausziehen/

Touch the Sound: Horchen wird unterschätzt

Klang berühren ist ihr Motto, Musik Spüren ihre Spezialität: Dame Evelyn Glennie ist hochgradig schwerhörig  und erfolgreiche Musikerin. Die Finger wollen hier einfach „trotzdem“ reinschreiben, aber gerade das würde sie auf die Palme bringen. Unter Menschen mit eingeschränkter Audio ist sie umstritten, auch hier im Blog kochte die Diskussion schon einmal hoch.

Gestern habe ich Touch the Sound gesehen, einen 100-Minuten Film über ihre Art, Musik wahrzunehmen und zu machen. Der hat mich so beeindruckt, ich muss das kurz beschreiben. Und ich will nochmal auf ihre Vorstellung eingehen, wie man mit Hörproblemen gut leben kann. Die finde ich nämlich ziemlich gut. Weil aber alles zusammen aber ein sehr langer Eintrag geworden wäre, hier schonmal der kurze Hinweis auf den Film vorab. Zur Frage, was man von Evelyn Glennie lernen kann, kommt bald noch was. [Nachtrag:  Klick hier]

Der Film ist, kurz gesagt, wunderbar. Und zwar auch die Bilder. Thomas Riedelsheimer hat eine anderthalbstündige, spannende Reise in die akustische und visuelle Wahrnehmung geschaffen. Hat mich sehr an meinen alten Musiklehrer erinnert, von dem hier auch schon die Rede war: Überall ist Musik, man muss sich nur darauf einlassen. Das hat mich sehr berührt. Man muss sich jedoch tatsächlich darauf einlassen. Denn faßt man die Botschaft des Films in Worte,  ist sie ziemlich einfach. Achtet man nur darauf, ohne sich Bild und Ton ein wenig hinzugeben, zieht sich der Streifen doch etwas. Ich finde aber: Diesen Film sollte man gesehen haben. Und zwar nicht auf youtube, das ist nur als Teaser gedacht!

Oben in dem Filmausschnitt sieht man übrigens ab 5:12 mein Lieblingsinstrument. Und weil so viele verschiedenartige Klänge vorkommen ist der Film auch super zum Hören mit dem Cochlea Implantat! Ich habe immer wieder die Augen zugemacht und einfach nur gehorcht, was ich da höre. Genau das ist für mich die Botschaft des Films: Ob nun vor lauter Arbeit, Routine oder Lärm — Horchen geht im Alltag einfach viel zu oft unter. Horchen wird unterschätzt.

Letzte Nacht: Das elektrische Ohr rockt

Drei Monate ist es jetzt alt. Das Foto gibt den Höreindruck mit dem CI ganz gut wieder: Eine Grundstimmung. Vieles, was nicht so genau zu erkennen ist. Und dazwischen immer mal wieder klare Eindrücke — Worte und Sätze. An eine gepflegte Unterhaltung war nicht zu denken, aber wer will das schon. Was mich angenehm überrascht hat, war, dass die Musik so gut klang. War aber auch laut, und der Spinal-Tap-Effekt kickte in.

Evelyn Glennie: „Du willst Musikhören, probier’s mal mit Dich Ausziehen“

Dame Evelyn Glennie, eine ertaubte und geadelte Percussionistin, erzählt (auf Englisch und untertitelt) wie sie Musik wahrnimmt. Sehr spannend! Ich bin mir nicht ganz sicher ob sie mir symphatisch ist. Vielleicht ist sie ja nur etwas angespannt wegen der Interviewsituation. Auf jeden Fall scheint sie eine sehr intensive  Person zu sein.

Diese entspannte Aufmerksamkeit, von der sie spricht, ist übrigens genau das, was ich beim Hören Üben mit dem Cochlea Implantat machen muss. Zu wenig oder zu viel nebenher — und ich kriege nichts mit. Zu angespannt, zu sehr wollen — und die Wahrnehmung zerfällt in Einzelteile, die keinen Sinn mehr ergeben. Ehrlich gesagt glaube ich: Das gilt für jegliches Lernen!

Dass es was ganz anderes ist, wenn man die Musik selber macht, kann wohl jeder bestätigen, der mal auf irgendeinem Instrument herumdilettiert hat. Und es toll fand bis ein leidender Zuhörer kam und sich über die Katzenmusik beschwert hat. Bei mir war früher das oft genug mit dem Klavier der Fall…

[via taubenschlag meldungen]

Hier habe ich mal überlegt, ob man von Evelyn Glennie lernen kann wie man gut mit Schwerhörigkeit lebt.

