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Mondegreening ist das neue schwerhörig!

Kennt Ihr Ken Lee? Gut, dann erzähle ich Euch das mal. Denn es ist ja so: Jeder versteht, was er will. Ich zum Beispiel. Kann gerade immer noch nicht fassen, dass das richtig sein soll. Ergibt doch gar keinen Sinn!

Manche Leute nennen das schwerhörig, ich nenne es mondegreening. Das klingt doch gleich viel besser. Bei Wikipedia kann man lesen, dass der Begriff schon 55 Jahre alt ist und von der Autorin Sylvia Wright eingeführt wurde. Die hatte lange gedacht, die letzte Zeile eines mittelalterlichen Gedichtes laute, erschlagen habe man „the Earl of Murray and Lady Mondegreen.“ Dabei gab es nur einen Toten — und den hat man dann auf eine Wiese gelegt („And laid him on the green“).

Und was ist nun mit Ken Lee? Der war vor zwei Jahren ein besonders schöner Fall von mondegreening:

Diese Frau sang, was sie für Mariah Careys Interpretation von „Without you“ hielt. Sie hat, so wird sie zitiert, ohne Englisch zu können das Lied nur vom Hören her gelernt. Ich weiß genau wie sie sich fühlt, als die anderen beginnen, komisch zu gucken und schließlich zu lachen.

Letzte Nacht: Das elektrische Ohr rockt

Drei Monate ist es jetzt alt. Das Foto gibt den Höreindruck mit dem CI ganz gut wieder: Eine Grundstimmung. Vieles, was nicht so genau zu erkennen ist. Und dazwischen immer mal wieder klare Eindrücke — Worte und Sätze. An eine gepflegte Unterhaltung war nicht zu denken, aber wer will das schon. Was mich angenehm überrascht hat, war, dass die Musik so gut klang. War aber auch laut, und der Spinal-Tap-Effekt kickte in.

Der Meister der Erwartungen in Augsburg

Nein, ich kann wirklich nicht behaupten, niemand hätte es mir gesagt: Am Cochlea Implantat entzünden sich die Erwartungen — Endlich wieder Hören und Verstehen! Und wer sich eins implantieren läßt, muss zum Meister der eigenen Erwartungen werden.

Schon bevor ich mich überhaupt auf das elektrische Ohr einließ wußte ich: Das Implantat ist keine Reparatur. Wie gut man damit in vivo, also bei schnellen, leisen oder undeutlichen Sprechern, über Entfernungen, mit Nebengeräuschen, am Telefon etc. hören und verstehen können wird, ist sehr individuell. Und damit nicht exakt vorhersagbar. Vor allem aber ist das alles nicht über Nacht zu erreichen. Viel Geduld und Spucke ist angesagt.

Dennoch war ich nach den überraschenden und schön-schaurigen Erlebnissen in letzter Zeit enttäuscht.  Augsburg hieß der Ort und es lag Schnee. Es waren nette Leute und interessante Gespräche. Das Essen war vorzüglich — oder habt Ihr schon einmal in Kirsch-Sushi mit Pistazien- und Schokoladensoße sowie dazu echte Maracuja gegessen?

Nur die Leute hinter der Rezeption im Hotel, am Infoschalter bei der Bahn, im Meeting um den großen Tisch herum, in der Gruppe in der Kneipe und im Auto, das mich gerade so um die große Karambolage auf der A8 herum bugsierte — die verstand ich nur sehr mühsam bis, leider leider, gar nicht. Ich werde weiter meine Erwartungen im Zaum halten, Geduld haben und weiterüben. Frustriert, wer ich? Ommm.

Erfreuliches, zu Eis erstarrt

Es war §?#grr!!*-kalt auf diesem Bahnsteig gestern. Aber ich stand da so, versuchte mich mit dem ganzen Körper an meinen Kaffee zu kuscheln — und auf einmal merkte ich, dass ich die Lautsprecherdurchsagen fast komplett verstand! Hörgerät + CI. Das wollte ich nur mal kurz durchgeben!

