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Brauchen Kinder Puppen, die aussehen wie sie selbst?

Eine Männerfantasie. Mädchen bekommen verschwurbelte Rollenbilder, wenn nicht gleich das Ticket in die Magersucht.  Die Argumente gegen Barbie-Puppen sind bekannt.
Also wurden Barbies Maße „normaler“, es gibt ethnische Barbies. Wie Puppen aussehen hat also etwas mit der fürs Kind gewünschten Entwicklung und mit Vorstellungen von Normalität zu tun.

Aber sollten Kinder mit Down-Syndrom darum Puppen mit Down-Syndrom bekommen? Kinder, denen ein Arm fehlt, solche, denen ein Arm fehlt? Und solche mit Hörgerät oder CI eine, mit ebendiesen Gerätschaften hinterm Ohr?

Im amerikanischen Tauben-Forum bin ich drauf gestoßen: Puppen mit Cochlea Implantat. Zum Beispiel diese Seite.

Ich kann mir schon vorstellen, dass es z.B. sinnvoll sein kann, beim Arzt oder Akustiker so eine Puppe zu haben. Um bestimmte Dinge zu erklären oder generell die Situation spielerischer zu gestalten. Aber so für den Alltag, zum Spielen? Ich finde das komisch. Ich kann nicht recht benennen, was mich daran stört. Vielleicht, dass es so wirkt wie eine „Behindertenfamilie“, also eine, die auf Behinderung hin orientiert ist? Genausogut könnte man aber vielleicht auch sagen: Hey, das ist einfach nur extrem lässiger Umgang damit. Aber gut, ich konnte mit Puppen schon früher nicht viel anfagen und finde sie heute noch zuweilen sehr unheimlich.

Und, wie seht Ihr das so? Brauchen schwarze Kinder schwarze Puppen und behinderte Kinder behinderte Puppen?

Ich hab da was, was Du nicht siehst: Die Zwickmühle

Ich gehe einfach nicht gern mit meinen Problemen hausieren. Ich sage, was nötig ist, damit ich klarkomme. Also wie man mit mir reden muss und was alles sonst noch so in diesem Blog steht. Aber ich habe keinen Bock zu jammern. Darauf rumzureiten, was alles nicht geht. Wie anstrengend Hören oft für mich ist, so dass ich mehr Ruhe brauche als andere. Oder wieviel mehr Zeit ich brauche, weil ich bestimmte Dinge vorbereiten und nachbereiten muss. Das finde ich auch wichtig.

Denn ich achte lieber auf das Positive und rede lieber darüber. Außerdem will ich mir ja auch nicht in die Tasche lügen und alles mit der Schwerhörigkeit entschuldigen. Und es gibt leider genügend Leute, die mich nicht mehr für voll nehmen, wenn ich dauernd sage, dass ich andere Maßstäbe brauche, bestimmte Dinge nicht alleine hinbekomme oder nicht garantieren kann, dass sie klappen. Das kann auch ganz unbewußt geschehen: Schwupps, ist man bei denen im Kopf in einer anderen Schublade.

Leider aber kommt das Unthematisierte zurück und beißt mir in den Allerwertesten.

Ganz besonders natürlich im Lebenslauf. Denn das Ding wird erst rund durch die langsame Ertaubung, die Probleme, die sie mit sich bringt und die Lösungen, die ich dafür fand oder auch nicht. Wie sonst soll man die Knicke, lange Dauer und Lücken erklären? Aber man braucht sich gar nicht erst zu bewerben, es geschieht schon im Freundeskreis. Wenn ich nicht ständig dazu sage, wie schwer ich’s habe oder was nicht geht, dann vergessen die Leute es. Oder es war ihnen in irgendeiner neuen Weise nie so richtig klar. Und man steht halt mal wieder dumm, luschig oder irgendwie eigenartig da. Manchmal sogar vor sich selbst. Es ist zum Verrücktwerden. Egal wie man’s macht: Damned if you do, damned if you don’t — es ist eine Zwickmühle.

Mehrwert gleich null? o2s Expertendiskussion über Behinderte und die digitale Integration

Zugegeben: Man soll ein Ereignis nicht nach den oberflächlichsten Berichten darüber beurteilen. Doch andere habe ich nicht gesehen über die Expertendiskussion von o2 über Telekommunikation und digitale Integration Behinderter. Alle scheinen aus derselben Pressemitteilung abgeschrieben. Und da deutet nichts daraufhin, dass ich oder irgendjemand sonst etwas verpaßt hätte.

