Das Harte für die Dame, das Zarte für den Herrn: Wie Schwerhörigkeit Geschlechter-Stereotypen durcheinander bringt

Wer mich anschaut, sieht nen Mann. Ganz klar. Breite Schultern, Boxernase, wilder Bartwuchs. Das verwirrt die Leute aber nur umso mehr, wenn ich mit Frauen zusammen bin.

Ich liebe Kaffee. Und hab ganz und gar nichts gegen Alkohol. Aber weil von beidem mein Tinnitus lauter wird und sich Kater auch mit Druck in den Ohren auswirken, trinke ich beides meist recht vorsichtig. Das führt in Bars und Restaurants oft zu skurrilen Situationen.

Outdoor Portrait of Man and Woman, Photo by Wisconsin Historical Society / flickr

Zuerst aufgefallen ist es mir in Andalusien — wo der Kaffee so stark ist, dass ich oft nicht mal Kaffee mit Milch (café con leche) sondern Milch mit Kaffee (leche manchada) bestellt habe. Merke: In Andalusien führte das, damals zumindest, nicht dazu, dass die gleiche Menge Kaffee mit mehr Milch aufgegossen wurde — die Gläser waren immer gleich groß. Außerdem bestellte ich wesentlich öfter Cola oder Wasser als Bier und Wein. Oder wenn, dann eher Bier und tinto de verano als Rotwein oder Härteres.

Meine Freundinnen waren schon immer nicht so zimperlich (und dafür liebe ich sie). Bei ihnen darf es oft ein doppelter Espresso, ein Bier oder manchmal auch ein Schnaps sein. Und wirklich jedesmal wenn café con leche und leche manchada oder Wasser und Bier gebracht wurden, wollte man das Stärkere natürlich vor mich hinstellen. Und war überrascht bis sogar ein wenig unwillig, wenn wir es anders haben wollten. Es paßt einfach nicht, auch in Deutschland nicht, dass der Kerl den Mädchendrink nimmt.

Super Man and Wonder Woman, Photo by San Diego Shooter / flickr

Ähnlich läufts wenn ich mit einer Frau unterwegs bin und Leute nach dem Weg fragen. Sie sprechen fast immer mich direkt an — und sind dann überrascht, wenn ihnen die danebenstehende Frau antwortet, weil ich die Frage nicht so schnell oder gar nicht verstehe. Anstatt dass sie einfach stumm bleibt. Und meistens schauen sie während ihnen geantwortet wird immer mal skeptisch zu mir rüber. Gleiches geschieht, wenn sie nach dem Weg fragt. Dann bekomme ich den Weg erklärt. Kaum jemand schafft es, einfach nur ihr zu antworten und nicht spätestens nach ein paar Sekunden mich anzusehen und ganz offensichtlich mit mir zu reden. Was lustig ist, weil ich ihnen natürlich auf typisch schwerhörig zuhöre.

Besonders skeptisch und durcheinander sehen die armen Leute dann aus, wenn das Ganze mit asiatischen oder schwarzen Begleiterinnen geschieht. So als würde es nicht in ihren Kopf gehen, dass diese sich herausnehmen, mit ihnen zu reden — obwohl sie mich angesprochen haben oder auch ich sie hätte ansprechen können. Und das passiert nicht nur auf dem Land und nicht nur bei Älteren.

21 Antworten zu “Das Harte für die Dame, das Zarte für den Herrn: Wie Schwerhörigkeit Geschlechter-Stereotypen durcheinander bringt

  1. Sehr fein beobachtet – die Stereotypen sind teilweise wirklich stark in unserer Gesellschaft verankert.

  2. It’s strange to get a window onto how bizarrely ghettoized white people can be. My Chinese-American friend on a Fulbright had a row of similar encounters. She was just asked by a polish girl who did not know what to make of her: „It must be so hard for you. You’re not really American, and you’re not really Chinese. It’s like you don’t belong anywhere–I sympathize with you!“ Nice Wisconsin Historical Society photo.

  3. Bin durch Zufall in Dein blog gestolpert. Bei diesem Beitrag mußte ich sehr schmunzeln. Das kenne ich.

    Mein Mann & ich fahren Motorrad. Jede/r das eigene. Jede/r selbst. 🙂

    Wie oft passiert es, daß ER gefragt wird und SIE die Antwort gibt, weil SIE manches einfach besser weiß, zB welche Maschine SIE fährt.