Da war zwar nichts Gutes zu hören, nur Verspätungen und Zugausfälle, also noch mehr Kälte. Und ich stand direkt unter einem gut funktionierenden Lautsprecher, was ja nicht selbstverständlich ist. Aber vielleicht komme ich ja dann bald mal in den Genuß, dass sie mir sagen, mein Zug komme auf einem anderen Bahnsteig — und ich bin mal nicht der letzte, der es erfährt, gern auch erst nachdem der Zug schon weg ist…

Ich bin die Schlange an der Kasse

Schon komisch. Da laufe ich im Augenblick quasi einohrig herum, bis im Dezember mein neues elektrisches Ohr in Betrieb genommen wird. Mit nur einem Ohr verstehe ich so gut wie gar nichts. Aber trotzdem passiert mir sowas: Ich schnappe was auf in der Unterhaltung (von der ich sonst kaum was mitbekommen habe). Und die Leute fühlen sich ertappt.

Du verstehst aber auch immer das, was Du nicht hören sollst.

Jaja, klar. Immer. Ich glaube, das ist eher eine Art optischer Täuschung. Wie die Schlange an der Kasse, da erwischt man ja schließlich auch IMMER die, die am längsten dauert.

Früher habe ich damit kokettiert. Heute manchmal auch noch. Gemeint ist damit ja meist nichts Schlimmes, nur Dinge, die den Leuten im Nachhinein peinlich sind. Aber eigentlich ist das gar nicht mal so ungefährlich. Denn von da ist es — bei Leuten ohne Hörgerät — nicht weit bis zu: Der hört gar nicht schlecht, der tut nur so. (Und was das für böse Folgen haben kann, wurde hier zuletzt in den Kommentaren bei Schwerhörige in der Schule berichtet.)

Englischer Ausflug: Wie sich Ertaubung anfühlt

Autumn, Photo by Not quite like Beethoven, all rights reserved

Sonntag ist Ausflugstag. Ich bin zu Gast bei Mog — kommt doch auch vorbei! Hier könnt Ihr einen englischen Text von mir besuchen, in dem ich beschreibe, wie sich meine Ertaubung anfühlt.

Die Gastgeberin ist die Autorin des wunderbaren Blogs You hear some funny things when you are deaf, das vor kurzem als Mog Renewed neu gestartet ist. Und der Text ist in der Email-Unterhaltung mit ihr entstanden.

Ich liebe das Reden, das Reden liebt mich — äh, nicht mehr

Taboo -- Photo by acroamatic / flickr, some rights reserved

Heute kann ich aber mal dreifach stolz sein auf mich! Nicht nur haben wir gestern zu fünft acht Flaschen Wein den Garaus gemacht und trotzdem noch bei Wasser weitergespielt, nein, mein Team hat auch noch gewonnen. Und es war bei  Tabu. Oje.

Früher fand ich das Spiel toll; immerhin macht es mir ja Spaß, mich auszudrücken. Mich reizt die Herausforderung, behindert zu kommunizieren. Und der Zeitdruck. Das muss mal gesagt werden: Ich war ziemlich gut. Tja, ein großer Wortschatz hilft, hehe.

Inzwischen bin ich zwar immer noch recht gut im Reden — aber das Reden der anderen geht an mir vorbei. Es fällt mir wahnsinnig schwer, Leute zu verstehen, die unter Zeitdruck hechelnd und unzusammenhängend reden. Auch wenn es 30cm vor meiner Nase stattfindet und keine Musik das Gespräch verdreckt. Man muss das ja schon fast Stammeln nennen, was man da bei Tabu so macht.

Außerdem ist es schon vorgekommen, dass ich beim Selberreden nicht mitbekommen hab, dass das gesuchte Wort schon gefunden, also gesagt wurde. Das stellt sich dann zwar im Nachhinein raus — den Punkt kriegt man trotzdem!  Es ist aber so peinlich, dass ich das wirklich nicht oft machen möchte. Was ich bei Tabu auch immer noch kann, ist mit der Karte in der Hand zu prüfen, ob ein verbotenenes Wort gesagt wurde. Wenn ich weiß auf welchen Klang ich horche, klappt das. So verstehen Schwerhörige, darin bin ich geübt.

Ähnliche Probleme hab ich mit Spielen wie Scharaden oder Montagsmalern. Immer dort,wo ich etwas tun und gleichzeitig verstehen muss was andere sagen. Verstehen geht bei mir nur, wenn es die Hauptsache ist. Und richtig raten, ohne mitzubekommen was schon gesagt wurde, was schon mal nicht stimmt und wohin die Spur geht — ist auch nicht einfach. Bei diesen Spielen sitze ich früher oder später nur herum.