Ein paar schnippische Bemerkungen beim Lesen (kursiv von mir, der Rest zitiert oder paraphrasiert aus der Meldung bei Portel.de, einem „Portal für den deutschen Telekommunikationsmarkt“):

Portel berichtet und hebt den Satz „Barrierefreiheit sollte eigentlich Standard sein“  in die Überschrift. Gesagt wurde er von einer Vertreterin eines Behindertenverbandes.
Ich bin von den Socken! Kann es einen allgemein zustimmungsfähigeren und zugleich zu weniger verpflichtenden Aufruf geben? Na gut, man will ja als Behinderte keinesfalls jemand auf die Füße treten oder etwa fordernd erscheinen, richtig?
Außerdem: Wenn DAS das Resümee oder prägnantester Satz dieser Expertendiskussion gewesen sein sollte, war sie ja wohl für die Tonne! Um sich denken zu können, dass Behinderte das finden, braucht man doch keinen Verbandsvertreter  zu fragen. Vor allem nachdem zuvor ein monatelanges Online-Forum lief, in dem Gleichsinniges schon mehr als einmal gesagt wurde.

Das Fazit aus der vorhergehenden Online-Debatte sei Folgendes (und ich nehme mal an, da wird die Auswertung für o2 zitiert): „Die Teilnehmer waren sich über das hohe Potenzial moderner Technologien grundsätzlich einig. Entscheidend für die tatsächliche Nutzbarkeit seien allerdings die Anwenderfreundlichkeit der Produkte und Dienste sowie die Haltung der Anbieter gegenüber behinderten Menschen.“
Oha. Viele Leute meinen, Anwenderfreundlichkeit entscheidet über ihre Nutzbarkeit? Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Vor allem nicht vor Beginn des Online-Forums, wirklich nicht. Dass Potential da ist, aber auch genutzt werden muss, war außerdem Ausgangspunkt der ganzen Unternehmung. Also Fazit: Null Ertrag?

Eine Professorin für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik habe darauf aufmerksam gemacht, dass durch den demografischen Wandel immer mehr Menschen betroffen sein werden. „Ab einem Alter von 80 sind hundert Prozent der Menschen mehr oder weniger schwerhörig.“ Sie wies auch darauf hin: „Die Technik kann zwar helfen, aber sie kann den zwischenmenschlichen Kontakt nicht ersetzen. Daher brauchen wir beides.“
Es gibt immer mehr Alte und Alte tendieren zur Schwerhörigkeit. Wieder so ein Kracher, auf den ich nie gekommen wäre.  O2 sicher auch nicht, wenn sich irgendein beliebiger Angestellter mal 10 Minuten Gedanken gemacht hätte. Dazu brauchte man auf jeden Fall Experten! Und wer hat denn bloß gefordert, dass Technik den zwischenmenschlichen Kontakt ersetzen solle? Ging es nicht erstmal darum überhaupt für Nutzbarkeit und digitale Integration zu sorgen?

Hat das Publikum auch etwas gesagt? Dem Bericht zufolge ja: „Es ist einmalig, dass o2 heute Abend Hörende und Gehörlose zusammengebracht hat“
Sehr schön, freut mich. Aber was war nochmal der Zweck der Veranstaltung?

Und was macht eigentlich O2 jetzt? Laut Bericht von portel.de fasste der Vertreter von O2 fasst zusammen: „In Deutschland leben circa 800.000 Menschen mit Sinnesbehinderung. Mit der Entwicklung barrierefreier Produkte und speziell zugeschnittener Services können wir zu deren digitaler Integration beitragen. Die heutige Diskussion gab wichtige Impulse für die fortlaufende Zusammenarbeit mit dieser Kundengruppe.“
Ich freue mich immer, wenn jemand der Meinung ist, Impulse bekommen zu haben. Mag ich. Ich hoffe aber, die impulsgebenden Teile der Veranstaltung haben sich vor der Pressemitteilung versteckt. Sonst wäre das nicht so schmeichelhaft für den Begeisterten.

