Sinfonie der Stadtmitte — Warum auch Grönländer eine Vorliebe für Eis haben können

Den Grönländern Eis verkaufen wollen — so beschreibt Jens, der alte Audiot, sein neuestes Ding: Den Mitschnitt eines Konzerts komplett zu untertiteln um Menschen mit Hörproblemen den Zugang zu erleichtern. Das mag ja politisch wünschenswert und moralisch nett sein. Aber ist es sinnvoll? Der Hinweis, welche Musik spielt, kann der Empfindung Musikhören nicht das Wasser reichen. Schlimmer noch: Dies ist kein gewöhnliches Konzert. Denn die Ehre gibt sich dort kein Mensch, keine Band und kein Orchester, sondern ein Ort. Der Berliner U-Bahnhof Stadtmitte. Die Klänge, die man beim Ihn-Durchwandern wahrnimmt. Wie soll es spannend sein, davon Untertitel zu lesen?

Aber das täuscht. Das Bild der Eisdiele in Grönland finde ich unglaublich passend. Denn es leuchtet ja ein, dass sich Eis im kalten Grönland wahrscheinlich nicht so gut verkauft (obwohl so eine Eisdiele dort vielleicht eine gute Zukunftsinvestition sein könnte, für die Zeit, wenn das Eis dort abgetaut ist). Aber bei Eis geht es ja um den Geschmack auf der Zunge – und genauso kann ich auch als Schwerhöriger Gefallen daran finden. Und zwar großen!

Das Stück ist definitiv nichts für jeden Tag, aber eine ganz wundervolle Erfahrung. Vielleicht bin ich deswegen so aufgeschlossen dafür, weil ich ein alter Großstadtromantiker bin — schon einer meiner allerersten Einträge hier im Blog drehte sich ja um den Klang der Stadt. Jens Aufnahme zeigt, wie sich rein durch die Geräusche am Ort ein Stück mit Anfang, Mitte, Höhepunkt und Schluss entwickelt. Man muss nur hinhören. Ich bekomme Lust, auf aller Welt den Klang meiner Lieblingsorte aufzunehmen. Und ich werde nie wieder durch diesen Tunnel laufen können ohne hinzuhören.

Sehr interessant auch die Stille und die Reflexionen über sie. Meine volle Zustimmung.

Und Ihr? Wie findet Ihr das?

26 Antworten zu “Sinfonie der Stadtmitte — Warum auch Grönländer eine Vorliebe für Eis haben können

  1. Achja, ich habe ganz vergessen über die Untertitel zu sprechen: Die fand ich sehr hilfreich. Ein bißchen wie ein kundiger Führer in der Gemäldegalerie, der einen auf Dinge hinweist, die man sonst vielleicht übersehen hätte.
    Vielleicht hätte allerdings auch die Untertitelung des gesprochenen Textes gereicht, bin nicht sicher…

  2. Stimmt, das mit den persönlichen Eindrücken. Schöne Sache, sich nur die Geräusche anzuhören, wenn man hören kann (ich zum Beispiel, wenn ich das CI einschalte). Mir fällt ein, dass ich die Geräusche meiner früheren *geliebten* Wohnung noch als Erinnerung im Kopf habe: Wie die Küchentür knarrte, wie sich Schritte auf den verschiedenen Böden anhörten, die Akustik im Flur, der Schlüssel in der Haustür usw.

    Schade, dass ich keine Tonaufnahme davon habe. Du, Jens, das kannst du als Geschäftsidee aufziehen: Eine persönliche Geräusche-Erinnerung für Leute, die umziehen. Die können sich ihre vertraute Umgebung dann anhören, obwohl sie weit weg ist. 😉

    Du, Jens, aber Untertitel für Nichthörende: Nein. Wirklich nicht. Wer nicht hören kann, (ich zum Beispiel, wenn ich das CI ausschalte), langweilt sich. Der Text an sich ist ganz gut – als reiner Lesetext. Text und Ton für Hörende: Das geht klar. Aber den Nichthörigen den Ton erklären, das ist, als ob man einem Grönländer eine Kokosnuss zeigt, damit er sich die Karibik vorstellen kann. Irgendwie ganz nett, aber … naja. Möchte sich ein Grönländer die Karibik vorstellen, wenn er doch massig viel mit seinem Schnee zu tun hat und da auch so schnell nicht wegkommt?

