Was es so alles gibt: Plaudern als Prüfung – und Schwerhörigkeit als Qualitätskontrolle

Eine der merkwürdigsten Erfahrungen, die ich durch meine Schwerhörigkeit habe, ist wie unsicher viele Menschen sind. Dadurch gerate ich in Rollen, die ich nicht will.

Immer wieder mal sagt jemand etwas zu mir, ich verstehe es nicht, frage nach — und erhalte als Antwort so etwas wie „Ach egal, nicht wichtig!“ Ziemlich häufig ärgert mich das. Dann finde ich es unfair, dass die anderen so eine zweite Chance bekommen. Natürlich darf jeder selbst entscheiden, was er sagen will. Aber so ist es doch schon einmal gesagt! Da finde ich, ich sollte mitentscheiden dürfen, ob es nun wichtig war oder nicht. Wie es zu verstehen und was dazu zu sagen ist. Ist doch bei mir auch so: Einmal gesagt und es ist draußen, die andere hat’s gehört. Und wenn’s halt dumm war — Pech gehabt. Besonders ärgerlich ist das, wenn es ein schwieriges, sagen wir, Beziehungsgespräch ist.

Aber solche Gespräche sind ja sowieso nicht angenehm. Und es geht auch um was, man kann mit Unbedachtem viel kaputt machen. Wirklich erstaunt hat mich aber die Wirkung meines unschuldigen „Wie bitte?“ in Plaudereien. Da höre ich überraschend häufig: „Bei Dir“ — soll heißen: wenn man öfters wiederholen muss — „merke ich, wie doof vieles von dem ist, was ich so sage.“

Hm. Tja. Gut, denke ich dann. Was soll ich denn jetzt dazu sagen? Ich bin natürlich total für Qualität in der Plauderei. Aber der Prüfer, der die Leute unsicher macht, so dass sie dann ne Schere im Kopf haben, oder gar der Lehrer? Nein. Das will ich nicht sein.

11 Antworten zu “Was es so alles gibt: Plaudern als Prüfung – und Schwerhörigkeit als Qualitätskontrolle

  1. Weißt Du, nqlb, ich glaube, „Qualität in der Plauderei“ ist der falsche Ansatz.

    Ich habe mich mal, langlang ists her, mit jemandem der sich mit Menschen und ihre Beziehungen sehr gut auskennt, über genau das von Dir geschilderte Phänomen unterhalten: Menschen, mehr oder minder Unbekannte (auf jeden Fall keine engen Freunde) plaudern miteinander, ich bekomme nichts mit, frage nach und die Plauderei ist gestört oder beendet. Wir haben damals für diese Plauderei den Ausdruck „es redet“ geprägt und den habe ich nie vergessen.

    „Es redet“ heißt: die Plauderei findet statt, damit sie stattfindet, Inhalt ist egal, es geht – wenn überhaupt – um Botschaften für das 2., 3. oder 4. Ohr (Beziehung etc.), vielleicht aber auch nur darum, nicht zu schweigen (ist ja unhöflich, peinlich, irritierend).

    Problem ist dabei: Menschen wie Du und ich, wir können kein „es redet“ – zumindest das Zuhören ist für uns eine (deutliche) Anstrengung. Und damit machen wir das kaputt, automatisch, leider. Eine Lösung kenne ich nicht, ich selber neige stark dazu, solche Situationen zu vermeiden oder sie als Hintergrundrauschen an mir vorbeiziehen zu lassen.

  2. Weißt Du ich glaube wir haben dieselbe Meinung. „Es redet“ 🙂 ich weiß genau was Du meinst.
    Aber was mich so erstaunt ist die Reaktion der anderen, dass die sich auf einmal schlecht fühlen. Und diese unausgesprochene Übereinkunft aufkündigen, dass es eigentlich um nichts Bestimmtes geht. Oder nicht mehr fähig sind, so weiterzumachen, wie sie halt sind und reden und dazu zu stehen.
    Für mich ist das völlig okay, ich muss nicht immer über „Wichtiges“ reden. Können auch Katzen und Hunde sein. Und meine Meinung über die Leute bilde ich mir auch so, da hilft auch kein verschweigen bei der zweiten Chance.