Wenn ich bedenke, dass ich ernsthaft überlegt habe, dort hin zu fahren. Ich meine, wenn das alles war, wer braucht dann solche Veranstaltungen? Ich weiß schon, dass das PR ist. Aber sowas braucht doch nicht einmal ernsthaft ein Konzern für seine Corporate-Social-Responsibility-Bilanz! Und mit solchen Pressemitteilungen ist auch niemand gedient.

[Nachtrag: Wie die Geschichte (vorerst) zu Ende ging, lest ihr hier.]

Heute in München: Expertendiskussion über Telekommunikation und digitale Integration Behinderter

Mehr zu wollen, liegt wohl in der Natur des Betroffenseins. Ich hatte ja schon mal beschrieben, wie zwiespältig ich die von o2 angestoßene, sogenannte Diskussion über Behinderte und Telekommunikation finde. Einerseits Lob für Telefónica o2 Germany, weil der Konzern das Thema aufgreift und sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Möglichkeiten moderner Telekommunikation barrierefrei zu gestalten.

Andererseits ärgert mich einfach, wenn PR-Veranstaltungen als Dialog verbrämt werden. Wenn unter dem Banner „Dialog“ Foren eingerichtet werden, in denen Leute einem Konzern ihre Zeit und Mühe schenken — und dabei ist von vornherein überhaupt nicht klar wozu das führen soll. Was man erwarten darf, kann, oder sollte, wenn man sich da beteiligt. Ich sehe diese Online-„Diskussion“ eher als eine äußerst kostengünstige Fokus-Gruppe denn als Dialog. Denn mit O2 konnte dort niemand sprechen. Einbahnstraße.
(Ich glaube nicht, dass Unternehmen immer und überall „Dialog“ führen sollten, schon gar nicht öffentlich. Aber dann muss man auch nicht behaupten, das zu tun.)

Wer sich für das Thema interessiert und morgen heute abend in München ist, kann vielleicht die dazugehörige Podiumsdiskussion besuchen. Ich würde selber hin, ist aber leider zu weit. Vielleicht mag jemand berichten?

Podiumsveranstaltung zur digitalen Integration von Menschen mit Behinderung:

„Brücke oder Graben; Der Beitrag der Telekommunikation für Menschen mit Behinderung?“

25. März 2010 von 18 bis 19:30 Uhr

mit anschließendem Get Together im O2 Tower, Georg-Brauchle-Ring 50, 80992 München

Auf der Veranstaltung wird auch das neulich schon mal erwähnte Verbavoice Live-Schriftdolmetschsystem zum Einsatz kommen.

Schwerhörig und gehörlos im Beruf: Gut informiert?

Bin gerade beeindruckt von talentplus.de, einer Info-Seite über Behinderung und Arbeitsleben. Das ist ein Angebot von Rehadat, einem vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. betriebenen Informationssystem zur beruflichen Rehabilitation. Sehr gut zusammengestellte Informations- und Linksammlungen über Hilfsangebote und finanzielle Förderung für den Job. Geht mal schauen!

Man kann sich allgemein über Formen der Hörbehinderung informieren, als Arbeitnehmer oder als Arbeitgeber.  Beide Seiten sind zwar nicht sehr unterschiedlich, aber immerhin. Und Selbständige müssen sich halt rauspicken was für sie paßt.

Ich hoffe ja, dass solche Angebote endlich dazu führen, dass (Hör-)Behinderte nicht immer nur die gleichen Jobs angeboten kriegen und ergreifen.

Da fällt mir ein: Ich wollte doch meine Serie Taub im Job, trotzdem erfolgreich endlich mal weiterschreiben…

Die Teilzeitbehinderung, oder: Es ist doch gar nicht so schlimm

Schmerz, Schmerz, Schmerz ist das einzige, was wirklich vorantreibt wenn die Sache nicht durch schiere Lust geschieht. Das dachte ich mir, in diesen letzten Tagen. In denen man ja öfters mal ein bißchen nach vorn und nach zurück denkt. Bei mir hieß das: An die Zeit kurz vor der großen Operation. Nachdem ich mich dazu entschieden hatte, einen Computer ins Innenohr einsetzen zu lassen — und bevor der point of no return durchschritten war. Als ich wieder begann zu zweifeln… Wie das war, das will ich Euch heute gern erzählen.

