Archiv der Kategorie: Lob der Schwerhörigkeit

Hallo?! Die NERVEN, diese Schwerhörigen!

— Edwina Meyer aus der Hertensteinstrasse schreibt. Wir zitieren mit freundlicher Genehmigung —

Sehr geehrter Herr not Beethoven!

Ich lebe mittlerweile seit mehr als einem Vierteljahrhundert mit einem Schwerhörigen zusammen und ich halt es nicht mehr aus! Sie zeichnen hier ein viel zu weichgespültes und positives Bild von Schwerhörigen.

Nicht nur muss man sich ständig anstrengen, betont deutlich zu sprechen und dann oft trotzdem noch alles dreimal sagen. Sie ziehen ihre Hörgeräte nicht an, obwohl sie helfen würden, und sagen nicht, wenn sie nichts verstanden haben. Tut man was für sie und nimmt sie irgendwohin mit, dann sitzen sie nur da oder stehen herum und man weiß nicht, was sie denken: Macht es Ihnen Spaß? Finden sie alles doof? Sind sie einfach nur vom Eierlikör besoffen? Mein Mann macht das Nichthören durch Reden und sich in den Mittelpunkt stellen wett, ohne Rücksicht und ohne andere zu Wort kommen zu lassen.

Fragt man, was man für ihn tun kann, ob man z.B. andere auf die Schwerhörigkeit hinweisen soll, murmelt er „Nein, nein, danke, geht schon!“ Doch wenn er in der Eisdiele die Nachfrage des Verkäufers nicht versteht, schaut er einen doch wieder an und erwartet, dass man rettend einspringt. Schwerhörige hören nicht zu und sagen trotzdem „jaja“. Man spricht extra laut, doch es dringt nichts durch oder man wird angeblafft, man solle nicht so schreien. Dann wieder verstehen sie alles, obwohl es fast geflüstert war.

Ich fühle mich nicht ernst genommen! Bitte schreiben Sie in Ihrem Blog auch mal über Realitäten wie meine.

Freundlichst, Ihre
Edwina Meyer

Not quite like like Beethoven goes re:publica — Digitale Barrierefreiheit und Partizipation im Netz

Darf ich einladen? Ich werde langsam hibbelig! Nur noch eine Woche…

Podiumsdiskussion bei der re:publica, am 2.5.2012:
Unerhört: Digitale Barrierefreiheit und Partizipation im Netz

Diskutiert wird die Bedeutung der Digitalisierung für die gesellschaftliche Partizipation Behinderter und die Schubkraft digitaler/sozialer Medien auf dem Weg zu einer barrierefreieren Gesellschaft — zugespitzt auf das Beispiel der Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit. Es unterhalten sich drei, die sich die Mittel der digitalen Gesellschaft einfach genommen haben um sie zu verbessern: @einaugenschmaus, die Ennomane und Herr Not quite like Beethoven.

Ich freue mich sehr! Worüber ich mich auch noch freue: Das Gespräch wird gefilmt und das Video später im Netz erhältlich sein!

Das Allerbeste aber: Ich bin sicher es wird toll, denn es steht jetzt fest, dass der @trotzendorff (http://www.trotzendorff.de/) moderieren wird. 🙂

Und, was wolltet Ihr immer schonmal von mir wissen? Worüber sollen wir uns Eurer Meinung nach unterhalten? Würde mich schon interessieren…

Erinnerung: Wohin zu gut hören führt

Zu gut hören will man auch nicht. Muss man sich als audiophiler Schwerhöriger ja immer mal wieder vergegenwärtigen. Wobei, schwer zu sagen ob nun das gute Hören oder die flammende Liebe schuld war. Was meint Ihr? Ich rede von Schlafes Bruder. Ein tolles Buch übrigens.