Das CI und der Spinal-Tap-Faktor: Musik eins lauter!

Laut macht Laune, das ist ja nichts Neues. Um das zu wissen muss man kein Stammgast im Berghain sein und auch kein Fan von Manowar — die seit über 25 Jahren den Titel lauteste Band der Welt beanspruchen. Ab einer gewissen Lautstärke hört man die Musik nicht nur. Sie drängt sich dem Körper auf, nimmt ihn gefangen und rockt ihn. Adrenalin!

Wie ich gerade feststellen durfte, passieren bei mir schon weit unterhalb dieser Schwelle seltsame Dinge. Denn ich habe nun zwei Ohren, die grundverschieden sind: Links das elektrische Ohr, eingeschaltet von der Empfindlichkeit her annähernd normal aber eben elektrisch, flüsternd und quartzig. Rechts, das Ohr mit dem ich geboren wurde, ohne Hörgerät in etwa so schwerhörig wie 1960er-Jahre-Kunst.

Höre ich nun Musik, heißt das für mein dazwischensitzendes Gehirn: Bei Bestückung links CI und rechts BioloGI wird erstmal nur elektrisch bedient. Das klingt nicht wirklich schlecht, aber ich merke, dass das CI auf Sprache spezialisiert ist. Höre ich Musik, nehme ich vor allem Gesang wahr. Dazu Rhythmus und dann- weitere mittlere und hohe Klänge. Das ist okay, aber meist nicht wirklich mitreißend. Ein bißchen wie ein Laptoplautsprecher.

Doch ab einer gewissen Lautstärke greift der Spinal-Tap-Faktor. Eins lauter — und es ist eine andere Welt! Das ist komisch weil ihr wißt ja alle wie es ist, die Musik lauter zu drehen. Es wird halt langsam lauter und dabei irgendwie mitreißender. Aber die Musik ändert sich nicht plötzlich radikal. Genau das passiert bei mir! Auf einmal wird BioloGI zugeschaltet, Basswahrnehmung und ein bißchen aus dem unteren Mittenbereich. Es ist als drehte ich zusätzlich noch an einem anderen Regler als Lautstärke. Einem, auf dem etwa „Fülle“ und „Begeisterung“ steht. In den klassischen Worten:

„You see, most blokes, you know, will be playing at ten. You’re on ten here, all the way up, you’re on ten on your guitar. Where can you go from there? Where?“

„I don’t know.“

„Nowhere. Exactly. What we do is, if we need that extra push over the cliff, you know what we do?“

Na, eins lauter natürlich. Auf elf! Nur dass ich mit CI für den extra push nicht mal einen dieser mythischen Verstärker brauche. Der biologische Nachbrenner wird schon früher zugeschaltet.

Punkrocksicher — Wie Hörgeräte meinen Musikgeschmack veränderten

Ich hatte mal Hörgeräte, die waren punkrocksicher. Widex C18, es waren die besten Geräte die ich je hatte, vor allem weil sie eine super Störschallerkennung hatten. Ich verstand in lauten Restaurants besser als meine Eltern und ihre Freunde. Das ansonsten unerträglich laute Geplapper der anderen Menschen wurde auf ein sanftes Säuseln herabgedämpft. Das müsst Ihr euch mal vorstellen: Ich. Als Schwerhöriger. Verstand! BESSER! Solche Freude!!

Nur, sobald irgendwo Punkrock kam — ich rede hier von sowas wie The Exploited, Dead Kennedys, Slime — regelten die Geräte ihn automatisch runter. Drehte ich die Lautstärke hoch, regelten sie noch mehr runter. Selbst auf Konzerten war das so. Es war frustrierend!

Ich glaube damals begann ich, etwas melodischere Sachen zu hören. Zuerst Primus

… und irgendwann war ich dann eher bei so Sachen, wie Ihr sie (neben anderem) hier im Blog unter Schöne Töne findet.

(Und ein andermal gibt’s dann auch was über aktuelle Musik.)

Schöne Töne zum Sehen — Noir Désir mit Gebärdensprache

Danke, mrs h.! Kann übrigens jemand französische Gebärdensprache?

Die Welt mit den Naidas hören

Hearing Aids -- Photo by BitBoy / flickr, some rights reserved

Man darf sich das Anprobieren und Tragen von Hörgeräten nicht wie das von Kleidern vorstellen. Jedenfalls wenn es keine leichte Schwerhörigkeit ist, sind damit so umwälzende Änderungen des, man kann’s nicht anders sagen, In-der-Welt-Seins verbunden wie sonst nur mit Drogen. Mit dem Höreindruck der Geräte, die ich gerade getestet hab, war ich 4 Wochen ständig unsicher und angestrengt. Und bei der Musik schließlich haben sie mich nur noch zum Heulen gebracht.

