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Dornröschens Sündenbock

Das Tolle an Kindern ist ja, dass man selber nochmal ein bißchen Kind sein kann. Zum Beispiel wenn man auf dem Weg zum See auf dem Beifahrersitz lungert und die gute Freundin hinten der Tochter Märchen vorliest. Hach, denkt man da, kauert sich zusammen und ein paar von den Gefühlen von damals klettern hoch, als einem selbst vorgelesen wurde.

Es ist das erste Mal, dass ich mich über Stau freue. Denn nun sind die Fahrgeräusche weg und ich muss mir vom Vordersitz aus nicht mehr den Kopf verdrehen um zu verstehen. Ich höre allerdings auch immer mehr Sätze, an die ich mich nun gar nicht erinnern kann — und merke, dass wir eine modernisierte Fassung zu hören bekommen, die aus dem Moewig Verlag von María de Calonje, Julian Jordan und Eva Lopez übrigens.

Ist schon klar, Märchen sind mitunter brutal. Aber ist es wirklich so schlimm, wenn das Königspaar die 13. Fee einfach nicht einlädt, weil nun mal nur zwölf goldene Teller da sind? Muss sie stattdessen unbedingt unerreichbar gewesen sein und die Einladung nicht erhalten haben? Muss unbedingt der Koch wegfallen und der Küchenjunge, dem er gerade eine wischt, obwohl diese beiden eines der schönsten Bilder beim Plötzlich-in-den-Schlaf-Fallen-und-100-Jahre-später-wieder-Aufwachen sind? Ganz zu schweigen davon, dass nebenbei einer mit Siebenmeilenstiefeln nach der guten Fee geschickt wird!

Und, liebe Modernisierer, alle Erklärungswut in Ehren — aber es gibt nun wirklich gar keinen Grund, ausgerechnet die Tauben zum Sündenbock zu machen:

Oder wie seht Ihr das?

Ich habe gerade die Hausmärchen der Gebrüder Grimm nochmal aus dem Regal geholt und mich in den Fassungen sofort festgelesen. Beim Herrn Gevatter, hab ich geschaudert, bei den sechs Schwänen gebangt.  Jetzt kommt: Die zertanzten Schuhe….

Weckkontakt: Man soll nicht von sich selbst auf andere schließen!

Also, ich werde ja am liebsten am Bein geweckt. Da Schwerhörigkeit und Ertaubung es mit sich bringen, dass man aus der Entfernung nur mit grellem Licht geweckt werden kann, ist auch kein sanftes Rufen in die morgendliche Realität mehr möglich — es ist Anfassen angesagt. Und Rucken. Oder Schütteln. Ob nun durch Wecker oder Personen. Wurfgeschosse lassen wir mal außen vor.

Aus dem Schlaf gerissen werden, weil’s am Körper irgendwo heftig wackelt, ist extrem. Das ist gleich so dicht an mir dran, ich wache mit Kampf- oder Fluchtreflex auf. Darum ist’s mir deutlich lieber, am Bein geweckt zu werden als an der Schulter oder am Arm. Das ist gefühlt weit weg und die Störung kann notfalls weggetreten werden.

Dass diese Vorliebe indezent sein kann, lernte ich gerade an einer schlafenden Pendlerin im Zug. Sie war so ungünstig eingeschlafen, dass ich nicht an meinen Sitz kam. Im Minirock. Und erst kurz vor Abschluss fiel mir auf, dass es vielleicht doch nicht so gut kommt, eine fremde Frau am Bein zu begrapschen während sie schläft. Mit einem Lächeln begrüßte sie mich trotzdem nicht.

Soll mal einer verstehen…

Besser als angeklebte Etiketten: Postmodern Hören

my ability to hear depends a lot on what I’m listening to

Das sagt Kim und ich fand es extrem gut gesagt: Wie gut oder schlecht, viel oder wenig ich höre, hängt ganz davon ab wem oder was ich zuhöre. Das ist so ein Satz, der kommt ganz unauffällig daher. Doch je mehr man drüber nachdenkt, umso mehr entfaltet er sich.