Übrigens, hörmäßig einfach weil zum Mitlesen und sehr lustig  war neulich: Anno Domini. Da hat man Karten auf denen absurde Ereignisse stehen und man muss die in die richtige zeitliche Abfolge legen. Wir hatten so eine lustige Variante, wo’s nur um Massenmörder, Kannibalen, Giftmischerinnen, brutale Heerführer und hinterhältige Bischöfe ging…

„Oooh, jaaa, Duu!“ — Warum Schwerhörige beim Sex vor bösen Überraschungen gefeit sind

Man denkt ja immer mal über Sex nach. Seit Madoves Kommentar hat mich folgendes Szenario beschäftigt: Verstehen tu ich gut, wenn man mir in die Augen sieht und laut und deutlich artikuliert. Außerhalb gewisser Spiele nicht unbedingt der Normalfall im Bett.  Leider bietet sich bei all den Flüstereien, Seufzern und vielleicht gurgelnden Lauten, die man da so hört, aber auch Nachfragen und Wiederholen lassen nicht unbedingt an.

Und jetzt kommt’s: Zumindest laut Filmen, Büchern und Zeitschriftenkolumnen rutscht einem ja, wenn man nicht aufpaßt, vor lauter Gehenlassen und Hingabe  schnell mal der Name der Wunschperson raus. Statt der, die gerade mit einem den Himmel stürmt. Ich meine, ich würde sowas ja NIE tun, aber egal…

Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass ich das nicht verstehen würde. Denn ich bin ja zur Ganzheitlichkeit verdammt — verstehe ja grundsätzlich kaum etwas akustisch und klaube mir, was gesagt wurde, aus allerlei Kontextinformationen zusammen.  Alles Überraschende, nicht zur Situation passende verstehe ich eher nicht. Darum haben Schwerhörige auch mit Witzen und Pointen so ihre Probleme. Wenn nicht klar ist, was gesagt werden könnte, im Kopf also eine Vorstellung möglicher Sätze herrscht, wird’s schwer. Darum hab ich ja auch schonmal gefürchtet, dass Schwerhörigkeit spießig macht.

Beim Sex den Namen eines Abwesenden zu sagen, ist so dermaßen out of context, ich würde nicht mal auf die Idee kommen, „wer?“ zu fragen. Ich würde einfach annehmen, dass ich gemeint bin oder mein Name gesagt wurde. Das alles läuft so automatisch, ich würde vielleicht nicht einmal merken, dass das was komisches gesagt wurde.

Aber vielleicht lebt man ignorant glücklicher?

Daumendrücken

Ich bin beunruhigt. Morgen treffe ich jemandem, der ein wichtiger beruflicher Kontakt werden könnte. Weil ich um seinen Arbeitsplatz herum nichts geeignetes kenne und außerdem denke, dass das so besser ist, habe ich ihm die Wahl des Ortes überlassen. Was Ruhiges, habe ich gesagt. Nicht zu voll. Sonst bekäme ich schnell Probleme zu verstehen. Mehr ging nicht. Ich kenne ihn bisher nicht und es ist ein großer Gefallen, dass er sich überhaupt die Zeit nimmt.

Das Problem bei solchen informellen beruflichen Treffen ist, dass sich meine Wahrnehmung von laut und ruhig, von akustisch sauberen und verdreckten Umgebungen enorm von der Normalhörender unterscheidet. Wo meine Freunde ein Lokal oder eine Party als „angenehm ruhig“ oder „geht gerade noch“ empfinden, wird es für mich schon wahnsinnig anstrengend  — oder es geht sogar schon gar nichts mehr.

Wenn schon keine Stille — und die gibt es in Cafés, Bars und Restaurants nur wenn sie fast leer sind, da will ja sonst keiner hin — dann bevorzuge ich kurioserweise das was Normalhörende schon als „anstrengend“ empfinden. Es gibt da so eine Lautstärke bei der alle beginnen lauter und deutlicher zu sprechen weil sie selbst schon nicht mehr gut verstehen. Aber noch nichtalles zu laut ist. Da fühl ich mich wohl. Ich bin da etwas eigen.