  3. Immerhin schon zwei Gäste in meiner Eisdiele. 😉
    Vielen Dank, dass ihr euch mit meinem Projekt beschäftigt! Wie ich in meinem Artikel ja schrieb, ist mir bewusst, dass Untertitel nicht die Erfahrung des Hörens transportieren können. Um bei meinen Gleichnissen zu bleiben: Vom Lesen eines Kochbuchs wird man nicht satt, aber man bekommt eine Idee vom betreffenden Gericht.

    Der Vergleich mit der Kokosnuss und der Karibik überzeugt mich nicht. Klar kann man sich ein exotisches Land in seiner Fantasie ausmalen, das man noch nie gesehen hat, das machen wir alle, denke ich. Meine mir selbst gestellte Aufgabe war ja: Wie bringe ich einem Gehörlosen mein Projekt nahe, das nunmal von Geräuschen lebt und geht das überhaupt? Macht es Sinn, einen „Ohrenblick“ mal in Gebärdensprache zu übersetzen? Für mich schon, denn dabei würde ich erfahren, wie Geräusche in der Gebärdensprache vermittelt werden, was ich ungemein spannend finde, so wie allgemein den Austausch mit Menschen, die die Welt auf andere Weise wahrnehmen.

    Daher freue ich mich über weitere Wortmeldungen und Diskussionen!

  4. Was ich besonders gut finde an dem Stück ist, dass es in seinem Verlauf mehr ist als die Summe der Geräusche dieses Ortes. Ein Stück eben.

    Ich denke , Pia hat schon recht, das Ganze setzt voraus, dass man hört und das nicht allzu schlecht. Wer gar nichts oder sehr sehr schlecht hört hat vermutlich nur von den poetischen Qualitäten des Textes was (so denn welche vorhanden sind, was hier ja der Fall ist 😉 ) Dafür muss der Text dann aber kein Untertitel mehr sein, sd. kann allein stehen. Ich würde denken, so ähnlich wäre es mit einer Darbietung in Gebärdensprache.

    Wobei ich auch nicht weiß, wie Geräusche in Gebärdensprache vermittelt werden. Würde mich auch interessieren.

  5. Aber wie du schon schriebst: Es ist ein Stück. Den Sprecherkommentar isoliert zu betrachten, wäre wie eine Opernarie vorzulesen statt zu singen und das war nicht meine Intention. Dann kann ich auch bloggen.

    Ich persönlich habe mir das Werk auch mal ohne Ton angesehen und finde gerade das Zusammenspiel der beiden Ebenen interessant. Ich mag zum Beispiel die Stelle, wo es wirklich sehr still ist und das Bild komplett schwarz ist. Aber vielleicht auch nur, weil ich weiß, wie es klingt und wie ich den Text auf den Ton „komponiert“ habe. Ich denke, wenn man es wirklich kongenial umsetzen wollte, müsste man eine Installation mit Lichteffekten, Filmschnipseln etc. bauen, denn das „Fühlbare“ geht im Text schon ein wenig verloren.

    Die Meinung von Gehörlosen dazu würde mich schon sehr interessieren. Vielleicht entwerfe ich mal eine Umfrage zu dem Thema. Aber zuerst kümmere ich mich um eine Gebärdensprache-Version!

  6. Ach, dass ich erst jetzt draufkomme: Fühlbar! Natürlich wäre es perfekt, die Geräusche in Vibrationen umzusetzen, die man spüren kann. Ich werde mal Evelyn Glennie fragen, ob sie nicht dazu trommeln will. 😉

  7. Manchmal denke ich, dass das Pleasure-Board http://www.tecamp.de/?id=61 welches eigentlich für Bassisten entwickelt wurde, auch Gehörlosen oder Personen mit Restgehör das Klangerlebnis erweitern könnte. Aber vielleicht ist das auch Quatsch.

  8. „Die Meinung von Gehörlosen dazu würde mich schon sehr interessieren. Vielleicht entwerfe ich mal eine Umfrage zu dem Thema. Aber zuerst kümmere ich mich um eine Gebärdensprache-Version!“

    Umfrage… wow. Mach einfach mal deine Ohren auf für Leute ohne Hörvermögen, dann ist schon viel gewonnen. Du sperrst dich dagegen, dich auch nur ansatzweise in eine Welt ohne Hören hinein zu empfinden. Glaubs mir. Aber du willst aus deinem Badewasser nicht wirklich raus, oder? 😉

    Musst du ja auch nicht.