    Wir standen an einem Motorradtreff an meiner nagelneuen (auch vom Typ her) Maschine. Seine etwas ältere stand zwar direkt daneben. Man konnte dennoch ohne weiteres meinen, wir wären mit meiner Maschine als Fahrer & Sozia unterwegs. Ein Mann kam auf uns zu & fragte eindeutig meinen Mann:

    – Ist das nicht die neue XY?

    Welch ein Glück für meinen Mann. Das konnte er gerade noch beantworten:

    – Ja.

    – Wie stark ist die denn jetzt?

    Mein Mann zuckt mit den Schultern. Der Kollege ist etwas irritiert. Ich stehe hinter ihm – er hat sich tatsächlich mit seinem breiten Kreuz vor mich gestellt & gab mir das Gefühl, mich zu ignorieren – und sage laut & deutlich:

    – Wenn Du mich fragst, bekommst Du vielleicht eine Antwort. Das ist nämlich meine.

    Er schaute mich ziemlich blöd an…

  4. Danke, Christian. Also mich überrascht das immer wieder, gerade bei so Kleinigkeiten wie Getränken. Und auch als wie „weiblich“ viele meiner Kommunikationsverhaltensweisen wahrgenommen werden. Schon lustig — vielleicht komm ich deswegen so gut mit Frauen klar…

    Elizabeth, I think it’s not only white people. Especially with respect to gender I have made similar experiences with all sorts of people.

    Yewa, freu mich, dass Du hergefunden hast. Hoffe Du schaust mal wieder rein. Deine Motorrad-Geschichte ist zu schön! Wobei, wie ist denn Deine Erfahrung unter Motorradfahren? Ich würde denken, dass viele ne Frau mit Ahnung und Begeisterung auch ziemlich sexy finden…

  5. Da dieser Post genau an meinem Geburtstag im Netz war, muss ich einfach antworten. – Ich bin der Meinung, ich mache es anders – für mich ist nicht der Mann der Obermimer, der alles betimmt. Aber ich werde aufpassen – nur solche Gelegenheiten oder ähnliche hat man ja nicht oft.
    Clara

  6. Och, das was Hartes und was Weiches bestellen, kannst Du ja einfach ausprobieren. Wobei ich mich eigentlich überjedes Mal freue wo es nicht so ist.

  7. Sorry, hab erst jetzt gelesen, daß Du eine Frage hattest.

    Zu Anfang meiner Motorradkarriere (1995) fuhren noch recht wenig Frauen selbst. Da war frau noch eine exotische Erscheinung, eine Amazone. Ich wurde damals von meinen Jungs (wie ich sie nannte 😉 ) eher als Kumpel wahrgenommen, was ich überhaupt nicht als Nachteil erfahren habe. Liegt vielleicht aber auch daran, daß ich eh eher der Kumpel- denn der Lady-/Zicken-/Mädchen-Typ bin. Auch heut bin ich bei derben Kommentaren, die Biker eben manchmal so drauf haben, nicht gleich eingeschnappt.

    Interessant finde ich, daß es offensichtlich starke regionale Unterschiede gibt. In Bayern (wo ich lebe) werden Amazonen schon lang nicht mehr so exotisch aufgenommen. Im Ruhrgebiet (meine alte Heimat) ist das noch lang nicht so normal. Auch auf dem Land, also so richtig dörflich und so, werd ich öfter schräg angeschaut. „So eine große Maschine können Sie bewältigen?!“

    Ich finds öfter belustigend als beleidigend. 🙂

    LGY

  8. Ich hatte selbst völlig vergessen, dass ich eine Frage hatte 🙂 Auf diese Weise ist es mal für was gut, dass „das Netz nichts vergißt“. Danke für die Antwort.
    Wünsche weiter frohe Belustigung!

  9. Genau diese Situation kenne ich auch – nur aus der Sichtweise des hörenden Mann..
    Es ist irgendwie selbstverständlich dass Ich als Mann mit Fremden, Verkäufern oder Kellnern rede, bzw das gesagte für meine (bald CI-Trägerin, pju!) Freundin nochmal wiederhole..

    Aber ich hab mir darüber noch nie Gedanken gemacht, dass es andersrum anders ist.. Stereotyp halt 🙂

    Saugute Seite, ich erkenne alles (aber auch wirklich ALLES!) wieder!! Weiter so!