Es ist doch gar nicht so schlimm, dachte ich mir da. Es geht doch auch so mit der Schwerhörigkeit. Muss das wirklich sein? Erst ein paar Tage vorher hatte mich ein Abend höchster Anspannung und Peinlichkeit, verpaßter Chancen und vermurkster Selbstdarstellung wieder soweit getrieben, dass ich mir sicher war, das Richtige zu tun. Doch schon ein paar Tage später — schien alles wieder weg.

Ich schaute Gossip Girl und bildete mir ein, mehr zu verstehen als sonst. Ich saß in der Bahn und verstand, was eine Dame mit Sommersprossen im Ausschnitt vor mir in ihr Telefon sprach. Ich traf mich mit Freunden in einem Restaurant und es ging irgendwie. Die schlimmen Erfahrungen mit Nichthören und Nichtverstehen schienen so fern, meine Gründe für ein CI so abstrakt. Wirklich greifbar war mir nur die Abneigung, mir ein Gerät in den Kopf einpflanzen zu lassen.

Je näher der Termin rückte um so unruhiger wurde ich. Und umso rhythmischer meine Gedanken. Es ist doch gar nicht so schlimm. Es ist doch gar nicht so schlimm. Es ist doch gar nicht so schlimm. Es ist doch gar nicht so schlimm… Am liebsten hätte ich alles abgeblasen.

Es ist ja auch kein Wunder, dass ich dachte, es sei nicht so schlimm. Schlecht hören ist eine Teilzeitbehinderung. Wenn ich alleine bin, schreibe oder Körperliches wichtig wird, dann bin ich nicht behindert. Die schlimmen Momente verstecke ich die meiste Zeit über ja auch vor mir selber. Wie häufig habe ich etwa jemandem erklärt, wie schmerzvoll es sein kann, hochgradig schwerhörig zu sein. Und dann, wenn mein Gegenüber nichts zu antworten wußte und das Gespräch verstummte, einen Scherz angeschlossen, ein Lächeln oder eine Handbewegung, die zu verstehen gab, es sei alles nicht so schlimm. Und damit den anderen — aber auch mich selbst — vom Haken gelassen.

Die Operation, die mich zum Cyborg machte, war weder lebensnotwendig noch ein Ticket ins Glück. Alles grau in grau, statt klares schwarz oder weiß. Kein dauernder, unmittelbarer Schmerz. Das machte es so schwer, diese Entscheidung zu treffen und durchzuhalten. Anstatt einfach weiterzumachen wie bisher.

Netter Versuch, aber Dialog sieht anders aus! o2 und die Behinderten

Die Situation? Ausgrenzung durch Unterlassung würde ich sagen. Denn zwar verbinden Handy und Internet Menschen in noch vor 15 Jahren unvorstellbarer Weise.  Aber wenn sie Ton- und Sprachausgabe nicht hören, Schrift und Bild nicht sehen oder die gängigen Eingabegeräte nicht bedienen können, dann können Behinderte Sprach- und Datendienste in festen und mobilen Netzen nicht nutzen. Und an der Gemeinschaft und Produktivität, die  die Anwendungen moderner Telekommunikation stiften, nicht teilhaben. Auch speziell auf bestimmte Einschränkungen zugeschnittene Tarife oder Möglichkeiten, Kundenbetreuung und Support zu erreichen, gibt es in Deutschland soweit ich sehe nicht. Was alles machbar wäre, habe ich an einem wirklich vorbildlichen Beispiel aus den USA beschrieben.

Darum will ich zuerst mal Telefónica o2 Germany loben — weil sich der viertgrößte Mobilfunknetzbetreiber Deutschlands des Themas annimmt!

O2 will den Dialog mit Behinderten (und dabei wie es scheint besonders mit Schwerhörigen und Gehörlosen) sowie an Behinderung Interessierten aufnehmen. Dafür haben O2 und UPJ, ein Verein, der Unternehmen bei gemeinnützigen Aktivitäten unterstützt, extra eine Online-Plattform eingerichtet. Dort kann jedermann Beiträge einstellen und die anderer kommentieren. So möchte O2 von Problemen erfahren, die Behinderte zu bewältigen haben damit Internet und Telefon nutzbar sind und diskutieren, welche Chancen sich für sie ergeben könnten. Ich finde das grundsätzlich gut und möchte meine Leser ermutigen: Schaut Euch das mal an! Ich habe mich dort vorgestern nach einigem Zögern auch beteiligt.