Ich finde das eine wahnsinnig wichtige Wahrheit über Hörprobleme.  Es ist da ganz wie beim Reden über Behinderung:  Man muss eigentlich immer dazusagen, in Bezug worauf und in welchen Situationen. Alles andere sind nur verkürzte bis verfälschende Labels für Menschen. Es sind nur angeklebte Etiketten. Egal ob man so über andere spricht — oder über sich selbst.

Philosophie über die Feiertage: Die Welt gesehen — und gehört

Trotz allem: Auch nur ein bißchen Geräusche aus der Umwelt wahrnehmen ist SO fundamental anders als taub oder gehörlos zu sein. Für mich ist es auch fundamental besser — denn wie mog sagt, environmental noises feed the soul — aber das muss für niemand sonst gelten. Ich bin dafür gerade einfach besonders sensibilisiert, weil ich eben aus der Phase der Taubheit komme, das Initiationsritual des elektrischen Hörens im Anschluss an die OP.

Ich kann Euch auch genau sagen, warum es so anders ist: Weil man per Hören ganz unmittelbar in der Welt ist. Man ist einfach — und von überall her um einen herum strömen die Eindrücke auf einen ein, ohne dass man dafür irgendetwas tun müßte. Wie beim Riechen ist man einfach mittendrin, in ihrem Zentrum. Man kann sich gar nicht helfen. Zwei Ohren vorausgesetzt, jedenfalls.

Ganz anders z.B. per Sehen, für mich der wichtigste Ersatz fürs Hören. Sehend tut sich die Welt vor einem auf. Man ist nicht mittendrin, sondern immer an einem ihrer Enden. Das Sehen positioniert einen unweigerlich am Rand. Erst wenn man sich bewegt und den Kopf dreht, kann man — vermittelt — ein Bild der Welt zusammensetzen, in der man ist.

Wer hätte gedacht, dass der alte Mann so viel Blut in sich hatte

Ich jedenfalls nicht. Ich wußte natürlich, dass es nicht ganz einfach wird. Aber ich hätte nicht gedacht, dass mich das alles so fertig macht. Ich stecke im Nirgendwo, habe etwas getan, dass ich nicht rückgängig machen kann. Und was ich mir davon versprochen habe, liegt ungewiß in der Ferne.

Der Computer wohnt nun in seinem aus Schädelknochen gefrästen Bett, die Elektrode bohrt sich in mein Innenohr. Hinter dem Ohr seh ich aus wie eine gerissene Hose, die jemand wieder geflickt hat.

Und wer hätte gedacht, dass nach unten noch so viel Raum ist, beim Hören? Dass das Wenige, was ich hörte, doch so viel war? Ich jedenfalls nicht. Ich kann mir so heftig vor dem Ohr schnippen, dass es schon in den Fingern weh tut. Ankommen tut trotzdem nichts, aber auch gar nichts.  Ich föne mir die Haare und habe rechts ein doch recht lautes Brausen im Ohr. Links merke ich nicht mal, dass der Fön an ist. Ich schlage aus Versehen die Schranktür zu, so dass ich rechts etwas zusammenzucke. Links — nichts. Vor allem: Trotzdem tut es weh da, einfach von Eindringen der Schallwellen und weil noch irgendwie alles roh ist, vermute ich. Es ist furchterregend.

Man sagte mir: Geduld. Das komme häufiger vor, dass man auch nach ganz vorsichtiger OP erstmal nichts mehr hören könne, das dann aber weitgehend wiederkomme. Na hoffen wir’s. Irgendwie hab ich aber ein schlechtes Gefühl dabei. Es fühlt sich so weg an.

Ich will nach vorne sehen. Aber mir wankt der Boden unter den Füßen. Habe ich schon gesagt, dass ich heilfroh bin, noch ein anderes Ohr zu haben? Auf dem ich zwar sehr schlecht, aber wie ich gerade merke doch sehr viel höre? Ich glaube ohne würde ich jetzt stürzen.

Kant, nicht Keller. Oder?

Nicht Sehen trennt von den Dingen. Nicht Hören von den Menschen

Ein Spruch, der in fast jedem Buch und Artikel über Schwerhörigkeit, Ertaubung und Gehörlosigkeit vorkommt und der meist Helen Keller zugeschrieben wird — einer Taubblinden, die es ja wissen muss.