  10. HAHAHAHA danke an meinen Dolmetscher-Schatz da oben… jetz meldet sich die „waaaaaaas?“- und bald CI-Trägerin (pju :P) auch mal zu Wort 😉

    jahahahaha was gabs da nicht schon für schöne Situationen… 😀 Ich würd ja gern mit den Verkäufern selber reden.. aber nach 3 mal „Ich versteh Sie nicht, ich bin schwerhörig, könnten sie bitte etwas deutlicher und nur ein klein bisschen lauter sprechen?!“… was kommt dann? – Erstmal Fassungslosigkeit… und ein Gesicht das grade zu schreit nach „Die sieht doch noch gar net wie ne Oma aus“ – ja neee ganz gewiss nicht… ich bin 24 und werd auch ab und an auch noch nach meinem Ausweis gefragt (was ich ja mal grundsätzlich auch net gleich blicke… was hä wie wo? ach Ausweis? ja doch hier *rumkruschtel*) Haaa ich hab eben noch bissl n Babyface, so langsam darf ich mich dann auch dran freuen… 😉

    Na auf jeden Fall sprechen dann die Verkäuferinnen kein Fatz deutlicher oder lauter… nein noch schlimmer.. die gucken dann auch noch teils peinlich berührt weg *aaaaaaah* Ja bevor ich dann verdurste benutz ich dann eben meinen Dolmetscher da oben *fg* oder ne Freundin. 😀

    Und dann muss ich auch noch ein mega fettes Lob aussprechen.. deine Seite ist echt toll.. ich hab da jetz schon seit paar Tagen drin rumgeschnüffelt 😀 Ich muss sagen bei mir war alles dabei, von „aah ich hab Bauchweh.. ich kann nicht mehr aufhören zu lachen“ zu „*schluchz* *wein* *rotz“ bis „verdammt, ich fühl mich ertappt :)“ Also deine Worte gehen wirklich unter die Haut und es macht echt Freude deinen Blog zu lesen.

    Selbstverständlich hab ich dann auch schon für dich gevotet 😉

  11. Hi Ihr beiden, willkommen bei mir, freut mich, dass es Euch beiden gefällt! 🙂 Also peinlich berührt weggucken, Nanelie, ist wirklich ne blöde Reaktion. Kommt zum Glück eher selten vor, aber da hab ich dann auch schon mal laut gesagt: Das muss ihnen jetzt nicht peinlich sein!
    Viel Erfolg mit dem elektrischen Ohr wünsche ich, drücke die Daumen, dass alles komplikationslos läuft!

  12. nqlb…Dankeee 🙂

    also bei mir passiert das irgendwie häufiger.. auch immer dieses: „oh, Entschuldigung“… da sag ich dann auch immer, da brauchen Sie sich jetzT nicht entschuldigen… genauso mit peinlich sein. Ich habe nur jetz schon öfter die Erfahrung gemacht, dass wenn ich Unbekannten sage, sie sollen mich doch bitte anschaun un deutlicher reden… die iwie genau das Gegenteil machen?! Mach ich was falsch?! 😉 Naja ich glaub die sind dann immer so überrascht und überrumpelt, dass so junges Hüpferle wie ich fast taub ist?! Oder glaubens vllt gar net o.O
    Was ich ja auch liebe ist der Satz: „ach du hörst WIRKLICH schlecht???“ oder wenn mir ne Freundin nochmal was wiederholt und sagt ich höre schlecht kommt dann sowas wie: „Ach ich dacht die wollt den Mist den ich erzähle nur nicht hören“ *aaah* Ich muss ja nen Eindruck hinterlassen manchmal *haha*

  13. Das kenn ich. Solange es nur Scherz ist, ist das ja okay. 🙂
    Kann aber auch richtig übel enden, wenn Leute in wichtigen Situation denken oder behaupten, man tue nur so. Oder zumindest verletzend werden. Pass auf Dich auf.

  14. ja ich versuch mein Bestes 😉 Was ich auch nicht leiden kann ist der Satz „Das hab ich dir doch gesagt… das hat du bestimmt nur nicht gehört“ Also das kann ja schon ab und an vorkommen.. aber wenns was wichtiges ist und ichs net mitbekomm.. merkt mer mir des eigentlich auch an. Und sowas dann einfach als Ausrede zu benutzen.. von wegen hab ich dir doch gesagt.. *wuaaaaaaaaah*

  15. Naja, man muss das auch umdrehen. Wenn sie es nicht merken, dann zeigt das halt, wie unglaublich unaufmerksam und selbstbezogen viele Leute sind. Zumindest phasenweise.