Das Besondere an Phonak Naida Hörgeräten ist, sie transponieren Frequenzen, die man nicht oder nur sehr schlecht hört, in Bereiche, in denen man noch etwas hört. Für viele bedeutet dass, das sie Töne hören, die sie schon lange nicht mehr gehört haben. Vogelzwitschern etwa.

Hören mit den Naidas war als hätte sich ein Nebel über die (akustische) Welt gelegt, aus dem Geräusche irrlichternd und gepreßt hervordrangen. Und das obwohl meine Augen sagten, dass alles wie immer war. Manches klang näher als ich vermutet hätte. Anderes, Nahes, hörte ich gar nicht — und erschrak wenn dann auf einmal jemand direkt neben mir stand und mich schon zweimal angesprochen hatte. Was ich sah paßte überhaupt nicht zu dem was ich hörte. Es hörte sich nicht einfach komisch an, meine ganze Welt war verschoben und verzerrt. Nur wenn ich die Augen schloss paßte es wieder.

Ich hätte die Geräte am liebsten ziemlich schnell wieder weggelegt, doch ich musste zumindest probieren ob ich mich eingewöhne. Aber so richtig wurde das Zähne Zusammenbeißen nicht belohnt. Es irrlichterte weniger, ich gewöhnte mich daran. Nur: Die Naidas mögen vielen deutlich besser als andere Geräte helfen, mir nicht. Wohl hörte ich mehr mittlere Frequenzen in Geräuschen und Stimmen. Aber das trug kaum zu besserem Verstehen oder schönerem Klang bei. Beileibe nicht. Ich denke, ich höre einfach zu schlecht als dass ich von der Technik groß profitieren würde. Zwischen gerade so hören und ZU LAUT ES SCHMERZT ist bei mir kaum Raum. Möglich auch, dass die Transposition sogar für schlechteres Verstehen im Störschall sorgte, weil im mittleren Frequenzbereich zu viele Information gedrängt waren.

Und schließlich, die Tränen. Ich kann gar nicht beschreiben, wie sich Musik mit der Transpositionsschaltung anhörte. Ich hörte — soweit ich das sagen kann — alles, denn ich prüfte es an Stücken, die ich sehr gut kenne. Ich hörte sogar hohe, das heißt dann mittlere, Frequenzen etwas besser. Aber was ich hörte war — tot.

Es riss nicht mit, es fehlte, was Musik zur Musik macht. Ich saß vor der Stereoanlage, strengte mich an und hörte: Geräusche. Keine Musik. Der Rhythmus war da, aber er trieb nicht. Die Melodie war da aber sie klang nicht. Und auch nach vier Wochen änderte sich das nur ein bißchen.

Ich habe ja viel über Cochlea Implantate gelesen – und dass die Implantierten Stücke, die sie schon vorher schon kannten wiedererkennen können, nicht aber neue erkennen. Und dass sie zwar Musik hören aber kaum genießen können. Das muss so ähnlich sein wie das, was ich mit den Naidas erlebt habe.

Noch eine Bemerkung: Dies alles liegt wahrlich nicht daran, dass die Naidas schlechte Geräte wären– im Gegenteil! Dies ist ein Bericht darüber, wie eigenartig, kraft- und gefühlezehrend Hörgerätetesten und -tragen sein kann.

Teil 2 von  „Wie Hörgeräte tragen die Welt verändert“, hier ist  Teil 1

Hört sich an wie 3 Kilo zuviel — Wie Hörgeräte Tragen die Welt verändert

Ich bin ja wirklich ein Veteran, was Hörgeräte angeht — in den letzten fast 30 Jahren habe ich bei unterschiedlichen Graden von Schwerhörigkeit sechs verschiedene Modelle getragen. Und mit jedem war die Welt deutlich anders.

Grundsätzlich ist Hörgerätehören, wie soll ich sagen, zweidimensionaler. Auch mit zweien und auch wenn man Geräusche im Raum gut orten kann. Was ich meine ist, dass von dem was man hört Tiefe fehlt. Wie wenn man auf ein Foto der Welt sieht im Vergleich zu wenn man direkt mit den Augen in die Welt guckt. Und so ist es ja auch: Man hört nicht die Lautquellen selbst, sondern eine Lautquelle am Ohr versucht, die anderen so gut es geht darzustellen.