Dabei scheint der Spruch ursprünglich von Kant zu sein, dem Philosophen, der sein Leben fast ausschließlich in Königsberg verbrachte, was seiner Philisophie oft von naseweisen Erstsemestern zum Vorwurf gemacht wird. Hahaha, der habe doch von der Welt nichts gesehen und dann so einen Anspruch!

Ist es nicht interessant, dass der allgemein zustimmungsfähige Spruch über Taubheit und Blindheit von jemand zu sein scheint, der selbst kein besonderes Problem mit hören und sehen hatte?

Der Mann muss wirklich außergewöhnliche Vorstellungsgabe gehabt haben. Gut, okay, wir reden hier über Kant, stimmt…. Allerdings habe ich nirgends eine Quellenangabe gefunden, hat irgendjemand eine?

Taub im Job, trotzdem erfolgreich, Tipp #4: Beeinflusse die Sitzordnungen

Hätte ich nur einen einzigen Wunsch frei, um mein Leben als Schwerhöriger im Berufsleben zu verbessern — ich würde sagen: Ich will die Kontrolle über die Sitzordnungen. Denn die sind wohl das einfachste Mittel mit der größten Wirkung.

Wenn etwa zwischen allen Anwesenden zu großer Abstand herrscht, wichtige oder gar alle Redner auf der Seite mit dem schlechteren Ohr sitzen oder mitten im Gegenlicht vor einem Fenster, dann wird das Verstehen mühsam bis unmöglich. Ideal ist, wenn der Schwerhörige sich im Raum dorthin setzen kann wo er oder sie will — und dann alle anderen entsprechend platziert werden.

Wie genau „entsprechend“ geht, kann ich hier nur für mich sagen, denn jede Schwerhörigkeit ist anders. Für mich am besten ist: In der Mitte des Tisches bzw. ein bißchen in die eine oder andere Richtung versetzt, wenn dort Personen sitzen, von denen wichtige Beiträge erwartet werden (Kunden, Berater, Lehrpersonen, etc.). Die will ich halbrechts von mir haben. Nur halbrechts, damit ich mir nicht den Kopf verrenken muss um sie anzusehen. Manchmal setze ich mich auch mit dem schechten Ohr dicht an eine wichtige Person und lasse das gute ‚den Raum überwachen‘. Ich bin außerdem als jemand bekannt, der Leute bittet, doch ein bißchen zusammenzurücken, wenn sie sich gar zu sehr in alle vier Ecken des Raumes verteilen. Bei Vorträgen gehe ich in die erste Reihe, manchmal auch in die zweite oder dritte, wenn von dort aus die Sicht angenehmer ist. Und ich setze mich nie in die Mitte des Raumes, sondern immer ein wenig seitlich an den Rand, möglichst mit einer Wand im Rücken. Wegen des Halls.

Meiner Erfahrung nach sind die meisten Menschen, schnell bereit sich entsprechend zu setzen — wenn man ihnen die Sache vorher nett und nicht auf den letzten Drücker erklärt (siehe dazu Tipp #2) .Wenn Hierarchie freie Platzwahl nicht zuläßt, kann man meist immer noch die gesamte Runde ‚um den Tisch drehen‘. Oder über die Kontrolle des Mobiliars Verbesserungen erreichen (Tische umstellen oder anders anordnen). Oder wie seht Ihr das?

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Die Kritik an der gehörlosen Politikerin Helene Jarmer: Naives Verständnis von Politik — und Autofahren

Wenn’s um die österreichische Abgeordnete Helene Jarmer geht, heißt es schnell: Ohne Gehör könne man kein Politiker sein (zuletzt hier, in den Kommentaren zu: Gehörlos im Parlament: „Tu einfach so als könntest Du hören“, Die Presse, 4.7.2009). <Der Artikel ist seit 6.7. 18:30 nicht erreichbar> <Ist wieder da.> Das offenbart ein vielleicht ehrenwertes, in jedem Fall aber naives Politikverständnis. Und vom Autofahren noch dazu. Letztlich geht es ausschließlich darum, ob man schwerhörige oder gehörlose Abgeordnete zulässt oder draußenhält — was leider einfach möglich ist. Ich erläutere das mal anhand der Kommentare zu dem oben verlinkten Artikel.

