Wie hört Not quite like Beethoven? Eine Hörbiographie

Ich wurde nun schon mehrfach gefragt, wie eigentlich meine „Hörbiographie“ ist. Bislang habe ich das ja immer so in andere Einträge eingeflochten, doch jetzt will ich mal ein bißchen zusammenfassend erzählen. Nach dem Klick!

Schlecht höre ich, seit ich ungefähr drei Jahre alt bin. Was ich habe, nennt man eine Innenohrschwerhörigkeit.

Kurz zur Erklärung: Das Ohr ist ein komplexes Organ. Darum kann Schwerhörigkeit unterschiedliche Ursachen haben. Bei Schalleitungsschwerhörigkeit liegt das Problem außen im Ohr (z.B. Ohrenschmalz 😉 ) oder im Mittelohr (Trommelfell und die Knöchelchen, die dort dranhängen). Dort wird der Schall aufgefangen, raffiniert und weitergeleitet. Wenn’s bis dahin gut geht, man aber trotzdem schlecht hört, dann hat man eine Schallempfindungsschwerhörigkeit. Dann ist was im Innenohr kaputt, bei den Sinnes- und Nervenzellen — kurz bevor’s ins Gehirn geht. Das also ist, was ich habe.

Woher das kam, weiß man bis heute nicht genau. Es gibt verschiedene Theorien und könnte z.B. was mit einer Masern-Mumps-Impfung zu tun gehabt haben. Sie war damals schon beiderseits aber nur leicht — im Mittel- und Hochtonbereich. Den ganzen Kindergarten über hatte ich nicht einmal ein Hörgerät. Das bekam ich erst als ich in die (normale) Schule kam — und auch dann erst nur eins, das ich mal rechts, mal links und in den Ferien öfters gar nicht trug.

Jedes Jahr ging ich mindestens einmal zum Hörtest und jedes Mal beruhigte mich mein Arzt, dass mein Hörvermögen zwar schwanke, aber nicht schlechter geworden sei. Er war zwar sehr nett, aber er hatte leider immer nur die letzten paar Audiogramme miteinander verglichen. Sah man sich alle an, war recht deutlich, dass es langsam schlechter wurde. Das nennt man progrediente Schwerhörigkeit. Nach der Grundschule musste ich dauerhaft auf beiden Seiten Hörgeräte tragen. Doch noch mit 15 konnte man sich mit ein bißchen laut reden gerade noch so auch ohne Hörgeräte mit mir unterhalten. Mit 18 nahm ich in Bars und Clubs die Geräte raus, weil ich in lauter Umgebung, und wenn mir jemand ins Ohr sprach, ohne besser verstand.

Ein Dreivierteljahr vor dem Abitur hatte ich einen Hörsturz auf dem rechten Ohr, d.h. eine plötzliche Verschlechterung ohne erkennbare organische Ursache. Abfall im Hochtonbereich, an Taubheit grenzend. Deutlicher Verlust in den Mitten. Das besserte sich auch nach einem Klinikaufenthalt nicht, zudem habe ich dort seither konstant einen durchdringenden Pfeifton als Tinnitus. Das andere Ohr hielt halbwegs durchs Studium. Ich hatte dort keinen festnagelbaren Hörsturz, aber nach einer emotional ziemlich belastenden Phase, in der hohe Arbeitsbelastung, eine Trennung und der 11. September 2001 zusammenkamen, stellte ich fest, dass ich dort auch kaum noch etwas hörte. Und das Gleichgewicht auch beim Pfeifen wieder hergestellt war.

Inzwischen bin ich beidseitig fast vollständig ertaubt, ein Hörbeispiel dafür gibt es hier. Obendrein bin ich extrem geräuschempfindlich geworden. Das nennt man Hyperakusis. Schon vor drei Jahren habe ich alle Kriterien für ein Cochlea Implantat (CI) erfüllt — das heißt im Wesentlichen, dass Hörgeräte keine ausreichende Hilfe mehr sind. Ich habe mich aber dagegen entschieden.