So etwas wird mein Gesprächspartner aber sicher nicht freiwillig wählen. Und zu mittag wird es sicher nirgendwo leer sein. Ich kann also wie immer nur hoffen, dass er ein glückliches Händchen hat…

„Mir geht’s ja nicht schlecht, und außerdem will ich tanzen“ — Email-Hin-und-Her mit MC Winkel

Eigentlich wollte ich wissen, wie man mit der plötzlichen Diagnose Schwerhörigkeit klarkommt. Es kam anders — und wurde eine Geschichte darüber, wie vielgestaltig die Probleme sind, die sich hinter dem Wort Schwerhörigkeit verbergen. Und der Platz, den sie im Leben einnehmen.

Als MC Winkel kürzlich über seinen neuen Tinnitus schrieb und dabei erwähnte, dass er gerade vom Arzt für schwerhörig erklärt worden war, bin ich neugierig geworden. Ist zwar „nur“ ne Hochtonschwerhörigkeit, aber mittelgradig ist ja nun nicht ganz so wenig: zwischen 40 und 60% Verlust. Und wie geht ein Musiker mit seinen Ohrgeräuschen um — zumal wenn er sie als „Merk-Hoyzer-Collina-Quintett (eigentlich ein Trio, aber die erstgenannten zählen doppelt) mit einem anhaltenden Querflötensolo in Shizz-Dur“ empfindet?

Teezey-- Photo by MC Winkel, all rights reserved

MC Winkel hat als Blogger schon knapp neun Jahre auf dem Buckel. Und das merkt man: Er ist bekannt wie ein bunter Hund und — wenn’s ihm gefällt — sich für keine Aktion zu schade. Dabei sagt er von sich selbst: „Bin halt nur’n Typ, der Quatsch ins Netz schreibt und sich freut, dass Leute das gerne lesen.“ Ich mag die schnodderige Art sehr, mit der er sich selbst immer wieder durch den Kakao zieht. Außerdem tingelt rockt er als Musiker mit der Band Büro am Strand vorwiegend durch Norddeutschland.

Per Email entspann sich folgendes Gespräch…

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Vortragen und Schwitzen: Wie man als Schwerhöriger vor Publikum redet

Dienstreise. In einen kleinen westdeutschen Ort, in dem die Bedienung nach dem Abendessen im Hotel standardmäßig fragt, ob man nicht Eintrittskarten fürs Spielcasino haben möchte, das sei ja nur über den Fluss. Man gibt sich Mühe in diesem Hotel, es ist behaglich und etwas bedrückend zugleich — ein bißchen wie bei der Schwiegeroma.

Welcome -- Photo by Not quite like Beethoven, all rights reserved

Ich soll einen Vortrag halten, an einer Akademie. Das mache ich inwzischen sehr routiniert. Und dabei hilft mir die Schwerhörigkeit sogar. Denn ich muss ja versuchen, die Anwesenden einzufangen — und während ich rede sehen, wie das Publikum drauf ist und wie es reagiert. Das zu erfassen, darin bin ich gut, auch dank der Schwerhörigkeit. Und so sind die meisten Menschen der Meinung, dass meine Vorträge ansprechend sind.

Aber während die meisten Menschen vor dem öffentlich Reden Lampenfieber kriegen, kriege ich es danach. Beim Antworten auf Fragen und Kommentare. Dann bricht mir der Schweiß aus. Und ich muss mir was einfallen lassen. Das mache ich auch…

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Was es so alles gibt: Plaudern als Prüfung – und Schwerhörigkeit als Qualitätskontrolle

Eine der merkwürdigsten Erfahrungen, die ich durch meine Schwerhörigkeit habe, ist wie unsicher viele Menschen sind. Dadurch gerate ich in Rollen, die ich nicht will.

Immer wieder mal sagt jemand etwas zu mir, ich verstehe es nicht, frage nach — und erhalte als Antwort so etwas wie „Ach egal, nicht wichtig!“ Ziemlich häufig ärgert mich das. Dann finde ich es unfair, dass die anderen so eine zweite Chance bekommen. Natürlich darf jeder selbst entscheiden, was er sagen will. Aber so ist es doch schon einmal gesagt! Da finde ich, ich sollte mitentscheiden dürfen, ob es nun wichtig war oder nicht. Wie es zu verstehen und was dazu zu sagen ist. Ist doch bei mir auch so: Einmal gesagt und es ist draußen, die andere hat’s gehört. Und wenn’s halt dumm war — Pech gehabt. Besonders ärgerlich ist das, wenn es ein schwieriges, sagen wir, Beziehungsgespräch ist.