Wer mich kennt, weiß aber, dass ich hellhörig werde, wenn sich Behörden oder Unternehmen Dialog auf die Fahnen schreiben. Denn was passiert hier? O2 lässt eine Frage ins Netz schreiben („Brücke oder Graben: Welchen Einfluss hat die moderne Telekommunikation auf die gesellschaftliche Integration von Menschen mit Behinderung?“) und wartet ab, was kommt. Währenddessen wird die Aktion schonmal als corporate responsibility verkauft.

„Diskutieren Sie mit!“ sagt O2. Aber von Diskussion ist zumindest nach einem Monat Laufzeit nicht viel zu sehen. Und das ist auch kein Wunder. Denn welchen Einfluss auf wen man sich durch die Beteiligung erhoffen darf, ist unklar. Da werden Erfahrungen und Überlegungen abgefragt, Betroffene und Interessierte setzen sich hin und schreiben. Sie antworten O2. O2 dagegen will es einfach nur wissen. Dialog und Diskussion meinen in diesem Fall Dialog und Diskussion ohne O2.

Am Ende des Diskussionszeitraums wird eine Zusammenfassung der Beiträge erstellt und zumeist auf Grundlage der Ergebnisse eine Veranstaltung mit weiteren Experten und Mulitiplikatoren zum jeweiligen Thema organisiert. Die Auswertung der Beiträge sowie der direkte Dialog im Rahmen der Veranstaltung eröffnen den Auftraggebern der Fragestellung die Möglichkeit, die Meinungen und Sichtweisen der Teilnehmer und Experten, in ihren internen Entscheidungsprozess zu entsprechenden Fragestellungen einzubeziehen. […] Alle Teilnehmer erhalten nach dem Ende der Diskussion eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse sowie auch einen Hinweis darauf, wie der Fragesteller diese in seinen Entscheidungsprozess einbeziehen wird. [Quelle]

Das heißt: In den „Dialog“, den man anstoßen möchte, steigt man selbst nicht ein. Mehr noch, O2 fragt gar nicht, was O2 tun könnte, sondern was „Politik, Wissenschaft, Behindertenverbände und Unternehmen“ tun könnten und sollten. Damit ist jeder und niemand direkt angesprochen. Indem man sich beteilige könne man, wie es hier heißt, „Einfluss auf gesellschaftlich relevante Themen nehmen.“ Geht es vielleicht noch bißchen breiter und unbestimmter?  O2 macht sich systematisch frei von jeder direkten Antwortpflicht.

Ich finde es grundsätzlich gut, dass sich ein Unternehmen wie O2 offen, ja wißbegierig zeigt. So wie es bisher läuft, ist mir allerdings der Nutzen für das Unternehmen, sich wißbegierig und offen zu zeigen deutlicher als der für diejenigen, die dem Unternehmen ihre Zeit und Mühe schenken. Den Kunden und der Zielgruppe, um die es hier angeblich gehen soll.

Dialog mit Kunden sieht anders aus. Aber im Unterschied zum als Vodafail bekannt gewordenen Versuch eines Mitbewerbers sehe ich hier einigermaßen gute Möglichkeiten, das Ganze zum besseren zu wenden. Thema und Zielgruppe sind definierter, und vielleicht bietet gerade die Unklarheit dessen was dabei herauskommen soll, eine Chance.

Ein Konzern sucht — jedenfalls nach eigener Aussage — den Dialog. Tun wir was dafür! Geht mal rüber , bildet Euch Eure Meinung und beteiligt Euch. Kritisch. Ich würde mir nur wünschen, dass sich auch O2 an seinem eigenen Dialog beteiligt, damit dieser den Namen auch verdient. Und bin wie immer auch hier an Euren Meinungen und Kommentaren interessiert.

[Nachtrag: Wie die Geschichte (vorerst) zu Ende ging, lest ihr hier.]

Das Leben findet jetzt statt

I think the reason why I do not lose weight is that I am afraid. If I lose weight and still no man finds me attractive then I have nothing to blame.

Ich weiß nicht mehr genau, wo ich diesen Spruch gehört oder gelesen habe. Aber ich finde die Logik, die jemand hier an sich selbst entdeckt, sehr spannend. Und sehr weit verbreitet. Ich denke, es gibt genügend Schwerhörige, die so ähnlich über sich selbst denken: Wenn ich nur normal hören könnte, dann… Ab und zu gehöre ich auch dazu. Denn Gelegenheiten so etwas zu denken, gibt es ja genug.