Seit damals ist mein Hörvermögen noch einmal schlechter geworden. Die Aussichten? Nun, es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass mein Hörvermögen ab jetzt auf einmal nicht mehr schlechter würde. Die Entscheidung über ein CI werde ich sicher noch einmal angucken müssen. Oder bewußt taub werden. [Nachtrag: Inzwischen habe ich mich nach einigem Hin und Her für ein CI entschieden. In diesem Blog läuft es ab hier]

So, das ist also meine Hörbiographie. Die nackten medizinischen Fakten dessen, was ich in diesem Blog so wort- und facettenreich ausbreite. Weil man es nicht sieht, so leicht übersieht und was man sieht ist unklar und mehrdeutig. Im Grunde weiß kaum jemand, wie man mit so Leuten wie mir umgehen soll. Und weil es so viel mehr als nur „weniger laut hören“ bedeutet. Ich hoffe, das gefällt und inspiriert Euch.

Ich denke, die „Top-Einträge“ auf der rechten Seite geben einen guten ersten Überblick über dieses Blog.  Über die „Kategorien“ darunter kann man es auf unterschiedlichen Wegen durchstöbern. Viel Spaß dabei!

20 Antworten zu “Wie hört Not quite like Beethoven? Eine Hörbiographie

  1. Eine Frage hab ich: Wie konntest du dein Hörgerät rechts ODER links tragen, die sind doch angepasst???

  2. Pingback: querbeet gelesen › Fundstück

  3. Ich weiß gar nicht mehr ob das mit Akustiker und Arzt abgesprochen war. Aber wie wenn Du die gleiche Kurzsichtigkeit auf beiden Augen hast, dann kannste für beide die gleichen Kontaktlinsen nehmen.
    Außerdem, wie gesagt, die Schwerhörigkeit war nur leicht bis mittel – und Hörgeräte waren teuer.

  4. Okay. Und wie hast du das mit den Ohrstücken gemacht? Also den Teilen, die im Ohr drin sind? Wenn da für das rechte Ohr eine Otoplastik gemacht wurde, wie kann die ins linke Ohr passen?

  5. Tut sie nicht. Ich hatte zwei. 😎

    (Hm, also müssen wir es wohl mit dem Akustiker besprochen haben.)

  6. Darf man fragen, warum du kein CI wolltest/willst? Interessiert mich aus persönlichen Gründen sehr – habe selbst ein CI, habe aber für die Entscheidung SEHR lange gebraucht…

  7. Hochinteressant. Menschen mit progredienter Schwerhörigkeit in diesem Alter trifft man ja eher selten. Frage: Hast Du Allergien bzw. bist Du dagegen (im Kleinkindalter) behandelt worden. Ich bin kein Arzt und verfolge kaum noch die Forschung, aber meines Wissens (mit professoralem Segen der MHH) verursachen Virusinfektionen KEINE progrediente Schwerhörigkeit über Jahre und Jahrzehnte sondern nur im Zeitraum der Infektion und ihrens Ausklingens und manchmal noch einen überschaubaren Zeitraum danach.

    Ich hatte einen ähnlichen Verlauf, nur dass eine leichte Beeinträchtigung erst mit 10 gemessen wurde, während die Ertaubung mit Kortison gestoppt werden konnte, als ich 16 war. Seitdem ist mein Gehör leidlich stabil (einen Hörsturz hatte ich allerdings auch im Studium, der sich allerdings vollständig zurückbildete). Tinnitus habe ich episodisch auch ungefähr seit dem späten Grundschulalter.

    Interessant bei solchen Verläufen ist, ob eine Blutuntersuchung entzündliche Prozesse und einen „Rheuma-Faktor“ ergeben. Wenn ja, ist die ursache eine chronische bakterielle Infektion oder aber eine Autoimmunreaktion. Bei mir wurde der Prozess durch eine krasse Dosis Kortison über 6 Monate abfallend vollständig gestoppt. Das sollte bei einer Virusinfektion (7 Jahre nach selbiger) nicht möglich sein und spricht gegen Masern als Ursache und für die Autoimmun-Theorie. Natürlich habe ich keine Beweise und hoffe, keinen überholten Blödsinn hier zu posten.

    (Übrigens würde ich sehr gerne mal ein Audiogramm von Dir sehen, so vergleichsweise.)

  8. @Jojo Klar darf man fragen. Weil ich damals unterm Strich keine Verbesserung der Lebensqualität für mich darin gesehen habe – so mit zwar besserem Verstehen in Ruhe aber sicher keine Musik mehr, kein Kampfsport mehr, Verstehen im Störschall nach wie vor schwer bis kaum und Telefonieren vielleicht. Zudem hat mich die Aussicht auf über 60 Jahre Technik im Kopf sehr geschreckt. Darf ich zurückfragen: Wie bist Du denn selber zufrieden? Was hörst Du (nicht)? Vor- und Nachteile?