  9. Schönes anregendes Beispiel für eine „Übersetzung“ von Ton und Bild: „Step across the border“, der Film über den Musiker Fred Frith. Es gibt Szenen darin, wo man sehen kann, was man (nicht) hören kann. Oder man kann hören, was man (nicht) sehen kann. Das Bild zeigt die Stimmung, die der Ton erzeugt. Einfach wunderbar.

  10. Es ist gerade für einen „Ohrenmenschen“ nicht einfach sich in eine Welt ohne Geräusche hineinzuempfinden, bei den Blinden fällt mir das wesentlich leichter (auch wenn es auch dort natürlich nur ansatzweise geht, bei den Geburtsblinden ist es schon so gut wie unmöglich). Das ist ein andauernder Lernprozess. Und während Blinde von allein auf mich zukommen, habe ich halt noch nicht den Stein der Weisen gefunden, wie ich mich mit Gehörlosen über mein Projekt austauschen kann und ob sie das überhaupt wollen. Ihr beide habt ja ein CI, daher haben wir da noch eher eine Schnittmenge, als Menschen, die gar nichts hören.

    Ich bin aber trotzdem davon überzeugt, dass das Fühlen dem Hören näher kommt als das Sehen. Daher liebe ich den Film „Touch the sound“ und daher denke ich, dass die Idee, die Geräusche in Vibrationen zu übersetzen, nicht schlecht sein muss, du kannst mich gerne vom Gegenteil überzeugen.

    Oder geht’s dir nur um meine Idee mit der Gebärdensprache? Dass es damit nicht funktioniert, mag sein. Aber ist dann auch der Sprecherkommentar nicht sinnlos, der ja auch Symbole und Metaphern aus der Geräuschwelt nutzt? Um sowas herauszufinden, starte ich solche Aktionen, auch auf die Gefahr hin, von Menschen wie dir provoziert zu werden, aber selbst das hilft mir weiter, weil es Denkprozesse in Gang setzt. 🙂

    Den Film werde ich mir ansehen, klingt interessant.

    Und ja, ich sitze gerne lange in der Badewanne. Am liebsten mit einem Glas Rotwein und Musik. 🙂

  11. „… starte ich solche Aktionen, auch auf die Gefahr hin, von Menschen wie dir provoziert zu werden, …“

    Provoziert ?! *lach*

  12. Filme, die mit dem „Übersetzen“ von Sinnen zu tun haben:

    „Perfect Sense“ von 2011 über den Verlust der Sinne, aber eigentlich ein Liebesfilm.

    „Eine Karte der Klänge von Tokio“ (2009, lief gestern in 3sat) dem Titel nach interessant, aber eigentlich ein Liebesfilm, der mehr durch Bilder erzählt.

    Film/Video bedient ja quasi beide Sinne – Hören und Sehen – von daher birgt das Medium in sich schon eine „Ersatzspur“ für einen ausgefallenen Sinn. Aber die Reduktion der visuellen Eindrücke auf reinen Lesetext ist für Nichthörende wenig attraktiv, weil genau das weggenommen wird, worauf man sich gewöhnlich stützt: Das Betrachten.
    Stimmungen, Empfindungen, Erinnerungen, Eindrücke über das Sehen sind schon reichhaltig bei Nichthörenden vorhanden. Es entsteht einfach Langeweile, wenn sich nichts bewegt, wenn die Augen kein Futter bekommen. Ein Film also, der sowohl visuell als auch akustisch etwas Eindrucksvolles anbietet, ist damit auch eine gute „Übersetzung“ von Hören-Sehen. Manche Filme schaffen das.
    Ich suche mal nach mehr Beispielen …

  13. Wie gesagt, „Touch the Sound“ ist auch ein sehr gutes Beispiel für das Zusammenwirken von Bild und Ton. Und natürlich gibt es unzählige andere Beispiele.