(Wieder eingefallen, als ich dies hier las)

Vuvuwasbitte soll da stören? Perfekt gerüstet für die WM

Allerorten Aufregung um Vuvuzelas. Ich bin da ganz gelassen. Das elektrische Ohr regelt einfach ab oberhalb der Unbehaglichkeits-Schwelle. Und dank jahrelangem Tinnitus bin ich geübt darin, störende Geräusche schnell auszublenden. Bring it on!

Übrigens: So eine Vuvuzela ist lauter als eine Kettensäge. Besonders die Kombination mit Alkohol verursacht extrem schnell Hörschäden. Und AP berichtet über eine Studie, die behauptet, dass die Tröte auch Bakterien und Viren effektiver an den Mann oder die Frau bringt als jeder Husten. Also besser mit Ohrenstöpseln und Mund-Nasen-Schutz zum Public Viewing? Man kann ja froh sein, dass wenigstens Sommer ist…

Mondegreening ist das neue schwerhörig!

Kennt Ihr Ken Lee? Gut, dann erzähle ich Euch das mal. Denn es ist ja so: Jeder versteht, was er will. Ich zum Beispiel. Kann gerade immer noch nicht fassen, dass das richtig sein soll. Ergibt doch gar keinen Sinn!

Manche Leute nennen das schwerhörig, ich nenne es mondegreening. Das klingt doch gleich viel besser. Bei Wikipedia kann man lesen, dass der Begriff schon 55 Jahre alt ist und von der Autorin Sylvia Wright eingeführt wurde. Die hatte lange gedacht, die letzte Zeile eines mittelalterlichen Gedichtes laute, erschlagen habe man „the Earl of Murray and Lady Mondegreen.“ Dabei gab es nur einen Toten — und den hat man dann auf eine Wiese gelegt („And laid him on the green“).

Und was ist nun mit Ken Lee? Der war vor zwei Jahren ein besonders schöner Fall von mondegreening:

Diese Frau sang, was sie für Mariah Careys Interpretation von „Without you“ hielt. Sie hat, so wird sie zitiert, ohne Englisch zu können das Lied nur vom Hören her gelernt. Ich weiß genau wie sie sich fühlt, als die anderen beginnen, komisch zu gucken und schließlich zu lachen.

„Ein Glück, dass Du schwerhörig bist…“

…sagte ein alter Freund von mir. „Denn sonst wärst Du sicher ein arroganter Arsch geworden.“

Und wenn ich mir mich mal so schonungslos angucke — ich glaub, er könnte recht haben.

Photo by patries71 / flickr, some rights reserved

Gibt es eigentlich arrogante Schwerhörige?

Wer mich beleidigt, das entscheide immer noch ich

Eine unbedeutende Auseinandersetzung um das Verhältnis vereinbarter Zahlung und erhaltener Leistung. Ich habe gar kein Auto, Signorina! Wer sich an diesen Spruch aus der Kaffeewerbung erinnert, der kennt den Tonfall — in dem ich dem vor Wut japsenden Mann erklärte, dass ich schwerhörig bin. Eine lächelnde Mischung aus Triumph und auf den Arm Nehmen. Und dass ich all die Beleidigungen, die mir schon seit einiger Zeit entgegengeschrien worden waren, unglücklicherweise nicht mitbekommen hatte.

Ich skizzierte kurz einige meiner Regeln und bot ihm an, mir das Wichtigste noch einmal zusammenzufassen. Ich würde zuhören. Während er mit etwas dunklerer Gesichtsfarbe neu ansetzte, wies ich noch darauf hin, dass sein Schnauzer mein Verständnis nicht gerade fördere, sich aber sicher auch dafür eine Lösung fände. Gleich darauf machte ich mich schleunigst vom Acker. Wurde mir alles etwas zu dunkelrot, da.

Dann lächelte ich noch einmal in mich hinein. Mag ja ein bißchen boshaft gewesen sein, aber manchmal ist es ganz lustig so mit Schwerhörigkeit.