  16. huehnerschreck

    ziemlich spät, aber ich les deinen blog ja auch noch nicht soooo lange: die hart vs. weich-getränke-sache erlebe ich auch immer wieder. vorallem, wenn sweetest der fahrer ist (und ich also beim weggehen trinken kann, wonach mir ist – das kann schon mal n whisky sein). kellner stellen nahezu immer ungefragt ihm den whisky und mir die apfelschorle hin. ich habs mittlerweile aufgegeben, was zu sagen, und korrigiere das einfach grinsend.

    auch die motorrad-sache kenn ich exakt genau so. das herbste war mal ein besuch mit meinem damaligen (nur-autofahrer) in einer werkstatt. der ober-schrauber begrüßte zuerst meinen begleiter und redete auch zunächst _nur_ mit ihm. ich wurde ignoriert. und das, obwohl _ich_ in leder und mit helm da rumstand. nach einem kleinen moment (und auch, weil mein begleiter von meinem kaputten bike schlicht keine ahnung hatte) hab ich den schrauber dann angeblafft, dass er ruhig mit mir reden dürfe, das sei mein bike und mein problem und ich würde auch versprechen, ihn nicht zu beißen.
    es folgten erst mal 10 sekunden fassungsloses schweigen (schrauber), 30 min beleidigt-sein (der begleiter), erheiterung meinerseits angesichts der gesichter der beiden – und anschließend eine wirklich produktive + nette zusammenarbeit mit dem schrauber.

    aber diese komischen stereotypen rennen einen wirklich dauernd über den haufen, wenn man nicht mainstream ist.

    übrigens: dein blog ist richtig klasse! danke vor allem für die vielenvielen anregungen zum nachdenken.

    herzliche grüße – und „ich komme wieder!“ ;o)

    frau hühnerschreck

  17. Danke, Frau Hühnerschreck, bis bald dann. 🙂
    Übrigens, die Geschichte in der Werkstatt ist ja bizarr!

  18. Stereotypen schleichen sich also überall ein.. auch in der Heterowelt 😉 Hier schwankt es immer zwischen – oh, du bist mit einer Frau zusammen, das hätte ich jetzt garnicht gedacht, bis hin zu – naja, du hast ja kurze haare, das ist ja dann eh klar….
    Mit ein bisschen Offenheit & weniger Schubladen wäre der Welt viel geholfen 😉

  19. also das mit dem „selbstbezogen sein “ stimmt schon, denke ich.
    Ich habe mir ja einerseits angewöhnt, ein paar Gebärdensprachebrocken im gespräch einfliessen zu lassen, damit meine Schwerhörigkeit nicht vergessen wird. Die leute stutzen dann erstmal, aber meist ist es kein Problem. Jetzt wo ich über 50Jahre bin,fällt mir allerdings auf, dass ich mehr Mühe habe, dass es mich mehr anstrengt, längeren Gesprächen,Predigten oder Vorträgen ohne Dolmi oder Schriftdolmetscher zu folgen. Mein Mann ist Spastiker,hat also auch mit der Sprache Probleme,verstanden zu werden, da ist er mir meistens keine Hilfe,wenn ich nichts verstehe. Insofern ist natürlich das Internet ein prma Medium, weil ich hier keine Probleme habe mit dem Lesen oder schreiben, was mir die Ohren quasi ersetzt.
    Dass ich anderen vom Mund absehen muss, hat eigentlich noch niemanden gestört, wenn ich es erklärt habe.
    Aber manchmal höre ich was anderes, als Teddymän sagt, dann gibt es auch mal einen Lacher. 🙂
    Grüssele Dorena

  20. Der Austausch im Internet kann insofern sein wie Luftholen, das finde ich auch. : )

  21. Leider ist diese ganze Diskussion ebenfalls stereotypisch.
    Die Rollenverteilung wird gewollt beobachtet und mit Scheuklappen diskutiert. Das hat was von „selbstbestätigender Prophezeiung“ oder „wer sucht, der findet“.
    Mir geht es auch oft so, ich trinke gern Weinschorle und meine Freundinnen eher das harte Zeug, das dann erst mir (ohne fragenden Blick) hingestellt wird. Ich finde, man muss sich hinein versetzen in die Situation der anderen. So bemerkt jeder schnell, dass meist nicht die Stereotype, sondern die Höflichkeit und Diskretion der Grund ist. Es gilt als unhöflich, der Frau das harte Zeug hinzustellen. Man kann es ja grinsend tauschen, wenn es falsch aufgestellt wurde. Genauso ist es indiskret sich einem fremden Pärchen zu nähern und dann die Frau anzuquatschen. Hier ist das Problem nicht der sich annähernde, sondern der männliche Partner, der irritiert wäre. Eine freundliche Annäherung wäre dann behindert. VG.

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