    „Aber die Reduktion der visuellen Eindrücke auf reinen Lesetext ist für Nichthörende wenig attraktiv, weil genau das weggenommen wird, worauf man sich gewöhnlich stützt: Das Betrachten.“

    Du meinst AUDITIVE Eindrücke? Das Visuelle soll bei „Ohrenblicke“ allein im Kopf entstehen, das ist die Idee dahinter. Natürlich könnte ich meinen Weg durch den Tunnel auch in Bildern erzählen: Nahaufnahmen von Füßen, die die Schritte unterstützen, die Menschen, die sich durch den Tunnel bewegen, die Finger des Akkordeonspielers, sich öffnende U-Bahn-Türen, das könnte ein eindrucksvolles Video werden, aber das wäre ein völlig neues Projekt (vielleicht mache ich das tatsächlich irgendwann mal). Es geht mir ja in „Ohrenblicke“ eben darum, den dominierenden Sinn, das Sehen auszuschalten und die Wahrnehmung auf das Hören zu konzentrieren.

    Natürlich ist sowas bei Menschen, die (von Geburt an) nicht hören, zum Scheitern verurteilt, weil Geräusche ja erst durch das Hörvermögen existieren und eine Bedeutung bekommen. Daher wird diese Diskussion hier für Menschen ohne Hörvermögen wahrscheinlich auch völlig uninteressant sein. Und natürlich ist ein schwarzes Bild mit ein bisschen Text irgendwie langweilig, wenn man nichts hört. Warum ich das dann mache? Hatte ich eigentlich alles schon in meiner Salvatore-Geschichte erzählt. 🙂

  14. CharlyBrown

    Jens, Dein Thema „Ohrenblicke“ passt doch eher zu Sehbehinderten?
    Bei mir (mit acht Jahren ertaubt ohne Restgehör) ist es umgekehrt:
    Zum Beispiel bei Eiskunstlauf, Tanz, Kunstturnen entsteht die
    die zugehörige Musik automatisch in meinem Kopf.

  15. Die Gebärdensprache bietet sehr vielfältige Möglichkeiten, um Geräusche auszudrücken. Sehr oft wird dabei die Vibration, die von der Geräuschquelle ausgeht, visuell dargestellt.

    Das Klingeln des Weckers (und ich meine nicht die neumodischen digitalen Wecker sondern die alten Oma-Wecker) kann gebärdet werden, indem man die Vibration mit den Händen nachahmt, ihn vielleicht noch über den Nachttisch wackeln lässt, oder den Nachttisch mitvibrieren lässt (das wäre dann noch eine Hyperbel dazu), wobei der Gesichtsausdruck gleichzeitig anzeigt, ob das Geräusch vom Hörer als positiv (super, ein neuer Tag beginnt!) oder negativ (ich will weiterschlafen!!!) aufgenommen wird.

    Das Geräusch von an Felsen schlagenden Wellen kann gebärdet werden, indem man mit einem Arm den Felsen darstellt ohne Bewegung (= kein Geräusch) und mit der anderen Hand das Wasser durch oszillierende Finger gegen den Arm schlagen lässt, dazu obligatorisch ein starker Atemzug wenn die Welle sich zurückzieht, und beim Schäumen die Luft aus den aufgeplusterten Wangen herausgestoßen wird, wobei die Augenbrauen zusammengezogen werden, je nach Intensität der Welle.

    Das Geräusch einer Tromete kann dargestellt werden, indem man eine imaginäre Trompete vor den Mund hält und die Vibration des Trompetenrohres durch Zittern der Hand nachahmt, dabei mit dem Mund „baaaa“ labialisiert und gleichzeitig durch die zusammengezogenen Augenbrauen zeigt, dass es laut und durchdringend klingt. Man könnte auch noch die Schultern etwas hochziehen, um zu zeigen, dass es ziemlich beeidruckend klingt. Im Gegensatz dazu würden bei einer Flöte die Augenbrauen eher entspannt sein, der Mund lächeln beim Luftblasen, der Kopf und die Schultern leicht wackeln (um die Lieblichkeit des Klangs auszudrücken).