Fotos haben ja alle möglichen interessanten Effekte: Steht ein Mensch halb vor einem anderen, dann hat man in 3D trotzdem eine Ahnung, dass hinter dem ersten was dahinter ist. Dass es da weitergeht. Auf  einem Foto verdeckt der erste streng genommen nicht den zweiten, an der Stelle wo der erste ist, ist einfach nur der erste. Anderes Beispiel: Weil sie so flach wirken, sehen ohnehin schlanke Models zweidimensional noch aus als hätten sie 3 Kilo zu viel.

Schwerhörig und mit Hörgeräten verdecken sich Geräusche und Klänge gegenseitig in ganz anderem Ausmaß. Das leise Kratzen, Schaben und Schleifen was unsere Bewegungen und die der anderen begleitet, das Geschirrklappern und der Straßenlärm, aber auch die Stimme der Sängerin und die Gitarre, das Klavier und die Violine oder ein eigentlich leises Gespräch am Nebentisch: Sie unterliegen nicht den anderen Geräuschen, sie sind nicht auch da. Sie übertünchen sie. Oder sie vermischen sich, verlieren wie Farben ihr eigenes Leuchten und werden zu Brauntönen.

Sicher, die Elektronik ist immer besser geworden. Und je weniger schwerhörig man ist umso geringer der Effekt, weil man besser gezielt nur das was fehlt ersetzen kann. Aber dennoch muss ich auch mit hochgradiger Schwerhörigkeit und optimal eingestellten Geräten sagen: Wenn ich die Geräte herausnehme, kommt zwar deutlich weniger an bei mir.  Das was ankommt, klingt aber um Lichtjahre besser, mehrdimensionaler und auch mitreißender als die Welt mit Hörgeräten. Denn hören ist ja immer auch mit Gefühlen verbunden.

Wirklich zu doof, dass sich die Welt nicht selbst so verändert, dass sie sich für mich gut anhört — wie die Models, die hungern, nur damit sie auf Fotos gut aussehen.

Morgen berichte ich, warum mich ein Hörgerät, das ich die letzten 4 Wochen getestet habe, zum Weinen gebracht hat…

Musikbelustigung oder Lärmbelästigung: Was macht man eigentlich mit U-Bahn-Musikern wenn man sie nicht hören kann?

Music on the Subway -- Photo by Ryan Gessner, some rights reserved

Perlen, manchmal sind es einfach nur Perlen, die da in der U-Bahn spielen. Ich erinnere mich an einen traumhaften Sänger, dessen Stimme mich in Boston, noch nicht ganz wach, auf dem Weg zur Arbeit mitnahm und den ganzen Tag begleitete. Oder dieser sichtbar kaputte Charakter aber begnadete Gitarrist in Berlin, wie Emmet Ray aus Sweet and Lowdown, toller Film übrigens. Manchmal macht einfach auch das Zusehen Spaß — ich könnte wetten, dass das bei den beiden Kollegen auf dem Foto der Fall war.

Je schlechter ich höre, umso weniger habe ich davon. Wenn ich jetzt in Gedanken versunken bin und nicht hinsehe, dann merke ich manchmal nicht einmal, dass am anderen Ende des Wagens jemand begonnen hat zu musizieren. So laut und dominant ist durch das Hörgerät das Rattern und Heulen der Bahn. Dazu vielleicht noch das Geräusch der Unterhaltung direkt neben mir. Wenn ich also nicht direkt daneben stehe, habe ich sowieso nichts mehr davon. Und selbst dann eigentlich nur, wenn es eine gute, laute Stimme ist oder eine laute, prägnante Melodie — die die Automatik des Hörgeräts ein bißchen aus dem Störschall herausfiltern kann. Gitarre, das Lieblingsinstrument aller Straßenmusiker, geht eigentlich gar nicht.

Viele dieser Musiker wollen sicher nicht betteln. Man gibt für ihre Musik. Aber was soll ich tun, wenn ich ihre Musik nicht einmal hören kann? Wäre es nicht eine Beleidigung, wenn ich sie zum Bettler mache? Oder wenn sie mich nur nervt, weil sie für mich nichts als Lärm ist? Klar, niemand weiß, aus welchem Grund ich gebe oder nicht gebe. Aber unwohl fühle ich mich jedesmal. Schließlich muss ich auch immer die Blicke dessen aushalten, der schaut ob ich geben möchte — oder wie die meisten, den Blickkontakt einfach vermeiden. Früher habe einfach gegeben, wenn mir die Musik gefallen hat, soll ich jetzt anhand der Kleidung entscheiden?