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Taub im Job, trotzdem erfolgreich, Tipp #3: Selbstvermarktung und das erfolgreiche Bewerbungsgespräch

Wie soll man sich als Schwerhöriger oder Ertaubter beruflich verkaufen?  Natürlich ist es schwierig, hier Tipps zu geben ohne auf die jeweilige Kombination aus Person, Behinderung und Job einzugehen. Ich versuche es trotzdem mal. Dabei greife ich auf meine Erfahrung im Umgang mit meiner Behinderung zurück — eigene Vorstellungsgespräche und Berufserfahrung sowie Unterhaltungen mit Leuten aus unterschiedlichsten Positionen und Branchen, von Wissenschaft über Film und Fernsehen bis Unternehmensberatung.

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Not quite like Beethoven in Amerika: Zimmersuche in schwerhörig

Bißchen Aufregung vor dem Sprung ins Ungewisse ist ja normal. Aber so mit ohne Hören ist es auch praktisch gar nicht so einfach, sich aus dem gewohnten Umfeld herauszubewegen. Als ich letzten Spätsommer nach Boston Cambridge umgezogen bin hab ich das wieder zu spüren bekommen. Zum Beispiel Zimmer- bzw. WG-Suchen.

Früher habe ich dann so gut es eben ging telefoniert. Aber das hat mir so extrem viel Anspannung und Aufregung verursacht — und trotzdem oft genug nicht geklappt. Kein guter Einstieg ins Kennenlernen, wenn man das Gespräch mittendrin abbrechen muss: „Tschuldige aber — es geht einfach nicht.“ Vor allem wenn man wie beim Wohnungssuchen im Wettbewerb steht.

Inzwischen telefoniere ich nicht mehr, insofern könnte man sagen: Gut so, weniger Stress. Aber mach mal Zimmersuchen ohne  telefonieren! Gar nicht so einfach.

Immer noch hat nicht jedes Inserat eine Email Adresse angegeben — die weitaus meisten Leute stehen immer noch auf Telefon. Und selbst wenn, dann muss man zumindest sehr viel mehr Zeit einplanen, weil man nicht am Telefon abklären kann ob’s sich überhaupt lohnt hinzufahren. Wenn man denn per Email überhaupt noch einen Termin bekommen hat, weil alle, die anrufen, so viel schneller sind. SMS geht auch nicht gut, da müssten ja die anderen auch noch zahlen. Und das will kaum einer.

Noch schlimmer ist’s wenn man nicht mal vor Ort ist, bis man schließlich mit den Koffern ankommt. Und kein Geld hat, sich zwischendrin fürs Wohnungssuchen im Hotel einzuquartieren. Denn dann fällt Vorbeigehen gleich ganz aus — und die meisten Leute wollen telefonieren um sich besser ein Bild machen zu können. Ironisch, was?!

Ich kann nur sagen: Ich habe mich geradezu erlöst gefühlt, als ich schließlich ein Zimmer bei einer Freundin von nem Freund von nem Freund von mir angeboten bekommen habe. Weil Vertrauen kein Problem war, ging das ganz unproblematisch per Email und Chat.

Ich hab jetzt schon großen Horror vor dem nächsten Umziehen — was sicher nicht allzu lange auf sich warten läßt.

Heilende Hände und Schmetterlinge: Ich glaub ich brauch auch ein Symbol!

Gerade hab ich einen sehr schönen Eintrag über Sinnbilder und Symbole für Taubheit und Ertaubung gelesen. Bei Kim, die schreibt das lesenswerte Blog Face me, I read lips. Unbedingt mal reinlesen in den Beitrag! Da das auf Englisch ist und ich gar nicht so genau weiß, wie gut meine Leserschaft Englisch kann, hier eine sehr selektive Zusammenfassung auf Deutsch:

Stamp Spiral HandDas links nennt sie „heilende Hand“. Die heißt so, weil sie die gebrochene Seele Ertaubter heilen kann. Sie kann ganz breit helfende Hände symbolisieren, besonders aber die von selbstbewußten Ertaubten/Gehörlosen. Denn es geht natürlich auch um Gebärdensprache. Es ist die Hand, die weggefallene Kommunikationskanäle ersetzt.