    Kurz gesagt: Die Kombination von Gesichtsausdruck, Bewegung und Körperhaltung machen das Geräusch. In der belgischen-frankophonen Gebärdensprache (sorry, ich kenn die deutsche nicht) nennt man die Laute, die Gehörlose mit ihrem Mund machen, wenn sie Geräusche und Vibrationen nachahmen, „Onomatopoesie“. Diese Onomatopoesie ist unerlässlich beim alltäglichen Gebärden. Das Zuknallen einer Tür wird nicht nur gebärdet, sondern auch mit einem obligatorischen „baffff“ auf dem Mundbild begleitet. Ohne Bafff würde es nicht stimmen. Der gebärdete tropfende Wasserhahn muss unbedingt von einem rhytmischen „po“-Mundbild und eingezogenen Wangen begleitet werden, sonst wäre es nicht authentisch. Und nach meiner Erfahrung sind die Gehörlosen selbst Meister darin, Geräusche darzustellen, wo ich mich immer erstaunt frage, woher sie nur wissen wie es klingt (an die Vibrationen habe ich zu Anfang gar nicht gedacht).

    Viele belgische Gehörlose nutzen die Gebärde für „Geräusch“ oder „Lärm“ als Synonym für „Vibration“. Ich hatte schon den Fall, dass mich ein gehörloser Freund in einer sehr ruhigen Umgebung mitten im Gespräch unterbrochen hat mit der Frage „Was macht denn hier so einen Krach, das ist ja nicht auszuhalten!“ Ich muss zugeben, ich war etwas perplex, da echt kaum was zu hören war. Letztendlich hat er mich darauf aufmerksam gemacht, dass der Boden unter uns extrem vibrierte (vermutlich fuhr gerade die U-Bahn irgendwo unter der Erde vorbei). Natürlich gab es kein Geräusch, aber es ist schon bemerkenswert, dass mir diese wirklich starke Vibration überhaupt nicht aufgefallen ist. Da fühlt man sich als Hörender echt sinnbehindert *grins*

  16. wiederhören, nein, das ist kein Quatsch. Bei Veranstaltungen wie http://www.your-sencity.com/ wird sowas auch genutzt — ich glaube allerdings im größeren Maßstab. Selber konnte ich das noch nicht ausprobieren. Du?

    Pia, wie fandest Du denn „Perfect Sense“? Ich habe da durchmischtes gehört…

    Ootch, au klasse, das ist ja wirklich wahnsinnig interessant. Danke Dir! 🙂
    Onomatopoesie ist auch in deutsch „lautmalerisch“

  17. Pingback: Frage des Tages: Wie stellt man eigentlich mit Gebärdensprache Klänge und Geräusche dar? | Not quite like Beethoven

  18. @wiederhören: Ohrenblicke ist für alle, die bereit sind, sich darauf einzulassen. Viele Sehbehinderte zählen zu meinen Hörern, weil der Podcast ihrer Wahrnehmung gut entspricht. Aber noch eher möchte ich „sehende“ Menschen dazu ermuntern, mal die Optik zu vergessen und sich aufs Abenteuer Hören einzulassen. Dass ich derzeit versuche, das Projekt auch Hörbehinderten zu vermitteln, liegt wohl hauptsächlich an unserem Beethoven, der sich vor längerer Zeit mal meine Website angesehen hatte und ich gemerkt habe, dass ein Audio-Podcast für Hörbehinderte gar nicht barrierefrei ist.

    @Ootch: Vielen, vielen Dank für deine Ausführungen. Das finde ich hochgradig spannend! Ich hätte nicht gedacht, dass Geräusche in der Gebärdensprache so viel Raum einnehmen und dass sie sogar ausdrucksvoller vermittelt werden als in der Wortsprache. Du hast mich wirklich neugierig gemacht, mich mal ein wenig mit der Gebärdensprache auseinanderzusetzen. Und ja, die Idee, mal eine Ohrenblickefolge in Gebärdensprache zu übersetzen finde ich jetzt gar nicht mehr so abwegig. Und überhaupt könnte ich mal eine Themenfolge über die Gebärdensprache machen. Danke für die Inspiration!

    Ich freue mich, dass hier eine so spannende Diskussion entstanden ist. Vielen Dank an Herrn Ludwig van, der meine Themen immer so schön aufgreift!

    Euch allen ein schönes Wochenende!