Ich habe auch das Gefühl, dass das meiste was mir in letzter Zeit so begegnet, schnelles und liebloses Heruntergeschrammel und ein bißchen Rumgesinge ist. Manchmal sogar noch mit einem kleinen, leicht verwahrlost aussehenden Kind dabei, das Geld einsammeln darf. Die Türen gehen zu, der Lärm geht los, nach 20 Sekunden soll man zahlen und nach 30 ist alles vorbei, weil an der nächsten Station schon wieder ausgestiegen wird. Das ärgert mich manchmal maßlos, ich finde das eine Zumutung: Für mich ist das Lärmbelästigung. Vor allem wenn mir dann noch fordernde bis vorwurfsvolle Blicke begegnen. Und das mit den Kindern…!

Am besten gefällt mir, und davon habe ich dann im Idealfall auch was, wenn sich Leute über zwei oder drei Stationen Zeit nehmen. Auch die Strecke sollte gut gewählt sein — manche Linien oder Streckenabschnitte sind einfach zu laut. Letztens zum Beispiel war da so ein junger Typ, der auf einem dieser kleinen Omi-Einkaufswägen einen Verstärker hinter sich herzog. Er hatte also Bass, Gitarre und Gesang. Das war alles laut genug und hob sich vom Fahrgeräusch ab. Wunderbar. Den hätte ich gern noch ein bißchen länger gehört….

Hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht? Wie handhabt Ihr das? Gebt Ihr — und wenn ja wofür?

Schöne Töne #5

Labi Siffre (1975): „I got the“

Übrigens, falls sich jemand wundert, wie das eigentlich mit Musik und der Ertaubung läuft: Ich habe nicht von aller Musik was. Aber das hier ist die Sorte rhythmuslastige, groovige Musik, die ich gut hören kann (mit Hörgeräten selbstverständlich). Davon hab ich was. Vielleicht wäre Bassspielen was für mich….

Gnarls Barkleys „Crazy“ in Gebärdensprache

Ziemlich cool! Falls youtube zickt, guckt mal hier! Dafür verantwortlich ist übrigens dieser Herr hier.

[via nerdcore]

Das Ohr im Bierbecher, oder: Musikhören mal anders

Wir waren früh dran beim Konzert von Moderat letztes Wochenende (höre hier und hier). Früh hieß in diesem Fall halb ein Uhr nachts. Klingt erstmal spät, aber bis Konzertbeginn waren immer noch fast 90 Minuten hin. Wir sind im hippen Brooklyner Stadtteil Williamsburg, da scheint das normal zu sein. Ich jedenfalls kannte sowas bisher nur von Clubs, nicht von Konzerten. Wahrscheinlich dachten sich die Veranstalter, bei Moderat verschwimmen die Grenzen.

Foto: njmcc / istockphoto.com

Meine Freundin K. und ich vergnügten uns also bis dahin mit Rumstehen und Biertrinken. Ergebnis: Bei Konzertbeginn hielt ich einen großen, leeren Plastikbecher in der Hand. Und der machte Sachen!

Mit Hörgeräten höre ich Musik auch jetzt — fast ganz ertaubt — noch einigermaßen. Ans Verstehen von Gesang ist allerdings nicht zu denken, ich kann die Instrumente nicht mehr so gut auseinanderhalten und inzwischen klingt leider alles ein bißchen dumpf. Auf Konzerte gehe ich dennoch immer mal wieder gerne.  Musik hört man ja auch nicht nur mit den Ohren, man nimmt sie auch anders wahr.  Ich sehe die Musiker, fühle den Bass, bin fasziniert von den Lichteffekten und genieße die generelle Stimmung. Das fließt alles in die Musikwahrnehmung mit ein.

Der Bierbecher zwischen meinen Fingerspitzen schwang, sirrte und vibrierte. Meist „begleitend“ zu dem was ich hörte — aber manchmal auch „solo“. Ich spürte da Vibrationen, die ich keinen Tönen zuordnen konnte. Mir fiel ein, was ich vor kurzem gelesen hatte: Am National Technical Institute of the Deaf in Rochester, New York, würden bei Konzerten Luftballons an gehörlose Zuhörer ausgeteilt. Damit diese die Musik in ihren Fingerspitzen fühlen können. Ungefähr so musste das sein! Ich fühlte, was ich nicht hörte.

Interessantes Gefühl, einfach mal ausprobieren!

(Das Konzert übrigens war eher so mittelmäßig. K. und ich waren uns einig, dass es elektronischer Musik nicht gut tut, wie Rocknummern dargeboten zu werden — mit Anmoderationen und Pausen dazwischen zum Klatschen.)