Aber solche Gespräche sind ja sowieso nicht angenehm. Und es geht auch um was, man kann mit Unbedachtem viel kaputt machen. Wirklich erstaunt hat mich aber die Wirkung meines unschuldigen „Wie bitte?“ in Plaudereien. Da höre ich überraschend häufig: „Bei Dir“ — soll heißen: wenn man öfters wiederholen muss — „merke ich, wie doof vieles von dem ist, was ich so sage.“

Hm. Tja. Gut, denke ich dann. Was soll ich denn jetzt dazu sagen? Ich bin natürlich total für Qualität in der Plauderei. Aber der Prüfer, der die Leute unsicher macht, so dass sie dann ne Schere im Kopf haben, oder gar der Lehrer? Nein. Das will ich nicht sein.

Wer hätte das gedacht? Wie cool sind denn bitte diese alten Hörgeräte?!

Es ist von 1949 und man muss es wohl Hörgeräte-Bling nennen — so ganz in Gold und mit dem Wappen mit der Krone…

Zenith Miniature 75 Vacuum Tube Hearing Aid, Photo used by kind permission of HearingAidMuseum.com

Ich hätte nie gedacht, dass alte Hörgeräte spannend sein können, aber heut hab ich dieses Online Hörgeräte-Museum gefunden. Und bestimmt ne halbe Stunde rumgeguckt.

Eher furchterregend ist  dieses drei Pfund schwere Umhänge-Hörgerät von 1910, man hält sich eine Art Telefonhörer ans Ohr.

Acousticon Model RF "Multi-Acousticon" Carbon Hearing Aid, Photo by kind permission of HearingAidMuseum.com

Am Spannendsten aber fand ich die nicht-elektrischen Hörgeräte. Da gibt es tausend Arten von ziemlich wild aussehenden Hörrohren, die — wie mir der Museumschef sagte — auch bei hochgradiger Schwerhörrigkeit erstaunlich gut funktionieren. Und je nach Form die Höhen oder Tiefen hervorheben und auch sehr (sehr!) laut werden können!

Dann Gesprächsrohre, bei denen man in einen Schlauch spricht, dessen anderes Ende sich der Schwerhörige ans Ohr hält. Und schließlich filigran gefertigte künstliche Ohrmuscheln, die man aufsetzen und mit denen man offensichtlich ganz wunderbar im Störschall verstehen kann. Wie diese hier von 1890, in Schildkrötenpanzer-Anmutung.

Celluloid Auricles, Photo by kind permission of HearingAidMuseum.com

Celluloid Auricles, Photo by kind permission of HearingAidMuseum.com

Würde ich ja alles gerne mal ausprobieren. Vor allem — da können einem nicht die Batterien ausgehen…

Seht Euch das Hearing Aid Museum mal ein bißchen an!

Taub im Job, trotzdem erfolgreich, Tipp #5: Raum und Gegenstände in Teamsitzung, Besprechung und Präsentation

Manche Sitzungsräume können es Schwerhörigen schwer machen. Meist wird man an den Räumen am Arbeitsplatz relativ wenig ändern können. Aber oft stehen unterschiedliche Räume zur Auswahl oder es läßt sich längerfristig was an der Einrichtung ändern. Zumindest aber kann man meist auf die Gegenstände einwirken, die jedesmal hinein- und herausgebracht werden. Hier ein paar Vorschläge, von denen auch Normalhörende profitieren:

  • Manche Klimaanlagen machen mit ihrem lauten Summen und Surren das Verstehen schwierig. Besonders, wenn die Sitzung lange dauert und dennoch volle Konzentration verlangt. Wenn möglich also einen Raum ohne laute Klimaanlage wählen, sie herunterdrehen oder gar für die Dauer der Sitzung ausschalten — und stattdessen vorher und hinterher lüften.
  • Ich habe einige Menschen kennengelernt, die durch das Lüftergeräusch von Computern gestört wurden, besonders Desktopmodelle älteren Jahrgangs. Außerdem: Wenn die Anwesenden beim Reden auf ihre Bildschirme starren und von dort ablesen ist Lippenlesen kaum möglich. Da kann es helfen, alle nicht dringend benötigten Rechner auszuschalten oder möglichst leise Modelle anzuschaffen.
  • Wenn die Akustik im Raum generell schlecht ist, kann man oft durch kleine Änderungen etwas erreichen, z.B. indem man den Tisch umstellt, verschiebt oder dreht. Häufig sind ja große Tische aus mehreren kleinen zusammengestellt um flexibler zu sein — diese Möglichkeit sollte man dann auch nutzen und sich je nach Zweck und Gruppengröße Passendes zusammenstellen (lassen).
  • Wenn möglich einen nicht zu hohen Raum mit Teppichboden wählen. Aber schon ein paar Pflanzen, ein kleinerer Teppich oder — kein Witz — mehr Möbel oder auch nur Aktenschränke oder -stapel können Hall entscheidend mindern.
  • Dünne Jalousien können vermeiden, dass einige Personen vor starkem Gegenlicht sitzen — das erleichtert Allen das Ansehen und Schwerhörigen das Lippenlesen.

Über Eure Erfahrungen und Kommentare zu diesen Hinweisen würde ich mich freuen.

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Verdreckte Gespräche — oder: Störschall, was ist das eigentlich?

Dreck, das ist eigentlich nur Materie am falschen Platz, so schon der alte Chemielehrer meiner Mutter. Da wo sie stört, nämlich. Und stören tut sie nur da wo sich jemand gestört fühlt. Was Schall angeht ist das ganz genauso — und unterscheidet mich vom großen Rest meiner normalhörenden Umgebung.

Anruf von dem Freund, bei dem wir gestern einen langen, warmen Abend verbrachten — auf dem Balkon, mit tollem Blick auf die Stadt im Tal und den Sonnenuntergang dahinter. Schön sei es gewesen, sehr nett. Nur bißchen anstrengend. Weil der Lärm von der Straße, der habe etwas gestört. Das Haus liegt an einer von sieben Buslinien befahrenen Hauptstraße. Immerhin, es war abends.

Mir war das gar nicht aufgefallen. Ich meine, natürlich hat mich der Lärm gestört und natürlich fand ich das Zuhören anstrengend. Aber für mich macht es keinen Unterschied, welche Sorte Hintergrundgeräusche es sind: Alle Nebengeräusche verdrecken mir die Gespräche, alle stören mich gleichermaßen. Und irgendwas ist ja eigentlich immer. Gestern abend war für mich also auch wie eigentlich immer.

Nur steh ich bei der Bewertung von etwas als anstrengender Störschall meist ziemlich allein da, vor allem bei normallauten Unterhaltungen am Nebentisch. Ganz zu schweigen von Musik im Hintergrund. Da stehen dann meine Bedürfnisse den Vorlieben der allermeisten komplett entgegen. Musikhören und Konversation sind bei mir zwei Welten, die säuberlich getrennt bleiben müssen, so gern ich es auch anders hätte. Bei Verkehrslärm, anfahrenden Bussen und hochschaltenden Motorrädern sind wir uns wenigstens alle einig. Insofern bin ich akustisch etwas anal und das gestern war eine äußerst seltene Einmütigkeit — was Dreck im Gespräch ist und was nicht.

Souveränität und Sekundenbruchteile (Schwerhörigkeit und die Fremdsprache V)

Wie schlägt man 30 Jahre Erfahrung? Ich muss jetzt sagen: Gar nicht. Sicher, es war schön, das Jahr in Boston Cambridge. Ich wäre gern dort geblieben und würde wieder hinziehen. Aber ich bin auch verdammt froh, wieder in Deutschland zu sein. Immer nur Glücksspiel schlaucht.

Deutsch ist für Schwerhörige einfacher als Englisch, sogar rein von den Lauten her. Es gibt nicht so viele Worte, die bis auf die Konsonanten gleich sind. Und gerade die Fähigkeit, die auseinanderzuhalten, verabschiedet sich am schnellsten bei Ertaubung. Ich hatte viel Spaß mit: tap, sap, flap, lap, cap, rap, pack, knack, hack, stack, back, rack, wack, sack, fun, pun, sun, run, shun, fun. Da hilft auch Lippenlesen nicht viel.