    @Enno: Soweit ich weiß postest Du überhaupt keinen überholten Blödsinn. Es stimmt, die Progredienz spricht gegen die Impfungstheorie, eher für Autoimmun (ist ausgeschlossen worden) oder was Veranlagtes. Vielleicht auch beides zusammen. Bin nicht gegen Allergien behandelt worden. Über chronische Entzündungen und „Rheuma-Faktor“ weiß ich grade nicht Bescheid, da kann ich grad nur hoffen, dass sie das beim Prüfen auf Autoimmunreaktionen mitgeprüft haben. Werde mich bei Gelegenheit nochmal erkundigen.
    Ansonsten freue ich mich, gerade die erste Ertaubung-aufgehalten-Geschichte in meinem Leben gehört zu haben! 🙂

  9. Hmm, da muss ich jetzt seeehr weit ausholen. 🙂 Unterm Strich: Ich bin absolut zufrieden und sehr froh, dass ich das CI habe. Ich bin seit Geburt an Taubheit grenzend sh (ohne freies Sprachverstehen) und habe das CI mit 24 bekommen.

    Um mal deine Liste „abzuarbeiten“:
    – Musik: habe ich früher sehr wenig gehört, tue ich auch heute noch kaum. Aber: das Gesungene kommt wesentlich besser raus, ich kann mehr in der Musik differenzieren. (Für den altbekannten „schönen“ Klang kann man ja noch das HG auf der anderen Seite dazu nehmen, ergänzt sich wunderbar.)
    – Kampfsport: Nie gemacht, kann ich nichts zu sagen. Ich kenne aber eine CI-Trägerin mit Schwarzgurt in Judo…
    – Verstehen im Störschall: Immer noch eine Herausforderung, aber viel einfacher geworden! Einfach aus dem Grunde, dass Störschall z.B. in der Kneipe für mich kein undefinierbarer Geräuschebrei mehr ist und ich die Sprache viel besser raushöre.
    – Telefonieren bzw. Sprachverstehen: Nun, das hängt sehr stark von der „Hörbiografie“ ab. Meine Prognose war eher schlecht, aber dennoch: Im Unterschied zu früher (null Telefonieren möglich) habe ich heute eine Spannbreite von „problemlos telefonieren“ bis zu „oft Nachfragen, aber klappt trotzdem“ erreicht. 🙂

    Insgesamt: HÖREN tue ich weitaus besser als früher, gerade die leisen Geräusche. Das VERSTEHEN ist im Vergleich zu früher auch besser geworden und vor allem ist der Alltag nicht mehr so anstrengend.

    Nachteile? Meine Absehfähigkeiten haben nachgelassen ;), manchmal nervt die Spule am Kopf (wenn man sich ungeschickt irgendwo anlehnt, fällt sie ab), MRT geht nicht mehr…hm, mehr fällt mir spontan nicht ein.

    Konnte ich deine Fragen damit beantworten?

  10. Jojo, danke für die Erläuterungen! Judo, hm. Auch mit Werfen und Stürzen? Und wie lang hast Du das CI denn jetzt?

  11. Judo: Das weiß ich nicht…

    Ich habe das CI jetzt 2 Jahre und 2 Monate 🙂

  12. Danke! Eins noch vielleicht – planst Du Implantation auf dem zweiten Ohr?

  13. Zur Zeit nicht, hat aber private/berufliche Gründe. Ich gehe aber davon aus, dass ich spätestens in ein paar Jahren beidseitig implantiert rumlaufen werde 😉

  14. Pingback: Wie ich ein Film-Nerd wurde: Ein Kopfhörer und die Folgen « Not quite like Beethoven

  15. Hippiemädchen

    Hey, ich bin vor 3 Tagen auf deinen Blog gestoßen und finde es total super wie du hier alles beschreibst! Ich erwische mich ganz oft dabei, wie ich denke: „Hey, das ist ja genauso wie bei mir…“