  3. Aber die Reaktion ist aus meiner Sicht wenig erstaunlich: Mit der Nachfrage machst Du, mache ich, doch genau auf das *es* redet aufmerksam. Damit wird dem/derjenigen, die es tut, bewusst, dass er/sie *es* reden lässt und allein dieses ‚eine automatisch ablaufende Selbstverständlichkeit ist plötzlich keine mehr‘ führt dann zu den von Dir geschilderten Reaktionen. Ich glaube, dass hat mit Dir als Person (oder mir) absolut nichts zu tun, sondern ist ein Effekt der Situation.

  4. Ja klar, es ist ein Effekt der Situation. Aber was das für Gefühle hervorruft und wie man damit umgeht ist doch die Frage. Nachtrag: Dass man nur mit Anliegen der Wichtigkeitsstufe III und vorformulierten Sätzen an mich herantritt ist doch keine Lösung.

    Die Situation die ich im Kopf hab, ist übrigens ein Gespräch zu zweit, nicht in der Gruppe. Und so ganz selbstverständlich/automatisch läuft ja bis zu dem besagten Satz auch nicht alles ab.

    Ich freu mich aber, dass du das anders siehst. 🙂

  5. Also bei mir ist meistens auch so das vor allem dann das „Ist ja nicht so wichtig“ , „Ach vergess es ist ja nicht wichtig“ beim Nachfragen nach nichtgehörtem mich unsicher gestimmt hatte mittlerweile aber nicht mehr…(zum glück)
    es gibt auch Leute in meinen Umkreis die dieses „nicht wichtig“ eigentlich nicht sagen (was ich gut finde 😉 ) sondern es dann wiederholen (finde es schon Personenabhängig und auch Situationsabhängig…)

  6. naja, nqlb, ich weiß gar nicht, ob ich das anders sehe, aber Du hast in einem recht: ich hatte an Gruppensituationen gedacht. Zu zweit stellt sich das natürlich anders da.

    Zu Deinem „wie geht man damit um“: ich habe längere Zeit darüber nachgedacht und mir ist dabei aufgefallen: ich sage schon lange nicht mehr „wie bitte“ sondern nutze eine Formulierung wie: „bitte, ich habs aktustisch nicht verstanden?“ – das schließt nämlich schonmal aus, dass jemand mein „wie bitte“ als ungläubiges Erstaunen über den Unsinn/das Seichte/o.ä., den er/sie gerade erzählt missversteht.

    Und ansonsten, wenn jemand zu Dir sagt „merke ich, wie doof vieles von dem ist, was ich so sage” und Du möchtest Dich aber mit dem/derjenigigen unterhalten, warum sagst Du dann nicht einfach: „find‘ ich nicht, ist doch ganz normal“ oder sowas ähnliches?

    Andere Taktik ist natürlich immer, selbst anfangen und Thema vorgeben – denn tendenziell schreiben wir hier doch eher über Gesprächseröffnungen, oder?

    Wobei – dies als persönliche Anmerkung – mir Anliegen der Wichtigkeitsstufe III sehr lieb sind, die erfordern nämlich automatisch ordentlich formulierte und damit leichter verständliche Sätze sowie längere Erläuterungen (Kontext!) ;-))

  7. Spannende Ausführungen. Ich finde aber, dass dieses „es redet“, dieses kommunikative Grundrauschen eine wichtige kommunikative Aufgabe (auch jenseits der Schweigevermeidung) hat. Man bleibt eben beieinander, es verbindet. Man lächelt gemeinsam über einen Spruch hier, ein kleines Blah da. Man ist sich gewogen.

    Deswegen ist es eben _doch_ wichtig und sollte nicht einfach abgetan, sondern vielleicht doch wiederholt werden.

    Oder man denkt sich etwas anderes aus, dass dieselbe Funktion hat. Wenn man zum Beispiel untergehakt läuft, kann man ab und an mal mit dem Arm drücken und so. Das zeigt ja auch „Ich bin da, wir sind hier beieinander.“

    Was denkt ihr?