Hier in Deutschland dagegen — kleine Freuden!

Spreewald 01, Photo by Fünf Sorten Gold, all rights reserved

Einen Ausflug in den Spreewald machen, bißchen Paddeln. Während der Rast an einem — im übrigen ziemlich schnutigen — Gasthaus die Toilette suchen und unverhofft im Wohnzimmer der Besitzer landen. „Suchen sie was?“ angeherrscht werden, mit so spreewäldlerischem Dialekt — und trotzdem eine schnelle und passende Antwort finden. Ohne Zögern. Weil ich tatsächlich gehört habe, was gesagt wurde und nicht nur erschlossen.

Spreewald 02, Photo by Fünf Sorten Gold, all rights reserved

Auf Englisch hätte ich diesen unwirschen Hausherrn nicht verstanden. Ich wäre unsicher gewesen, was gerade vorgeht. Hätte gezögert. Wäre von dem Auftritt eingeschüchtert gewesen, hätte mich rechtfertigen wollen. Sicher, auch dort wäre die Situation in Sekunden oder gar Bruchteilen davon geklärt. Aber es wären quälende Bruchteile gewesen. Sowas mag nichtig erscheinen, für mich ist es wichtig. Denn aus diesem Zeugs ist mein täglich Frust und Lust gemacht.

Spreewald 03, Photo by Fünf Sorten Gold, all rights reserved

Wenn ich mich recht erinnere war meine Antwort nur ein „ja, die Toilette“.  Aber über die prompte Antwort freue mich wie ein Kind mit dem ersten Haufen.

Wer mich beleidigt, das entscheide immer noch ich

Eine unbedeutende Auseinandersetzung um das Verhältnis vereinbarter Zahlung und erhaltener Leistung. Ich habe gar kein Auto, Signorina! Wer sich an diesen Spruch aus der Kaffeewerbung erinnert, der kennt den Tonfall — in dem ich dem vor Wut japsenden Mann erklärte, dass ich schwerhörig bin. Eine lächelnde Mischung aus Triumph und auf den Arm Nehmen. Und dass ich all die Beleidigungen, die mir schon seit einiger Zeit entgegengeschrien worden waren, unglücklicherweise nicht mitbekommen hatte.

Ich skizzierte kurz einige meiner Regeln und bot ihm an, mir das Wichtigste noch einmal zusammenzufassen. Ich würde zuhören. Während er mit etwas dunklerer Gesichtsfarbe neu ansetzte, wies ich noch darauf hin, dass sein Schnauzer mein Verständnis nicht gerade fördere, sich aber sicher auch dafür eine Lösung fände. Gleich darauf machte ich mich schleunigst vom Acker. Wurde mir alles etwas zu dunkelrot, da.

Dann lächelte ich noch einmal in mich hinein. Mag ja ein bißchen boshaft gewesen sein, aber manchmal ist es ganz lustig so mit Schwerhörigkeit.

Bei mir dagegen, ein Glücksspiel — Schwerhörigkeit und die Fremdsprache IV

Schwierig ist es ja immer für mich, das Gespräche Führen. Dass aber im letzten Jahr fast jede Unterhaltung auf Englisch stattfand, hat mir in sehr vielen Situationen den Rest gegeben. Besonders ungern erinnere ich mich etwa an eine wunderbare Halloween Party, auf die mich meine Mitbewohnerin mitnahm…

LODA Halloween Party -- Photo by Sexy Fitsum / flickr

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Taub im Job, trotzdem erfolgreich, Tipp #4: Beeinflusse die Sitzordnungen

Hätte ich nur einen einzigen Wunsch frei, um mein Leben als Schwerhöriger im Berufsleben zu verbessern — ich würde sagen: Ich will die Kontrolle über die Sitzordnungen. Denn die sind wohl das einfachste Mittel mit der größten Wirkung.

Wenn etwa zwischen allen Anwesenden zu großer Abstand herrscht, wichtige oder gar alle Redner auf der Seite mit dem schlechteren Ohr sitzen oder mitten im Gegenlicht vor einem Fenster, dann wird das Verstehen mühsam bis unmöglich. Ideal ist, wenn der Schwerhörige sich im Raum dorthin setzen kann wo er oder sie will — und dann alle anderen entsprechend platziert werden.