Update: Ich habe gestern unterschlagen, dass die Hand „Kokopellis Hand“ heißt, weil ich nicht wußte wer das ist. Jetzt hat mir die Bloggerin erklärt, dass Kokopelli eine gottähnliche Figur aus der Mythologie der Südwestamerikanischen Natives ist. Bei den Zuni, Hopi und Pueblo steht sie für geistige Heilung und Freundschaft.

Butterfly PinDas da rechts sind auch Hände, vor allem aber: ein Schmetterling. Der symbolisiert eine Transformation. Wer Ertaubung erleidet, mag sich zunächst zurückziehen, Kontakt abbrechen, trauern. Sich verpuppen eben. Wenn das vorbei ist, dann hat man sich verändert. Und dann kann eine ganz andere Person zum Vorschein kommen, quasi der selbstbewußte, stolze Taubenschmetterling. Außerdem können Schmetterlinge nicht hören.

Na, wie findet Ihr das?

Der Wahnsinn: Telefonieren mit Live-Untertiteln!

Telefonieren ist der Horror für Schwerhörige! So unglaublich anstrengend und voller Mißverständnisse, ich lasse es inzwischen schweren Herzens ganz. Auch privat, von geschäftlich ganz zu schweigen. Wie oft hab ich mir Untertitelung dafür gewünscht – und jetzt stell ich fest, dass es das doch tatsächlich schon gibt! In Echtzeit. Kostenlos. Und wenn Du eins hast, sogar auf dem iPhone. Wirklich Wahnsinn!

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Taub im Job, trotzdem erfolgreich, Tipp #2: Offen sein, es nicht alleine versuchen, Initiative ergreifen

Ich glaube,  der folgenreichste Irrtum über Schwerhörigkeit/Taubheit ist, dass sie nur einen alleine betrifft. Hab ich früher selber mal gedacht, stimmt aber nicht. Hörbehinderung betrifft die Kommunikation. Und damit immer auch andere. Egal ob in der Familie, unter Freunden — oder im Job unter Normalhörenden.

Darum ist dies ein ganz, ganz grundsätzlicher Tipp: Von Anfang an offen sein, es nicht alleine versuchen und die Initiative ergreifen! Selbst habe ich mich damit lange sehr schwer getan. Zum Teil weil ich mir selbst, dem Chef und den Kollegen nicht eingestehen wollte, dass ich bei bestimmten Dingen (wo es um Kommunikation geht) möglicherweise Probleme habe. Und weil ich niemandem zur Last fallen und die Abläufe stören wollte. Ich dachte, da gibt’s nur Ärger, wenn ich das mache. Aber ich habe viel Lehrgeld bezahlt. Denn wenn es Probleme gibt, sind auch andere davon betroffen. Und wenn es schnell gehen muss, ist keine Zeit mehr.

Außerdem habe ich festgestellt: Es kommt viel souveräner rüber, einfach zu sagen: „Hier könnte es Probleme geben. Aber das macht nichts, denn so und so können wir sie meistern.“

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Was gar nicht geht: Im Dunkeln nebeneinander liegen und reden

Im Dunkeln - Foto: Not quite like Beethoven, all rights reserved :-)

Nein. Das geht nun wirklich gar nicht. Leider! Das fand ich früher schon auf Klassenfahrten schrecklich schade. Da bin ich immer als erster eingeschlafen, während die anderen noch stundenlang gequatscht haben. Es ist mit der Liebe nicht besser geworden. Und am Schlimmsten ist es, wenn man extra wohin gefahren ist, um den Sternenhimmel anzugucken und im Auto zu knutschen. Es sich aber alles gar nicht gut anfühlt, weil nichts sehen und nichts verstehen verflixt unsicher macht. Und man darum recht schnell wieder zurückfährt Verdammt!

Wer noch nicht weiß, worum’s geht, klicke hier. Oder hier.

Die Wahrheit liegt im Tun

It’s good that you don’t hear in words or think only in words. This way you don’t hear only lies. You see by actions what the truth is. And you tell your own truth by action.