Das ist ja unheimlich mit Dir! Schwerhörigkeit und die anderen Sinne

Neulich habe ich gesagt, schwerhörig Sein schaffe Platz im Kopf — leere Ecken, für Schränke zum Beispiel. Daraufhin habe ich einige mißbiligende Emails gekriegt. Und es war ja auch arg platt, das Bild. Jetzt aber mal im Ernst:

Diese räumliche Kästchenmetaphorik stimmt vorne und hinten nicht. Schwerhörig und selbst Taubsein, ist nicht nur ein Loch. Es bedeutet einen ganz anderen Zugang zur Welt, ein ganz anderes In-der-Welt-Sein. Weil das so ist, hört man ja auch mit Hörgeräten nicht „wieder gut“.

Wenn man einen Sinn verliere, hört man oft, würden die anderen schärfer. Das Beispiel sind meist Blinde und ihr Hören. Aber zumindest in meinem Fall ist es nicht ganz richtig. Und ich würde vermuten, dass das auch bei Blindheit so ist. Ich kann schon gut riechen und schmecken, sicher auch besser als manche andere. Jedenfalls wenn ich mir so anschaue was erstaunlich viele Leute klaglos essen oder wie sie sich in AfterShave baden. Aber ich glaube nicht außerordentlich gut. Und ich kann auch nicht schärfer sehen. Ganz im Gegenteil, ich bin etwas kurzsichtig.

Allerdings: Ich kann Leute lesen. Ich bin schon aufgestanden, zu Freunden auf der Nachbarbank rübergegangen und habe sie aufgefangen, weil ich gesehen hatte, dass sie gleich ohnmächtig werden würden. Meins ist ein ganz feines Gefühl dafür, wie Leute so drauf sind, wie es ihnen geht und in welcher Stimmung sie gerade sind. Ganz unwillkürlich schau ich sie mir sehr genau an. Was sie tun, wie sie sich halten, wie sie sitzen, wie sie lachen. Ich sehe die kleinen Anzeichen, wie sie aus ihrem Körper heraus und in die Welt hinein schauen. Und wie sie auf das reagieren, was ihnen dort so passiert. Ängstlich, mürrisch, beleidigt. Oder ruhig, offen und neugierig. Sind sie glücklich?

All das will ja nicht jeder unbedingt immer zeigen. Darum hab ich mir auch schon anhören müssen, dass es ein bißchen unheimlich sei mit mir.

Woher kommt das? Ist es Übung? Ausgleichende Gottesgabe? Vielleicht von beidem ein bißchen…

Zuhören nach Harvard-Art

Wettbewerbsvorteile von Schwerhörigkeit habe ich ja schonmal erwähnt. Aber was braucht es eigentlich wirklich für allerhöchste Führungsaufgaben? Und was davon bringe ich von Haus aus mit?

„Das musst Du dir angucken“, dachte ich mir darum als die Ankündigung ins E-Postfach flatterte: Zuhören als leadership skill — ein Workshop, der Studenten der amerikanischen Elite-Universität, die z.B. Barack Obama besucht hat, das notwendige Handwerkszeug für ihre späteren Heldentaten vermitteln soll. Wollen doch mal sehen wie in Harvard Zuhören gelehrt wird! Und ob ich mir da noch ne Scheibe abschneiden kann. Denn ich gelte ja als guter Zuhörer. Meine Bemühungen, was zu Verstehen, geben den Leuten das Gefühl, dass ihnen zugehört wird.

Also nichts wie hin — der Not quite like Beethoven-Test nach dem Klick!

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Süßer Schlaf

Geschichten aus mir fremden exotischen Ländern finde ich meist ziemlich spannend. Vor kurzem erzählte mir ein Freund, wie er eine ganze Nacht lang von einer Mücke im Zimmer um den Schlaf gebracht worden sei. Vom Geräusch, wohlgemerkt. Und nicht am Ohr sondern irgendwo im Zimmer. Waas?!