Wie genau „entsprechend“ geht, kann ich hier nur für mich sagen, denn jede Schwerhörigkeit ist anders. Für mich am besten ist: In der Mitte des Tisches bzw. ein bißchen in die eine oder andere Richtung versetzt, wenn dort Personen sitzen, von denen wichtige Beiträge erwartet werden (Kunden, Berater, Lehrpersonen, etc.). Die will ich halbrechts von mir haben. Nur halbrechts, damit ich mir nicht den Kopf verrenken muss um sie anzusehen. Manchmal setze ich mich auch mit dem schechten Ohr dicht an eine wichtige Person und lasse das gute ‚den Raum überwachen‘. Ich bin außerdem als jemand bekannt, der Leute bittet, doch ein bißchen zusammenzurücken, wenn sie sich gar zu sehr in alle vier Ecken des Raumes verteilen. Bei Vorträgen gehe ich in die erste Reihe, manchmal auch in die zweite oder dritte, wenn von dort aus die Sicht angenehmer ist. Und ich setze mich nie in die Mitte des Raumes, sondern immer ein wenig seitlich an den Rand, möglichst mit einer Wand im Rücken. Wegen des Halls.

Meiner Erfahrung nach sind die meisten Menschen, schnell bereit sich entsprechend zu setzen — wenn man ihnen die Sache vorher nett und nicht auf den letzten Drücker erklärt (siehe dazu Tipp #2) .Wenn Hierarchie freie Platzwahl nicht zuläßt, kann man meist immer noch die gesamte Runde ‚um den Tisch drehen‘. Oder über die Kontrolle des Mobiliars Verbesserungen erreichen (Tische umstellen oder anders anordnen). Oder wie seht Ihr das?

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Zuhören auf schwerhörig: Warum sagen Schwerhörige eigentlich so oft „jaja“ auch wenn sie nichts verstanden haben

Sag’s doch wenn Du was nicht verstehst! Einer der Sätze, den Schwerhörige am häufigsten hören. Ich kenne ihn auch oft genug gemischt, mit ein bißchen Aggression, weil sich mal wieder herausgestellt hat, dass ich etwas nicht verstanden aber dennoch „jaja“ gesagt habe. Ich habe auf diese Weise sogar einmal den Umzug meiner Freundin verpaßt, bei dem ich eigentlich helfen sollte. Zumindest muss ich das annehmen, denn ich weiß nur, dass ich sie einmal anrief — und sie sagte: „Wir haben gerade alles zu zweit hochgeschleppt, danke.“ Sie hat es mir immer noch nicht verziehen.

Warum also sage ich und sagen all die andern nicht Bescheid, sobald ich etwas nicht verstehe? Sind die alle verschüchtert oder zu bequem? Nein. Es ist ein bißchen komplizierter.

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Kinder und Schwerhörige — geht das zusammen?

Das ist ja alles schön und gut mit meinen Regeln, der Gebrauchsanweisung für Schwerhörige. Aber Sigrid hat eine gute Frage gestellt, hier in den Kommentaren:

Aber wie bringe ich es meinen Wirbelwinden von Kindern bei, wie sie mit [dem schwerhörigen] Opa sprechen müssen?

Kinder beim Spielen, Foto by Torsten-Schröder / pixelio.de

Ja, wie macht man das? Wie geht man als Schwerhöriger mit Kindern um oder wie bereitet man sie auf den Umgang mit einem vor?

Ehrlich gesagt, ich habe ich dazu rein gar nichts zu sagen. Ich kenne nur das Problem. Kinder, insbesondere kleine Kinder verstehe ich so gut wie nie! Die hellen Stimmen, das Rumgewusel, die kindliche Aussprache… Das ist so schlimm, dass ich ihnen oft ausweiche oder mir übersetzen lasse — so dass ich schon wirklich Angst davor habe wie das wohl wird, wenn ich selber mal welche habe. Denen sollte man ja wohl nicht ausweichen. Und Angst haben vor ihnen auch nicht.

Darum mal von mir die Frage in die Runde: Was habt Ihr für Erfahrungen mit Kindern und Schwerhörigkeit gemacht? Wie geht man damit um? Gibt’s da mehr zu zu sagen als „es ihnen in ner ruhigen Minute erklären“?