Echos Vater zu seiner kleinen, gehörlosen Tochter

Das ist ja unheimlich mit Dir! Schwerhörigkeit und die anderen Sinne

Neulich habe ich gesagt, schwerhörig Sein schaffe Platz im Kopf — leere Ecken, für Schränke zum Beispiel. Daraufhin habe ich einige mißbiligende Emails gekriegt. Und es war ja auch arg platt, das Bild. Jetzt aber mal im Ernst:

Diese räumliche Kästchenmetaphorik stimmt vorne und hinten nicht. Schwerhörig und selbst Taubsein, ist nicht nur ein Loch. Es bedeutet einen ganz anderen Zugang zur Welt, ein ganz anderes In-der-Welt-Sein. Weil das so ist, hört man ja auch mit Hörgeräten nicht „wieder gut“.

Wenn man einen Sinn verliere, hört man oft, würden die anderen schärfer. Das Beispiel sind meist Blinde und ihr Hören. Aber zumindest in meinem Fall ist es nicht ganz richtig. Und ich würde vermuten, dass das auch bei Blindheit so ist. Ich kann schon gut riechen und schmecken, sicher auch besser als manche andere. Jedenfalls wenn ich mir so anschaue was erstaunlich viele Leute klaglos essen oder wie sie sich in AfterShave baden. Aber ich glaube nicht außerordentlich gut. Und ich kann auch nicht schärfer sehen. Ganz im Gegenteil, ich bin etwas kurzsichtig.

Allerdings: Ich kann Leute lesen. Ich bin schon aufgestanden, zu Freunden auf der Nachbarbank rübergegangen und habe sie aufgefangen, weil ich gesehen hatte, dass sie gleich ohnmächtig werden würden. Meins ist ein ganz feines Gefühl dafür, wie Leute so drauf sind, wie es ihnen geht und in welcher Stimmung sie gerade sind. Ganz unwillkürlich schau ich sie mir sehr genau an. Was sie tun, wie sie sich halten, wie sie sitzen, wie sie lachen. Ich sehe die kleinen Anzeichen, wie sie aus ihrem Körper heraus und in die Welt hinein schauen. Und wie sie auf das reagieren, was ihnen dort so passiert. Ängstlich, mürrisch, beleidigt. Oder ruhig, offen und neugierig. Sind sie glücklich?

All das will ja nicht jeder unbedingt immer zeigen. Darum hab ich mir auch schon anhören müssen, dass es ein bißchen unheimlich sei mit mir.

Woher kommt das? Ist es Übung? Ausgleichende Gottesgabe? Vielleicht von beidem ein bißchen…

„Let’s put in a cochlear implant“ — Dr. House schenkt Jungen das Gehör

Wer Dr. House guckt, weiß was einen erwartet: Scharfsinn, Wortwitz und Beleidigungen – kurz: unverschämt anstandslose Unterhaltung. Jetzt hat er in den USA Schwerhörige, Gehörlose und Cochlear-Implantierte gegen sich aufgebracht (klicke zum Überblick hier, siehe die Diskussion hier). Zu Recht?

Foto: jmb1977 (flickr.com CC-BY-SA 2.0)Meine Meinung nach dem Klick! Und die darf man ruhig schon vor dem Gucken lesen. Denn House hat in der Folge eigentlich ganz andere Probleme als seinen gehörlosen Fall.

Wer nicht warten will bis die Folge im Herbst in Deutschland läuft, kann sie jetzt schon bei Hulu ansehen. Auf englisch und ganz legal. Mit Untertitel! Schlimmstenfalls sitzt dieser Eintrag jetzt einfach hier und wartet, bis ich ihn im Herbst wieder hochhole.

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Lippenlesen III: Mit Computer

An der Universität East Anglia arbeitet eine Forscherguppe an einem lippenlesenden Computersystem. Welche Möglichkeiten für Schwerhörige! Endlich Live-Untertitelung von allem! Aber auch: Welche Überwachungs- und Spionagemöglichkeiten!! Ob Herr Schäuble wohl interessiert ist?Foto: UEA

Ich bin interessiert, aber skeptisch, ob’s funktioniert. Aus einer aktuellen Meldung (cnet, gefunden via 11k2, hier schreibt die ORF darüber) geht nämlich gar nicht hervor, wie gut das System wirklich erkennt.