Und darum möchte ich mal kurz die Gelegenheit nutzen, eine Notiz an mich selbst festzuhalten (und das heißt in diesem Blog ja: für alle): Memento mori!

Okay, das heißt eigentlich Bedenke, dass Du sterben wirst,  aber was damit gemeint ist, ist in diesem Fall dasselbe: Mach es Dir nicht bequem hinter Deiner Behinderung (oder Deinem Körperumfang, Deinen zu kleinen oder zu großen Brüsten, Deinem immer nur schiefen Lächeln und Deinem Haarausfall oder…). Hoffe nicht auf bessere Tage. Das Leben findet jetzt statt. Alles was Du jetzt tust oder läßt, wird Dein Leben gewesen sein.

PS: Auf Deutsch steht da oben: Ich glaube, der Grund warum ich nicht abnehme ist, dass ich Angst habe. Wenn ich abnehme und mich dann immer noch kein Mensch attraktiv findet, dann habe ich nichts mehr, dem ich die Schuld geben kann.

Ausgenutzt und machtlos

Schlimm genug, die Kombination. Vor allem wenn das ganze wegen der Gedankenlosigkeit , nein das stimmt nicht, es ist Rücksichtslosigkeit anderer (aarrrrgh!) ist. Aber wenn dann noch die Schwerhörigkeit hineinspielt, so dass ich trotz mehrfachen Versuchens einfach keine Chance habe (NULL!), daran selber was zu ändern—

–dann ist das eine verdammt beschissene Situation für Freitagabend achtzehnuhrdreissig, wo eigentlich das schöne Wochenende und die gute Laune beginnen sollte. Zumal sich, wegen Schwerhörigkeit, an der Situation wohl erst ab Montag wieder was ändern läßt. Und ich trotzdem das Wochenende über drunter leiden werde.

Übrigens, das Stichwort ist Telefon.

Behinderung: Selbstverwirklichung nur ohne Hörgerät möglich?

Bin ich als Schwerhöriger oder Ertaubter nur halb der Mensch, der ich sein könnte, solange ich Medizintechnik nutze? Also Hörgeräte oder Cochlea Implantate (CIs)?

Darüber habe ich mich gerade überraschend mit der Bekannten einer Freundin gestritten. Überraschend deswegen, weil ich dachte, niemand würde diese Frage rundheraus mit „ja“ beantworten. Meine Gesprächspartnerin war jedoch der Ansicht, dass nur das Weglassen jeglicher Geräte und die Verwendung von Gebärdensprache als meine neue Muttersprache mich vollkommen befreien würde. (Die Unterhaltung fand auf Englisch statt, es ging um „self-actualization, also darum, das eigene Potential auszuschöpfen, was übrigens auch das Erkennen von Grenzen beinhaltet, sowohl persönlicher als auch gesellschaftlicher.)

Ich denke immer noch darüber nach, darum wollte ich hier ein bißchen was dazu schreiben. Würde mich freuen wenn Ihr reinschaut.

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Nervensägen I: Behindertengroupies

Ich weiß, wie schwierig es manchmal ist, ungezwungen mit Leuten umzugehen, die anders sind. Nicht zuletzt aus meinen eigenen Problemen mit anderen Behinderungen. Man will ganz normal mit denen umgehen, weiß aber nicht genau wie. Nur — diese Behindertengroupies, die machen mich wahnsinnig.

Das ist so eine Form besondere Form von Betroffenheit. Ein unglaubliches VERSTÄNDIG und BETROFFEN Sein, das zwar nicht ausgesprochen wird, aber aus weit aufgerissenen Augen und auch ansonsten jeder Pore dringt. So eine nächstenliebigebetroffenheitundbewunderungfürmichinmeinerschwierigensituation, mit der komm ich gar nicht klar.

Zum Glück nicht alle dieser Leute, aber viele davon, suchen meine Nähe. Scheinbar gibt es ihnen etwas, mit mir zusammen zu sein — besonders, sich mit mir über meine Schwerhörigkeit zu unterhalten. Das ist ja okay, aber mit diesem verständigen Betroffensein fühl ich mich so unwohl, ich möchte am liebsten wegrennen. Und habe das auch schon ein-, zweimal getan.