  19. Ups, sehe gerade, ich meinte natürlich CharlyBrown und nicht wiederhören!

  20. Ich stand schonmal auf einem Pleasureboard. Allerdings höre ich ja gut und konnte die Musik dabei natürlich akustisch ebenfalls wahrnehmen. Das Erlebnis war auf jeden Fall toll, irgendwie fremdartig und doch ganzheitlich, schwer zu beschreiben.
    Ich habe daher keine Ahnung, wie es klingt bzw. sich anfühlt wenn man nichts oder ein CI/ Hörgerät oder einfach mit einem grösseren Hörverlust hat.

  21. Klingt als müsse ich das dringend mal ausprobieren. 🙂

  22. Das hört sich wirklich abgefahren an. Würde ich auch gern mal testen.

  23. Den Film „Perfect Sense“ kann ich unbedingt empfehlen. Er ist vorrangig ein Liebesfilm, steht auch groß auf dem Plakat. Das Liebespaar ist eben nicht nur kitschige Beigabe zum Szenario, wie in den albernen Katastrophenfilmen á la Emmerich, sondern es geht um eine philosophische Betrachtung der Sinne = Lebensfreude.

    Der Film bleibt dicht an einem Liebespaar, denn es geht um das Individuum, nicht um Massenverhalten oder Gesellschaftsordnung. In der Filmhandlung verlieren alle Menschen weltweit ihre Sinne – alle nahezu gleichzeitig. Ungewöhnlich erzählt: ZUERST erfasst die Menschen eine ganz starke Emotion, DANACH verlieren sie einen ihrer Sinne – und nun geht es wieder optimistisch aufwärts. Das passt! Ein typischer Problemfilm wäre: Zuerst glücklich, dann Sinnesverlust, dann dramatische Emotion. In diesem Film ist alles anders – und überzeugender.

    Nach dem Verlust eines Sinnes konzentrieren sie sich auf den verbleibenden Sinn und werden enorm kreativ darin. Als Geruch und Geschmack weg sind, toben sich die Köche in einer Restaurantküche an völlig abgedrehten Kunstwerken auf dem Teller aus, die einfach toll aussehen. Das Essen wird nun weich-hart, cremig-krümelig, kalt-warm empfunden und die Leute genießen es weiterhin. Ein wunderbares Beispiel für die „Übertragung“ von Sinneseindrücken.

    Es kommt der Moment, wo die Leute ihr Gehör verlieren. Man sieht den Hauptdarsteller mit aufgerissenem Mund schreien – der Ton im Kino bleibt weg. Ich hatte Herzrasen bei der Szene. (War auch für mich ein Albtraum, als ich mich selbst nicht mehr hörte.) Der Film erzählt ganz prägnant von Dingen, die sich in der Realität nur langsamer und unsichtbarer abspielen. Die Filmhandlung schreitet unsentimental zügig voran: In den nächsten Szenen sieht man Gebärdenzeichen auf Postern an Türen hängen und weiß als Zuschauer sofort: Wieder haben die Menschen sich arrangiert und eine Lösung für das fehlende Gehör gefunden. Ein schöner Film – weil eben kein Märchen, sondern Realität für Viele. Auch für mich als Ertaubte wäre ohne das CI natürlich die Gebärdensprache die naheliegende Lösung gewesen.

    Das Filmende ist der Verlust des Sehsinnes: Die Kinowand wird schwarz, man hört eine Erzählstimme aus dem OFF – nur Butzky versteht kein Wort. Habe auch nicht mehr gefragt, denn ich brauche keine weitere Erklärung des Films. Er hat zum Inhalt, dass nach einem Verlust eben eine Übertragung auf etwas anderes im Leben stattfindet, dass Lebensfreude nicht an eine Vollständigkeit (Perfektion, „alles besitzen“, „alles können“) gekoppelt ist. Kein Kitsch. Stimmt echt so.

    Butzky sagt: Ja, angucken!

  24. Einziger Kritikpunkt könnte sein, dass der Film ein kitschiges Liebesideal als Trost für alle Verluste anbietet: „Egal was auch geschieht, dein Glück ist unzerstörbar, wenn Ewan McGregor dich liebt.“
    Ewan McGregor!! *schwärm*
    Was ist daran kitschig?!

  25. Das ist ja mal eine beeindruckende Rezension! Dankeschön. Kommt auf die To-Do-Liste ganz oben hin!
    Und Ewan McGregor, doch, der ist schon gut. 😉

  26. Pia Butzky, danke für die rezension!! kommt auch bei mir auf die liste.

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