Das Besondere scheint zu sein, dass die Sprache erkannt werden kann. Das wiederum überrascht mich als alter Schwerhöriger gar nicht. Zu unterschiedlich ist das Mundbild von Deutschen, Amerikanern und Spaniern. Ich würde aus meiner Erfahrung sogar vermuten, dass einige Sprachen wesentlich leichter lippenzulesen sind als andere. Ich liebe z.B. Spanisch, aber leider wird da teilweise kaum was  mit den Lippen gemacht und nur die Zunge bewegt sich.

Dennoch: Ich würde vermuten, dass der Vorteil des Computers wie schon beim Schachspielen in der blanken Rechenpower liegt. Darin, dass er viel längere Sequenzen von Bewegungen erkennen und merken kann. Und so das was nicht gesehen werden kann, besser erschließen kann. Hab dem Forscher mal eine Email geschrieben und werde berichten, falls er antwortet. Was meint Ihr denn? Kann das funktionieren? Müssen wir so eine Form von Überwachung fürchten? Müssen wir uns jetzt alle auf Spanisch verschwören?

Schwerhörig, taub oder gehörlos? Drei Worte für Schwerhörige

Mal sollen sie vier, dann bis zu hundert Worte für Schnee haben, die Eskimos Inuit. Genaugenommen ist das aber eine Mischung aus Ente und stille-Post-Effekt (siehe The Great Eskimo Vocabulary Hoax und wikipedia).  Schade eigentlich.

Für Leute mit Hörproblemen gibt’s drei wichtige Worte. Bisher waren mir die damit verbundenen Spitzfindigkeiten eher Wurscht. Doch Not quite like Beethoven gewinnt jetzt so langsam an Popularität. (Vielen Dank an alle, die mich empfohlen (klick, klick und klick), geherzt (klick) oder in ihre Blogroll aufgenommen haben (klick und klick)!) Außerdem ist die Sache nicht ganz unpolitisch. Darum hier ein kleiner Führer durch die korrekte Nomenklatur:

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The Art of Waking

Aufwachen und Arbeiten gehen, wenn der Körper, diese weise Sau, eigentlich noch weiterschlafen würde. Schon lange mein Problem. Das haben ja andere auch. Um aber meinen süßen Schlaf zu beenden, braucht es schweres Gerät.

Zunächst wurden die Wecker immer lauter – und meine Mitbewohner immer genervter. Denn schon nach kurzer Zeit hatte ich mich an das neue Geräusch gewöhnt und konnte wunderbar weiterschlafen. Zuletzt hatte ich einen Radiowecker auf voller Lautstärke, den ich bewußt zwischen alle Stationen eingestellt hatte. Das war was!

Inzwischen sind meine Wecker wieder leise geworden, sie vibrieren, rütteln und schütteln sich unter meinem Kopfkissen. Sowas hier meine ich. Wie ein Handy auf Vibrationsalarm, aber stärker und – wie soll ich sagen – aufgedrehter. Das Ding ist ziemlich zuverlässig. Sobald es losgeht bin ich wach und habe nur einen Gedanken: Aufhören! Wegmachen!  Die meisten Handies brummeln ja eher sanft, dies ist ähnlich wie ein Preßlufthammer, den jemand netterweise in ein Handtuch gewickelt hat.

Aber was soll ich sagen; man gewöhnt sich an alles. Nur wenn jemand mein Bett teilt, darf ich nicht vergessen, darauf hinzuweisen. Sonst ist am nächsten Morgen aber fröhliches Aufwachen garantiert.

Gebrauchsanweisung für Schwerhörige #2: Ruf! mich! an!

Wie macht man’s Schwerhörigen leichter und das Gespräch erfolgreich?  11 Regeln von denen auch Andere profitieren.

Regel Nummer 2: Ruf! mich! an!

Nein. Nicht wie Du denkst. Ohne Telefon. Ich bin ständig unglaublich beschäftigt. Sieht vielleicht nicht immer so aus, ist aber so. Darum mußt Du erst einmal meine Aufmerksamkeit erlangen.  Das geht am besten indem Du meinen Namen sagst.  Je nachdem wie gut Du mich kennst und wie die Situation es erlaubt, darfst Du mich auch berühren. Bin ich zu weit weg oder hilft alles Namensagen nichts, probier’s mal mit Glas Zerdeppern oder heftig auf den Boden Stampfen. Schaue ich Dich dann an – kannst Du loslegen.

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