Das Schlimme daran ist: Es  ist ja eigentlich nett gemeint und ich bin auf nette Leute angewiesen. Solche die mir erzählen was los ist und mich im Gespräch mitnehmen. Ich bin daher grundsätzlich sehr verständig. Aber manchmal reicht es einfach. Also bitte: Wenn Ihr mich oder andere Behinderte trefft, bitte nicht gar zu sehr betroffen sein und nicht übertrieben bewundern. Danke!

P.S. — Auf Nachfrage hin hier die Klarstellung:  Es darf natürlich weiterhin bewundert und Nähe gesucht werden. Nur das sollte sich nicht nur an der Behinderung aufhängen.

Und nach den Behindertengroupies kommen bei den Nervensägen als nächstes die Jammerlappen.

Nicht nur für Journalisten: Wie spricht man richtig über Behinderung?

Natürlich präzise, neutral und nicht abwertend. Aber wie geht das eigentlich? Das National Center on Disability and Journalism einer US-Journalistenschule erklärt’s. Und davon hat auch der Deutsche was, finde ich. Sagt man z.B. „an den Rollstuhl gefesselt“? Nie! Sagt man auf Englisch „handicapped“? Nur im Zusammenhang mit Rechtsvorschriften, Orten oder Dingen, z.B. bei Behindertenparkplätzen! Ansonsten: disability.

Hier ein paar grundsätzliche Hinweise (Auszüge, meine Übersetzung):

Wenn Sie eine Person beschreiben, erwähnen Sie die Behinderung nicht — außer sie steht im sachlichen Zusammenhang mit der Geschichte. Ist dies der Fall, verwenden Sie Formulierungen, die zuerst die Person und erst in zweiter Linie die Behinderung hervorheben.

Vermeiden Sie Ausdrücke wie „leidet an“, denn dies beinhaltet eine Wertung. Nicht jede Person mit einer Behinderung „leidet daran“, „ist ihr Opfer“, „damit geschlagen“ oder sieht generell ihre Lebensqualität eingeschränkt. Vorzuziehen ist eine neutrale Ausdrucksweise, die die Behinderung klar benennt.

Als Beispiel wird genannt:  The writer, who has a disability anstelle the disabled writer. Das geht auf deutsch natürlich nicht wortwörtlich. Aber das Prinzip dürfte klar sein. Man sagt nicht einfach der behinderte Schriftsteller oder wirft grundlos ein, dass der Schriftsteller behindert ist. Genauso wie man es auch bei Merkmalen wie z.B. Hautfarbe, Migrationshintergrund oder sexuelle Orientierung machen sollte.

Man sagt allenfalls so etwas wie: Der Schriftsteller, der selbst querschnittsgelähmt ist — wenn man etwa über seinen einfühlsamen Roman oder die aufrüttelnde Reportage berichtet, wie Rollstuhlfahrern in Deutschland der Besuch im Theater und im Kino vergrault wird.

[via bionic ear]

Der lange Abschied — von der Welt und dem Leben, das man sich wünschte

Arbeit sollte so gestaltet sein, dass sie immer Zeit für ein kleines zweites Frühstück läßt. Heute: Dabei gelesen, und sehr berührt gewesen. Über eine junge Frau — mitten im Leben und im Beruf sollte es gerade richtig losgehen — die langsam aber sicher erblindet. Der lange Abschied vom Licht (von Nina Poelchau im SZ magazin 29/2009).

Bei mir ist es nicht das Licht — aber ich erkenne sie genau, die Gefühlslandschaft, die da vor mir aufgefächert wird. Dieser Schmerz, die Verzweiflung und die Wut über die Ausweglosigkeit. Den Trotz, weil man das führen will, was man für sein Leben hält. Und es damit möglicherweise nur noch schlimmer gemacht hat. Wie wichtig das über-andere-Themen-sprechen für einen ist und wie vergeblich, weggucken, von diesem Schicksal frei sein zu wollen.

Und bei alldem —  die immer wiederkehrende Einsamkeit, und die Angst: Wer soll einen „und dieses Gebirge an Not aushalten“ können?

„Behindert ist man nicht, behindert wird man“ — doch kein guter Spruch?

Es ist ja einiges dran, gerade wenn man ihn benutzt um gegen Diskriminierung anzugehen. Aber ist so zu reden wirklich eine gute Idee? Zumindest ist es nur die halbe Wahrheit, finde ich, jedenfalls was Hörbehinderung angeht.