    Und deine Hörbiografie ist am Anfang ähnlich wie meine. Ich bekam mit etwa 2 Jahren eine Masern-Mumps-Impfung mit Folgen und mit 2 1/2 bemerkten meine Eltern zum ersten mal, dass ich wohl nicht mehr richtig höre… sie haben es nur so lange nicht gemerkt, weil ich mir selbst beigebracht habe von den Lippen abzulesen und man bei Kindern ja nicht weiß, ob die jetzt extra weghören oder nicht. Naja, nach einem Hörtest kam dann raus, dass ich mittel bis hochgradig Schwerhörig bin. Woher es genau kam, weiß natürlich keiner. Meine Mutter war aber schon immer überzeugt, dass die Impfung Schuld war.
    Habe dann Hörgeräte bekommen, mit denen es bisher ganz gut geht. Allerdings hatte ich noch 2-3 [beim letzen bin ich mir nicht ganz sicher] Hörstürze und seit etwa 4 Jahren einen schleichend lauter werdenden Tinnitus. Vor ’nem Jahr war der so extrem auf einer Seite, dass alle von einem Hörsturz ausgingen, aber ich bin nach wie vor überzeugt, dass es „nur“ der Tinnitus war. Mit Cortison hat man aber alles in den Griff bekommen, zumindest weitgehend. Bin jetzt übrigens 20.

    Da mein Gehör auch tendenziell schlechter wird, werde ich mich wohl auch irgendwann mit dem Thema CI beschäftigen müssen – aber jetzt noch nicht, auch wenn mir das alle Ärzte andrehen wollen.

    Auf jeden Fall – toller Blog, weiter so 🙂

  16. Oha, das klingt in der Tat sehr ähnlich. Freut mich, dass Dir das Blog Spaß macht. Wünsche Dir weiterhin möglichst viel im Griff haben!

  17. hallo,
    nachdem ich mich schon seit ein paar tagen mit stöbern in deinem blog vom arbeiten abhalte, will ich kurz mal „hallo“ sagen und mich vorstellen. da hier anscheinend hörbiographien gesammelt werden, finde ich es einen guten ort.
    ich hab seit meiner kindheit tinnitus, mit dem ich aber gut leben konnte und kann. seit etwa 6 jahren nimmt mein hörvermögen stetig/bzw schubweise ab, momentan bewege ich mich im hochgradig schwerhörigen bereich.
    geht also alles ziemlich schnell, die ärzte wissen auch nicht so genau warum (erblich veranlagt ist eine lieblingsausrede – dumm nur, dass in meiner familie sich keiner an schwerhörige erinnern kann) und beschränken sich auf dokumentieren und hörgeräte verschreiben. allein dieser krankheit keinen spezifischen namen zu geben und so absolut nichts über ursachen (okay, irgendwas ist mit dem innenohr), verläufe und prognosen (irgendwann taub, klar, aber WANN?) zu wissen, ist sehr belastend. da hilft es sehr von anderen mit ähnlichen erfahrungen zu lesen.
    ich hoffe ich kann mich noch an der einen oder anderen stelle einbringen, auch wenn das eher übersprungshandlungen sind um mich davor zu drücken, endlich mal meine doktorarbeit weiterzuschreiben.
    aber nützliche tipps hab ich schon für nun anstehende bewerbungen entnommen, deshalb vielen dank für den tollen blog.

  18. Bitte, freut mich sehr! Deine Situation kann ich übrigens gut nachfühlen, genauso war es ja bei mir auch. Und viel Glück für die Doktorarbeit!

  19. Dankeschönst! Geb mir Mühe, meine Schreibfaulheit zu überwinden. Nur droht danach das nächste Ungemach, die Verteidigung *grusel*

  20. Bin durch die Kommentare auf diesen Beitrag gestoßen – deine Hörbiografie hatte ich bisher noch nicht gelesen, nqlb. Der Kommentar von Enno mit der Autoimmunreaktion und dem Aufhalten des Hörsturzes – das hatte ich sonst noch von keinem gelesen. Dabei war es bei mir ähnlich. Mit zwanzig plötzlich Echohören, Geräusche und Hörverluste – mit hochdosierter Cortisontherapie (Verdacht auf Cogan-Syndrom) behandelt und zumindest teilweise kam wieder das Gehör zurück. Auf jeden Fall wurde der Prozess gestoppt.
    Ich kannte lange Zeit niemanden, der Cogan hatte – inzwischen gibt es eine Selbsthilfegruppe dazu. Die meisten werden – im Gegensatz zu mir – dauerhaft mit niedrigdosiertem Cortison behandelt und bei weiteren Hörstürzen auch frühzeitig mit CI versorgt.

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