Die Geschichte vom Kampf Mann gegen Mücke war faszinierend – hier waren wirklich strategische Superhirne aneinander geraten. Von Ignorieren über Aussitzen bis Falle Stellen, vom Provozieren bis zur Nadelstichtaktik war alles dabei. Aber im Grunde ist das für mich so als wenn ich Dir erzählen würde, ich konnte nicht schlafen weil sie in Hongkong wieder die ganze Nacht gefeiert haben.

Denn wenn ich mir nicht gerade selber Probleme mache, dann habe ich den ungestörtesten Schlaf auf Erden. Kein Geräusch stört mich beim Schlafen. Bei mir darf man zu jeder Tageszeit anrufen. Gut, Straßenlärm höre ich ganz bißchen.

Zum Glück lebe ich im 21. Jahrhundert, mitten in der Stadt. Sonst wäre ich sicher schon lange im Schlaf von einem Säbelzahntiger erlegt oder von Banditen ausgeraubt worden. Es hatte schließlich mal eine sinnvolle Funktion, dass man im Schlaf noch was hört. Damals wäre niemand auf die Idee gekommen, zum Schlafen freiwillig Ohrstöpsel zu nehmen. Aber so ganz vorbei ist das nicht, wie mir in letzter Zeit öfter mal auffällt. Denn wovor ich inzwischen richtig Angst habe, ist Feueralarm. Nachts. Und auch noch im Winter.

Vielleicht muss ich doch mal über spezielle Rauchmelder nachdenken. Oder ich schaffe mir schnell Familie an…

Online? Da hilft auch Schwerhörigkeit nix

Gestern war’s eher ein kleiner Scherz, aber das Thema Leben mit Internet und Web 2.0 beschäftigt mich weiter: Wenn ich nicht aufpasse, verliere ich als Schwerhöriger dadurch Wettbewerbsvorteile.

Dass das Internet nicht nur das Lesen sondern auch das Denken verändert – und zwar nicht nur zum Guten – brennt offensichtlich vielen unter den Nägeln. So wird z.B. dieser sehr lesenswerte Artikel von Nicholas Carr aus The Atlantic seit fast ein Jahr immer wieder in Blogs thematisiert (letztens etwa hier von Berlinessa). Und ich hab  ja auch das Gefühl, dass es mir schwerer fällt, mich in längere Texte zu vertiefen.  Nach ein paar Minuten beginnt der Kopf einfach, im Hintergrund an was anderes zu denken. Das zerstreut die Aufmerksamkeit. Bin allerdings nicht restlos überzeugt, dass das nur am Internet liegt. Ich fürchte es ist auch einfach ein Teil des Berufstätig Seins und Älter Werdens.

Übrigens, kommt Dir dieser Eintrag eigentlich lang vor? 😉

So weit, so gleich ist das Problem für alle, die beruflich viel im WWW unterwegs sind oder sich privat dem Web 2.0 hingeben. Für mich als schwerhöriger bzw. ertaubter Mensch ist aber Konzentrationsfähigkeit einer meiner wenigen Wettbewerbsvorteile. Viele nervige Ablenkungen nehme ich gar nicht erst wahr oder kann mich ihnen entziehen, einfach durch Hörgeräte ausschalten. Außerdem: Das bißchen was ich verstehe, verstehe ich nur weil ich jahrelang extreme Konzentration geübt habe. Es steht also was auf dem Spiel!

Gleichzeitig sind das Netz und all die Möglichkeiten zum sozialen Netzwerken – Email, Instant Messages, SMS, Facebook, von sowas wie Twitter gar nicht zu reden – für mich ein unglaublich wichtiger Draht zum Leben: Endlich verstehe ich zur Abwechslung mal perfekt, weil sie ja schriftlich ablaufen. Welche Erleichterung! Ich WILL sie also. Auch beruflich bin ich auf Chat und Emails angewiesen. Aber wenn all diese Lese- und Kommunikationsmöglichkeiten die Ruheräume füllen, die tiefe Konzentration braucht, dann hilft auch Nichthören oder Hörgeräte ausschalten nix. Zu diesem Dilemma wird hier sicherlich noch häufiger was zu lesen sein…