  8. Mir fällt dazu ein, das ich von einer Studie gelesen habe, die sich vielleicht genau mit „es redet“ beschäftigt. Finde sie aber gerade nicht. Beobachtet wurde, das ca. 80% unserer Gesprächsinhalte (beim „Plaudern“) keine unmittelbare Wichtigkeit haben (irgendwie so..). Sondern nur 20% tatsächlich neue bzw. relevante Informationen sind. Aber warum „verschwenden“ wir so viel Zeit mit „unwichtigem“. Bei genauerer Betrachtung der Inhalte der 80% stellte sich heraus, dass es im Smalltalk letztendlich viel um Formulierung und Rückversicherung über Normen und Werte, Beziehungerhaltung- bzw. -bestätigung u.ä. ging. Das führte zu der These, dass dieser Teil („ach, nicht so wichtig“ bzw. „es redet“) so etwas wie das Schmieröl der Gesellschaft sei.

    (finde gerade keine Artikel darüber auf den ich verlinekn könnte. Schade. Und nagelt mich nicht auf die Prozente fest. Alles aus dem Kopf. Geht eher um die Verhältnisse 😉 )

    Vielleicht deckt das Nachfragen genau das auf…?!

  9. Keine Frage: „es redet“ ist für Beziehungen etc. total wichtig.

    Anm. für Wissenschaftler/innen und solche die es werden wollen 😉 : einschlägige Bücher sind Watzlawick et al: Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien sowie Schulz von Thun: Miteinander reden Bd.1; beides ist gut lesbar und spannend. Ich weiß zwar nicht mehr, ob hier auch quantitative Angaben gemacht werden, aber in der Tat ist der Anteil der „Nicht-Inhalte“ sehr hoch.

    @berlinessa: was anderes ausdenken ist eine wunderbare Idee 🙂

  10. Leider ist es aber oftmals so, daß sich die Leute durch unser nachfragen nicht nur gestört sondern auch belästigt fühlen. Sie finden es zu anstrengend sich auf unsere Schwerhörigkeit einzulassen. 🙂

  11. Kilian, Schwerhörigkeit gibt sooo viel Grund unsicher zu sein – ich freu mich dass es bei Dir weniger geworden ist! Wiederholen finde ich auch besser als „nicht wichtig sagen“. Mit solchen Leute sollte man sich umgeben.

    Frauke, stimmt, jetzt wo Du’s sagst fällt’s mir auch auf: Das barsche „WAS?!“ oder überrascht klingende „wiebitte?“ hab ich mir aus genau dem Grund abgewöhnt. Aber eigentlich denke ich, man sollte sich — wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, das Gegenüber zu deuten — nicht immer die für einen schlechteste raussuchen. Und man ist auch nicht dafür verantwortlich wenn andere das tun. Leider muss man dann trotzdem damit umgehen, wenn/dass sie das tun.

    Berlinessa, das ist wirklich ein wichtiger Punkt: Dass/wenn dieses kommunikative Grundrauschen fehlt ist einer der Hauptgründe, warum Schwerhörige auch in Gesellschaft einsam sind! Und ja, das kann auch mit Berührungen gehen. (Jetzt weiß ich wenigstens woher diese blauen Flecken an meinem Arm kommen! 🙂 )

    Achim, ich kann auch grad keinen Titel angeben, aber die Schmieröl-These kenn ich auch. Und stimme ich zu. Nichtverstehen, Nachfragen wo es sonst niemand tut, deckt diese Dinge auf, weil es die sonst unsichtbaren Routinen und Selbstverständlichkeiten sichtbar macht. Wer sich dafür interessiert, siehe Garfinkels Krisenexperimente.

    Daneben kann ich nur Fraukes Literaturempfehlungen bestätigen: Watzlawick und von Thun!

    Babbeldieübermama, das ist leider oft so, ja. Aber wie gesehen gibt es auch welche die total unsicher werden… Und Leute, die es einfach „zu anstrengend“ finden sollte man meiden.

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