Zugegeben: Man soll ein Ereignis nicht nach den oberflächlichsten Berichten darüber beurteilen. Doch andere habe ich nicht gesehen über die Expertendiskussion von o2 über Telekommunikation und digitale Integration Behinderter. Alle scheinen aus derselben Pressemitteilung abgeschrieben. Und da deutet nichts daraufhin, dass ich oder irgendjemand sonst etwas verpaßt hätte.
Ein paar schnippische Bemerkungen beim Lesen (kursiv von mir, der Rest zitiert oder paraphrasiert aus der Meldung bei Portel.de, einem „Portal für den deutschen Telekommunikationsmarkt“):
Portel berichtet und hebt den Satz „Barrierefreiheit sollte eigentlich Standard sein“ in die Überschrift. Gesagt wurde er von einer Vertreterin eines Behindertenverbandes.
Ich bin von den Socken! Kann es einen allgemein zustimmungsfähigeren und zugleich zu weniger verpflichtenden Aufruf geben? Na gut, man will ja als Behinderte keinesfalls jemand auf die Füße treten oder etwa fordernd erscheinen, richtig?
Außerdem: Wenn DAS das Resümee oder prägnantester Satz dieser Expertendiskussion gewesen sein sollte, war sie ja wohl für die Tonne! Um sich denken zu können, dass Behinderte das finden, braucht man doch keinen Verbandsvertreter zu fragen. Vor allem nachdem zuvor ein monatelanges Online-Forum lief, in dem Gleichsinniges schon mehr als einmal gesagt wurde.
Das Fazit aus der vorhergehenden Online-Debatte sei Folgendes (und ich nehme mal an, da wird die Auswertung für o2 zitiert): „Die Teilnehmer waren sich über das hohe Potenzial moderner Technologien grundsätzlich einig. Entscheidend für die tatsächliche Nutzbarkeit seien allerdings die Anwenderfreundlichkeit der Produkte und Dienste sowie die Haltung der Anbieter gegenüber behinderten Menschen.“
Oha. Viele Leute meinen, Anwenderfreundlichkeit entscheidet über ihre Nutzbarkeit? Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Vor allem nicht vor Beginn des Online-Forums, wirklich nicht. Dass Potential da ist, aber auch genutzt werden muss, war außerdem Ausgangspunkt der ganzen Unternehmung. Also Fazit: Null Ertrag?
Eine Professorin für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik habe darauf aufmerksam gemacht, dass durch den demografischen Wandel immer mehr Menschen betroffen sein werden. „Ab einem Alter von 80 sind hundert Prozent der Menschen mehr oder weniger schwerhörig.“ Sie wies auch darauf hin: „Die Technik kann zwar helfen, aber sie kann den zwischenmenschlichen Kontakt nicht ersetzen. Daher brauchen wir beides.“
Es gibt immer mehr Alte und Alte tendieren zur Schwerhörigkeit. Wieder so ein Kracher, auf den ich nie gekommen wäre. O2 sicher auch nicht, wenn sich irgendein beliebiger Angestellter mal 10 Minuten Gedanken gemacht hätte. Dazu brauchte man auf jeden Fall Experten! Und wer hat denn bloß gefordert, dass Technik den zwischenmenschlichen Kontakt ersetzen solle? Ging es nicht erstmal darum überhaupt für Nutzbarkeit und digitale Integration zu sorgen?
Hat das Publikum auch etwas gesagt? Dem Bericht zufolge ja: „Es ist einmalig, dass o2 heute Abend Hörende und Gehörlose zusammengebracht hat“
Sehr schön, freut mich. Aber was war nochmal der Zweck der Veranstaltung?
Und was macht eigentlich O2 jetzt? Laut Bericht von portel.de fasste der Vertreter von O2 fasst zusammen: „In Deutschland leben circa 800.000 Menschen mit Sinnesbehinderung. Mit der Entwicklung barrierefreier Produkte und speziell zugeschnittener Services können wir zu deren digitaler Integration beitragen. Die heutige Diskussion gab wichtige Impulse für die fortlaufende Zusammenarbeit mit dieser Kundengruppe.“
Ich freue mich immer, wenn jemand der Meinung ist, Impulse bekommen zu haben. Mag ich. Ich hoffe aber, die impulsgebenden Teile der Veranstaltung haben sich vor der Pressemitteilung versteckt. Sonst wäre das nicht so schmeichelhaft für den Begeisterten.
Wenn ich bedenke, dass ich ernsthaft überlegt habe, dort hin zu fahren. Ich meine, wenn das alles war, wer braucht dann solche Veranstaltungen? Ich weiß schon, dass das PR ist. Aber sowas braucht doch nicht einmal ernsthaft ein Konzern für seine Corporate-Social-Responsibility-Bilanz! Und mit solchen Pressemitteilungen ist auch niemand gedient.
[Nachtrag: Wie die Geschichte (vorerst) zu Ende ging, lest ihr hier.]