Damit behauptet man ja, Behindertsein sei keine Eigenschaft einzelner Menschen, sondern das Ergebnis des diskriminierenden Tuns von Menschen. Und schiebt denen damit den schwarzen Peter zu. Aber wenn man das wirklich ernst nimmt, dann müsste man doch auch sagen: Wer schwerhörig ist, behindert Normalhörende. In ihren Kommunikations- und Entfaltungsmöglichkeiten nämlich.

The Fountain on Washington Square -- Photo by Not quite like Beethoven, all rights reserved

Das ist jetzt nicht nur Wortakrobatik, sondern genau das, was mich oft an meiner Schwerhörigkeit verzweifeln läßt. Dass es nämlich letztlich immer wieder darauf hinausläuft, anderen zur Last zu fallen — indem man sie um Hilfe bittet. Nochmal sagen. Nicht so, sondern so reden. Etwas aufschreiben, einen Moment warten weil gerade ein Störgeräusch da ist. Näher herankommen. Was hat der da drüben gerade gesagt? Man lese nur all die Regeln die ich selbst aufgestellt habe. Natürlich hab ich guten Grund, das zu fordern; nette Menschen sehen das ein und wollen mir helfen. Es ist ja auch nicht so viel verlangt. Und es gibt sogar Situationen, in denen alle davon profitieren, wenn ‚ordentlich‘ geredet wird.

Aber trotzdem, es bleiben Forderungen. Und zwar viele und immer wieder. Dieses dauernde Querulantsein macht mich echt fertig. Mal ganz davon abgesehen, dass selbst beste Freunde oder Ehepartner von ständigem Wiederholen öfters unwillkürlich aggressiver werden oder von den ganzen Notwendigkeiten genervt sind. Weil es einfach nie leicht ist mit mir.

Wäre es dann nicht eigentlich zutreffender — und vielleicht auch politisch schlauer — wenn man den Spruch sein ließe? Und stattdessen sagte, es sind gar nicht Menschen die behindert werden, sondern die Kommunikation?

Erstens verteilt man dann keine schwarzen Peter. Und zweitens sieht man dann gleich, dass Hörbehinderung ein Problem ist, das nie nur einen allein betrifft. Und auch nicht von einem allein gelöst werden kann. Egal wie sehr man sich anstrengt. Es braucht immer beide (oder alle) Beteiligte.

Nur mal so in den Raum gestellt…

Gehörlose Welt trifft blinde Welt – Nachtrag

Vorgestern habe ich auf ein interessantes Gespräch bei Zeit.de verwiesen. Hier gibt es eine spannende Antwort darauf. Die dort schreibende Bloggerin war nicht begeistert und listet einige interessante Punkte auf, was mit dem Beitrag alles nicht stimmt.

Update: Weitere, auch nicht sehr schmeichelhafte Kommentare gibt’s hier, hier und hier. Und inzwischen auch bei zeit.de selber.

Von schwerhörig gebombt zum Mehrwert der Schwerhörigkeit: Ein Gespräch mit Bernd Rehling

Sommer 1974. Am frühen Nachmittag des 17. Juli explodiert ohne Vorwarnung eine Bombe im Tower of London. Der ist wie üblich mit Touristen überfüllt. Eine Frau stirbt — neun Schwerverletzte und über 30 leicht Verletzte, meist Kinder. Einige verloren Arme oder Beine. Der Bremer Realschullehrer Bernd Rehling, gerade dreißig Jahre alt, verlor fast sein ganzes Gehör.Foto: Bernd Rehling

Mit Hörgeräten versorgt lehrte er danach noch über 20 Jahre weiter. Und ist heute einer der profiliertesten Akteure in der deutschen Hörbehindertenszene: 1997 gründete er mit einer Gruppe Gleichgesinnter das Informationsportal Taubenschlag und bringt täglich die Presseschau deafread heraus.

Not quite like Beethoven spricht mit Bernd Rehling über die schwierige Zeit als Neu-Schwerhöriger und wie er sich als Lehrer an der Hörgeschädigtenschule selbst neu erfand. Über Segen und Gefahren des Internets für Schwerhörige — und über das Leben zwischen den Welten: weder gehörlos noch normalhörend. Nach dem Klick.

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